US-Präsident Joe Biden steht aufgrund seiner Israel-Politik seit einiger Zeit in der Kritik und verliert vor allem arabischstämmige Wähler. Doch auch besonders linke und junge Schichten kritisieren seine Politik. In welchem Dilemma Biden steckt, was es für die Wahl bedeutet und was der US-Präsident jetzt tun kann, erklärt Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln.

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In den Vereinigten Staaten von Amerika laufen die Vorbereitungen auf die Präsidentschaftswahlen im November 2024 bereits auf Hochtouren. Derzeit finden die Vorwahlen der beiden großen Parteien statt. Bei den Republikanern ist erneut Donald Trump der designierte Präsidentschaftskandidat. Die Demokraten werden voraussichtlich mit Joe Biden ins Rennen gehen.

Der amtierende US-Präsident sieht sich allerdings aufgrund seiner Israel-Politik zunehmender Kritik ausgesetzt. So hatte zuletzt die demokratische Kongressabgeordnete Rashida Tlaib noch vor den Vorwahlen in Michigan Ende Februar dazu aufgerufen, Joe Biden nicht zu wählen, um ein Zeichen gegen dessen Israel-Politik zu setzen. Seit dem Terrorangriff der radikal-islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 gelten die USA unter Bidens Ägide als wichtigster Unterstützer der Politik der rechtsgerichteten Regierungskoalition um den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu.

Schwindende Unterstützung für Israel

Neben Tlaib setzen sich mit Andrew Levin (Michigan) und Beto O’Rourke (Texas) weitere gewichtige Politiker der Demokraten für die Kampagne gegen Biden ein. Das erklärte Ziel der Aufständischen: Präsident Biden aufzeigen, dass er mit seiner Israel-Politik seine eigene Wiederwahl gefährdet. Neben dem Widerstand aus der eigenen Partei kommt es seit geraumer Zeit bei fast jeder Veranstaltung des Präsidenten zu Zwischenrufen und Kritik am militärischen Vorgehen Israels im Gazastreifen und zu Solidaritätsbekundungen mit den Palästinensern. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums wurden durch das Vorgehen Israels bislang über 30.000 Menschen getötet – Israel spricht dagegen von 12.000 getöteten Terroristen. Die Zahlen lassen sich jedoch nicht unabhängig überprüfen.

Auch auf dem Empfang zu Ramadan im Weißen Haus war der Krieg in Gaza Thema. Thaer Ahmad, ein Arzt, der sich als Freiwilliger in Gaza engagiert hatte, machte auf das Leid der Menschen dort aufmerksam und warnte vor einem Einmarsch Israels in Rafah: "Das wird dort ein Blutbad und ein Massaker", so der Arzt laut KNA. Israels militärisches Vorgehen und das daraus resultierende Leid der Palästinenser werden immer mehr auch zum innenpolitischen Problem für Biden.

Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln, erklärt im Gespräch mit unserer Redaktion die komplizierte Gemengelage: "Um die Problematik aus innenpolitischer Perspektive zu verstehen, muss man ein wenig ausholen. Die traditionell starke Unterstützung Israels durch die USA hat sich unter Demokraten und linken Gruppierungen bereits in den vergangenen Jahren aufgelöst", erklärt der Politikwissenschaftler. Jüdische Wählerschichten seien früher für die Demokraten wichtiger gewesen.

Experte erklärt Hintergründe der Debatte um Bidens Israel-Politik

Zur Debatte gehörten dabei auch die Spannungen mit der Regierung Netanjahu, die sich bereits unter Obama ausgebildet hatten; die traditionell starke Beziehung zwischen den USA und Israel wurden belastet. "Im Zuge dieser Entwicklungen haben sich im öffentlichen Diskurs verschiedene Gruppierungen gebildet, die an einen ohnehin vorhandenen und immer lauter werdenden kolonialismuskritischen Diskurs anschließen konnten. Das sind vor allem linke, aber auch arabischstämmige Gruppierungen", sagt Jäger.

