Unwahrheiten, Hass, Verschwörungstheorien: Bei Parler darf jeder schreiben, was er will - und genau das tun die Mitglieder auch. Das US-Netzwerk zieht Rechtsextreme, Rechtskonservative und enttäuschte Trump-Fans an. Hinter der Plattform steckt eine mächtige rechtskonservative Lobbyistin.

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Die "bedrohte freie Rede" muss unbedingt aufrechterhalten werden und "die Wahrheit" lebendig bleiben: Wenige Sekunden nach der Anmeldung auf Parler sendet Joe Pags diese Message. Der Mann ist Radio- und TV-Moderator in den USA, unter anderem bei den konservativen Fox News.

Pags unterstreicht das, was sich das Netzwerk selbst auf die Fahnen schreibt: Parler sei ein "nicht-voreingenommenes soziales Medium mit freier Meinungsäußerung", heißt es in der Beschreibung in den App-Stores bei Google und Apple. Auf der Webseite werden Nutzer aufgefordert, "frei zu sprechen" und "offen zu sagen, was sie denken", ohne Angst, von der Plattform geworfen zu werden. Das ist eine Anspielung auf Facebook und Twitter.

Die beiden großen Netzwerke sind in den letzten Monaten verstärkt gegen Unwahrheiten vorgegangen. Facebook etwa löschte Gruppen rund um die Verschwörungstheorie-Bewegung QAnon. Twitter kennzeichnete Tweets des Noch-Präsidenten Donald Trump als Falschinformation – etwa, wenn dieser behauptete, die Demokraten hätten Wahlfälschung betrieben, wofür es bis heute keinerlei Belege gibt. Teilweise löschen die Portale Inhalte von Nutzern oder sie sperren deren Konten.

Parler: Keine Faktenchecks und nur zwei Regeln

Bei Parler passiert das nicht. Der Name verweist auf die Redefreiheit: "Parler" ist Französisch und heißt "sprechen". Hier soll ähnlich wie beim Telegram-Messenger jeder alles schreiben dürfen - und das ist es, was die Plattform so gefährlich macht: Lügen, Verschwörungstheorien und Hassreden können hier ungehindert verbreitet werden. Es wird kaum etwas gelöscht und es gibt keine Faktenchecks.

Parler hat nur zwei Regeln: In seinen "Community Guidelines" verbietet die App die Verbreitung von kriminellen Inhalten, Pornografie und Aufrufe zu Gewalt. Auch Spam ist nicht erlaubt. Alles andere ist kein Problem.

Viereinhalb Millionen neue Parler-Nutzer in wenigen Tagen

Die App wird damit zur Anlaufstelle für Rechtskonservative, Rechtsextreme, Trump-Fans, Verschwörungsgläubige und Holocaust-Leugner. Insgesamt fünf Millionen aktive Mitglieder hat sie. Im Vergleich zu Facebook mit 2,7 Milliarden und Twitter mit 330 Millionen Mitgliedern ist das noch sehr wenig.

Allerdings erlebt Parler gerade einen rasanten Aufschwung: Die App war mehrere Tage lang die meistgeladene Anwendung in den US-App-Stores. Viereinhalb Millionen Nutzer meldeten sich innerhalb von fünf Tagen nach dem Wahlsieg des Demokraten Joe Biden an. Das vermeldete Parler-Mitgründer John Matze auf der Parler-Webseite und lieferte auch gleich eine Erklärung: Facebook und Twitter hätten Wahlinformationen unterdrückt und seien unfair.

Was Nutzer bei Parler tun können und worüber sie schreiben

Nutzer können bei Parler ähnlich interagieren wie bei Twitter, aber mit mehr Platz: Statt 240 sind 1.000 Zeichen möglich. Posts heißen "Parley", Retweets sind "Echos". Posts werden chronologisch angezeigt. Bei Twitter und Facebook entscheidet ein Algorithmus, was in der Timeline zu sehen ist.

Mitglieder teilen Links, Bilder und Videos, kommentieren Beiträge, liken sie und folgen anderen. Auch Hashtags können vergeben werden. Beliebt ist aktuell (Dienstagmorgen) etwa #stopthesteal mit mehr als 180.000 Posts zum angeblichen Wahlbetrug der Demokraten.

Überhaupt verbreiten die Mitglieder ungebremst Unwahrheiten, unbelegte Behauptungen und wirre Ideen. Mehr als 240.000 Posts verwenden das QAnon-Hashtag und erklären beispielsweise, dass in einer großen Weltverschwörung mit Kinderporno-Ring allein Trump für Rettung sorgen könne.

Unter Hashtags wie #covidhoax behaupten Mitglieder, dass die Corona-Pandemie nicht existiert. Gegenstimmen gibt es so gut wie gar nicht, Anhänger dieser Thesen bleiben unter sich.

Reibungslos funktioniert die Plattform bislang übrigens nicht. Sie ist langsam und stürzt häufig ab. Und sie ist, trotz des Verbots, überflutet mit Nacktbildern.

Auch Menschen aus Trumps Umfeld angemeldet

Unter den Mitgliedern sind offenbar auch einige Personen aus dem engen Umfeld des Noch-Präsidenten. Ein Profil soll Trump-Sohn Eric gehören, der Parler nutzen will, um "den Kampf für seinen Vater, meine Familie und unser Land" zu führen.

So gefährlich könnte Trump in den letzten Wochen seiner Amtszeit noch werden

Donald Trump ist abgewählt – auch, wenn er das selbst nicht anerkennen will. In seiner verbleibenden Zeit im Weißen Haus könnte der scheidende US-Präsident noch Schaden anrichten.

Auch die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Kayleigh McEnany, und die Trump-treuen Republikaner Rand Paul, Ted Cruz und Rudy Giuliani finden sich bei Parler. Trump selbst hat bislang noch kein Profil.

Hinter Parler steckt eine mächtige Trump-Unterstützerin

Das Netzwerk besteht seit Mitte 2018. Gegründet haben es die beiden konservativen Programmierer John Matze und Jared Thomson in Nevada – mit tatkräftiger Unterstützung aus erzkonservativen Kreisen, wie unter anderem Twitter-Nutzer Dave Troy analysiert hat. Troy ist nach eigener Aussage "Disinformation Researcher", er geht also intensiv Falschinformationen nach.

Hauptinvestorin ist Rebekah Mercer, das hat Parler-Gründer Matze inzwischen bestätigt. Die einflussreiche Lobbyistin und ihre Familie finanzierten unter anderem Trump, die rechtsradikale Nachrichtenseite "Breitbart" und Organisationen, die den Klimawandel leugnen.

Außerdem war Mercer Präsidentin von Cambridge Analytica. Das Datenanalyseinstitut hatte im Wahlkampf 2016 für einen Skandal gesorgt, weil es Daten von Facebook-Nutzern gesammelt hatte und anschließend versuchte, deren Wahlverhalten zu beeinflussen. Die eigentlich medienscheue Mercer hat auch selbst ein Profil bei Parler.

Verwendete Quellen:

  • Recherche im Parler-Netzwerk
  • parler.com: Parler Communiy Guidelines (PDF)
  • parler.com: A Letter from CEO John Matze
  • cnbc.com: Wealthy Mercer family spent millions on conservative causes in 2018 as they distanced themselves from Trump
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