Der Terroranschlag der Hamas und die anschließende militärische Vorgehensweise Israels seien daher vor dem Hintergrund dieser Debatte zu bewerten, führt Jäger aus: "Unter einigen Gruppierungen wurde der Terroranschlag der Hamas als Akt des Widerstandes gewertet. Getreu dem Motto: Man müsse sich nun endlich einmal gegen die jahrzehntelange Unterdrückung wehren."

Während diese extreme Position nicht repräsentativ sei, würden dennoch immer mehr Menschen kritische Positionen einnehmen: "Je länger der Krieg dauert und je sichtbarer die Zerstörungen und das Leid der Menschen in Gaza, desto mehr Menschen wenden sich von Bidens Politik gegenüber Israel ab", sagt der Experte. Das zeige sich nun bei den demokratischen Vorwahlen: "In Michigan und darauffolgenden Vorwahlen haben etwa 17 bis 20 Prozent ein Zeichen gesetzt, indem sie Biden, obwohl er ja der einzige Kandidat war, nicht gewählt haben."

Biden kritisiert Netanjahu: "Bin mit seinem Ansatz nicht einverstanden"

Aufgrund des immer weiter steigenden öffentlichen Drucks auf Biden passt dieser seine Politik nun schrittweise an. "Die US-Regierung übt schon lange Druck auf Israel aus, aber das geschah bislang hinter verschlossenen Türen. Nun trägt Biden die Kritik auch zunehmend in die Öffentlichkeit", beschreibt Jäger. Die US-Regierung fordert Israel auf, seine Ziele anzupassen. Es solle von der Zerstörung der Hamas abrücken und den Fokus auf den Schutz der Zivilbevölkerung legen. Das Nachrichtenportal Axios hatte bereits Ende Januar von einem Gespräch zwischen Biden und Netanjahu berichtet, bei dem der US-Präsident klargemacht haben soll, dass er für einen langen Krieg nicht zu haben sei.

In einem auf dem US-Sender Univision am Dienstag (Ortszeit) ausgestrahlten Interview hatte Biden die Politik von Netanjahu nun auch öffentlich direkt kritisiert. "Ich denke, was er macht, ist ein Fehler. Ich bin mit seinem Ansatz nicht einverstanden." Darüber hinaus forderte er Israel auf, sich für einen Waffenstillstand einzusetzen und äußerte sich mit Blick auf die Lage in Gaza besorgt: "Es gibt keine Entschuldigung dafür, diesen Menschen Nahrung und medizinische Versorgung vorzuenthalten. Das sollte jetzt sofort passierten." Im Gazastreifen herrscht zunehmend Hungersnot, Krankheiten breiten sich aus.

Während die Kritik Bidens lautstarker wird, fordern diejenigen linken Gruppierungen, die Biden am schärfsten kritisieren, in der Konsequenz einen palästinensischen Staat auf dem Gebiet Israels. "Wenn man die Entwicklungen an den amerikanischen Universitäten verfolgt, dann hört man auf den dortigen Demos immer wieder die entsprechenden Parolen", sagt Jäger. "Diese Gruppen sind natürlich keine Mehrheit. Aber sie sind laut und für den Diskurs äußerst relevant." Wie wichtig es für Biden ist, diesen Wählern einen Grund zu geben, ihn zu wählen, erkennt Jäger auch daran, dass der amerikanische Präsident nun angedeutet hat, die Auslieferung von Julian Assange fallen zu lassen. "Das wäre ein dicker Pluspunkt bei einer Wählerschaft, die sich sonst für Biden nicht begeistern kann."

Politikwissenschaftler Jäger erklärt paradoxe Situation vor US-Wahlen

Etwas weniger radikal seien die Forderungen der Mitte-Links-Gruppen. Diese seien mit der auch von der US-Regierung angestrebten Zwei-Staaten-Lösung einverstanden. "Hier gibt es aber ein wesentliches Problem. Die amtierende israelische Regierung lehnt genau diese Lösung ab und ist auch nicht für einen Kompromiss bereit. Das bedeutet: Eine politische Lösung, die zur Beendigung des Konflikts unbedingt gebraucht wird, lehnt der zentrale Akteur ab", illustriert Jäger die auch langfristig komplizierte Lage.

Für Biden wird seine Außenpolitik dabei nach und nach zum innenpolitischen Problem, sie könnte auch im Hinblick auf die Wahlen ein entscheidender Faktor werden: "Bei den Demokraten unterstützen nur etwa 20 Prozent die Linie Bidens, unter den Republikanern stehen dagegen zwei Drittel klar zu Israel. Der designierte Kandidat der Republikaner, Donald Trump, hat dagegen Netanjahu mehrfach aufgefordert, den Krieg zu beenden, ohne dabei etwas von den israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas zu sagen", sagt Jäger.

In dieser paradoxen Situation haben die beiden Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im November also sowohl diametral entgegengesetzte Einstellungen zueinander als auch gegensätzliche Positionen zu ihrer eigentlichen Wählerschaft. Gerade Trump hatte sich während seiner eigenen Präsidentschaft als deutlicher Unterstützer Netanjahus präsentiert, die US-Botschaft nach Jerusalem verlegt und die Golanhöhen als Staatsgebiet Israels anerkannt, die von der UN Syrien zuerkannt werden. "Netanjahu dachte wahrscheinlich einfach, er kann weiter vorgehen, bis Trump Präsident wird und dann hat er einen bedingungslosen Unterstützer", kommentiert Jäger. "Doch sei einfach ist es nicht."

Israel eigentlich kein Thema? Experte prognostiziert: Diese drei Themen entscheiden die Wahl

Im Hinblick auf die Wahlen können die kritischen Wählergruppen für Biden vor allem aus einem Grund zu einem ernsthaften Problem werden. "Gerade in den Swing States könnte der taktische Zweck von Trumps inhaltlicher Wende darin bestehen, die arabischstämmigen, die sehr linken und auch einige der jungen Wähler dazu zu bringen, Biden nicht zu wählen", sagt Jäger. "Denn für diese Wähler steht die Wahl unter der Prämisse: Biden wählen, um Netanjahus Kumpel Trump zu verhindern. Doch Trump tritt nun gar nicht mehr als Netanjahus Buddy auf."

Während die Diskussion um Israel und Palästina zwar heiß geführt werde, sei die Bedeutung des Themas für die meisten Wähler aber eher gering. Nur zwei Prozent der Bürger und damit lediglich spezifische Wählerschichten klassifizierten den Konflikt als wichtig. "Das ist beim Thema Abtreibung sehr ähnlich. Hier ist es allerdings wiederum umgekehrt so, dass Biden darauf hofft, Trump Wähler abjagen zu können. Während republikanische Staaten strikte Abtreibungsgesetze vorantreiben, will Biden mit einer Regelung auf Bundesebene Wählerstimmen einsammeln", erklärt Jäger.

Außerdem sei in der gesamten Debatte interessant, dass Trumps Position gar nicht mit der seiner Partei übereinstimme. Es gebe kaum einen Abgeordneten, der Trumps derzeitige Einstellung zu Israel teile. Doch diese Position könne sich Trump leisten, weil die Bedeutung des Themas eben so gering sei: "Auch die Ukraine ist für die meisten US-Bürger weniger wichtig. Drei Themen werden die Wahl bestimmen: Einwanderung, Inflation und der Ärger auf die Regierung", prognostiziert der Politikwissenschaftler.

Politikwissenschaftler Jäger: Biden wird nur als kleineres Übel gewählt

Für Trump seien die weniger ins Auge springenden Themen kein wirkliches Problem im Hinblick auf die Wahl, doch für Biden könnte jede Stimme wichtig sein, sagt Jäger: "Gerade in den bereits erwähnten Swing States könnten wenige Tausend Stimmen entscheidend sein. Wenn man dabei bedenkt, dass 90 Prozent der Trumpwähler den Ex-Präsidenten wählen wollen, weil sie enthusiastisch sind und sich ihm also emotional verbunden fühlen, wird Biden nur als das kleinere Übel gewählt. Von daher sind für den amtierenden Präsidenten alle Themen von Bedeutung."

Dennoch müsse man beachten, dass die Wahl erst im November 2024 sei: "Der Krieg in Gaza dauert jetzt sechs Monate. Es ist noch einmal genau so lange Zeit bis zur Wahl. Bis dahin kann sich vieles verändern", gibt Jäger zu bedenken. Das hänge auch vom weiteren Vorgehen Israels ab. "Mutmaßlich auch als Reaktion auf den Druck der US-Regierung hat Israel angekündigt, sich aus dem Süden zurückziehen zu wollen. Doch Netanjahu hat dabei nicht nur die USA im Blick."

Denn Netanjahu steht innenpolitisch ebenfalls unter Druck und muss aufpassen, seine rechten, anti-liberalen und teilweise ultraorthodoxen Koalitionspartner nicht zu vergraulen. Denn sonst droht ein Scheitern der Regierung. "Gleichermaßen hat auch Joe Biden keinen unbegrenzten Spielraum", gibt Jäger zu bedenken. "Zwar ist Israel abhängig von militärischen Lieferungen aus den USA, doch es handelt sich keinesfalls um eine einseitige Beziehung." Jährlich fließen über drei Milliarden US-Dollar an Militärhilfe aus den USA an Israel.

Die USA und Joe Biden verhielten sich auch deshalb zurückhaltend, weil man Israel als Stabilitätsanker in der Region benötige. "Mit Blick auf den Iran und die Ambitionen Saudi-Arabiens gibt es eine Reihe US-amerikanischer Interessen, die verhindern, dass man Israel einfach fallen lässt. Darauf kann sich Netanjahu so lange verlassen, wie Joe Biden Präsident ist. Unter einem möglichen Präsidenten Trump kann man dagegen von keinerlei Garantien ausgehen", sagt Jäger.

Verhältnis zwischen Biden und Netanjahu offenbar in „ernster Krise“

Dabei gelte es noch einen letzten Punkt zu beachten: Die Unterstützung für Israel und auch für die Ukraine stecke aktuell im Parlament fest: "Derzeit werden die Unterstützungspakete nicht verabschiedet. Das hängt mit dem Speaker des Repräsentantenhauses zusammen, der Republikaner ist. Er braucht für die Verabschiedung eine überparteiliche Mehrheit, lebt aber unter der Drohung, bei einer solchen Abstimmung sein Amt zu verlieren", skizziert Jäger die vertrackte Lage.

Für Biden hängt vom weiteren Vorgehen möglicherweise seine Wiederwahl ab – und damit auch die Machtarchitektur der westlichen Hemisphäre. Sein Verhältnis zu Netanjahu, den er seit über fünfzig Jahren kennt und zu dem er lange Zeit ein gutes Verhältnis hatte, steckt in "einer ernsthaften Krise", wie das Wall Street Journal den früheren israelischen Botschafter in den USA, Itamar Rabinovich, zitiert. Und es wird nicht einfacher für Biden. Nach erneuter Drohung des geistlichen Oberhauptes des Iran, Ayatollah Ali Chamenei, Israel zu bestrafen, reagierte Biden laut AFP resolut: "Wie ich Ministerpräsident Netanjahu bereits sagte, ist unser Engagement für die Sicherheit Israels gegen diese Bedrohungen durch den Iran und seine Stellvertreter unerschütterlich." Wie dieses Engagement nach dem Angriff des Iran aussieht, wird sich zeigen. Denn klar ist: Die Israel-kritischen Stimmen in den Vereinigten Staaten werden wohl nicht leiser werden.

Über den Experten:

  • Prof. Dr. Thomas Jäger ist Politikwissenschaftler und Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln.

Verwendete Quellen:

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