Charismatisch und ein Kämpfer für die Gerechtigkeit oder ein gefährlicher Egomane? An Julian Assange scheiden sich die Geister. Jetzt wurde der Wikileaks-Gründer nach sieben Jahren in der Botschaft Ecuadors festgenommen. Ihm droht eine Auslieferung an die USA.

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Fast sieben Jahre lang hat Julian Assange in einem etwa 20 Quadratmeter großen Zimmer ausgeharrt, in das kaum die Sonne schien. Ein selbstgewähltes einsames Exil mitten in London, das er mit einer Katze teilte. Der Wikileaks-Gründer flüchtete im Juni 2012 in das Backsteinhaus der ecuadorianischen Botschaft. Mit der Aufhebung des Asyls durch Ecuador und der umgehenden Festnahme überschlugen sich nach Jahren des Stillstands die Ereignisse. Die USA wollen eine Auslieferung - also es könnte genau das eintreten, was den 47-Jährigen Zuflucht hinter den Botschaftsmauern suchen ließ.

Am Donnerstag nun zerrten britische Sicherheitskräfte einen bärtigen, sichtlich gealterten Assange aus der Botschaft. Auf dem Video der von Russland finanzierten Nachrichtenagentur Ruptly ist zu erkennen, dass er ein Buch zur "Geschichte des nationalen Sicherheitsstaats" in der Hand hielt. Wenige Stunden später steht Assange schon vor Gericht und wird schuldig gesprochen, gegen Kautionsauflagen verstoßen zu haben. Um den Vorwurf der USA, er habe sich mit Whistleblowerin Chelsea Manning verschworen und solle deswegen an die US-Justiz überstellt werden, soll es vor Gericht erst am 2. Mai gehen.

Politische Positionierung

Was wird das Vermächtnis von Julian Assange sein? Der Australier trat ins Licht der Öffentlichkeit mit der Veröffentlichung geheimer US-Dateien, die Menschenrechtsverletzungen und die Tötung von Zivilisten durch amerikanische Truppen in Afghanistan dokumentierten. Zugleich wurde Wikileaks schon damals für die Grundsatzentscheidung kritisiert, amerikanische Regierungsdokumente wie etwa Schriftwechsel des Außenamtes ohne Schwärzungen zu veröffentlichen: Damit bringe man Menschenleben in Gefahr.

Später machte Assange Schlagzeilen mit der Rolle von Wikileaks im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016. Er machte keinen Hehl aus seiner tiefen Abneigung gegen die demokratische Kandidatin Hillary Clinton. Wikileaks veröffentlichte von Hackern erbeutete E-Mails der Demokraten, die Clintons Wahlkampf schadeten. Nach Einschätzung westlicher Geheimdienste und IT-Sicherheitsexperten stand hinter den Hackern der russische Geheimdienst.

So scheiden sich an Assange die Geister. Seine Anhänger feiern ihn wie einen Helden: Für sie ist der Australier ein unerschrockener, charismatischer Kämpfer für die Gerechtigkeit und ein brillanter Enthüllungsaktivist, ein präziser Analytiker mit einer gehörigen Portion Mut. Zu ihm hielten auch Prominente, die ihn in der Botschaft besuchten, darunter Popstar Lady Gaga, US-Bürgerrechtler Jesse Jackson, Schauspielerin Pamela Anderson und Modemacherin Vivienne Westwood. Anderson wetterte am Donnerstag an die Adresse der US-Regierung, da seien "Teufel, Lügner und Diebe" am Werk.

Doch es gibt auch Weggefährten, die ein anderes Bild von dem 47-Jährigen zeichnen: Er sei ein Egomane mit Zügen des Wahnsinns, herrschsüchtig, ein "hyperventilierender Chatroom" und voll tiefer Missachtung für diejenigen, die er nicht mag.

Siegeszeichen bei Verhaftung

Assange flüchtete in die Botschaft, um sich einer Auslieferung nach Schweden zu entziehen. Assange war dort vorgeworfen worden, 2010 zwei Frauen vergewaltigt und sexuell genötigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte die Ermittlungen im Mai 2017 eingestellt, weil sie keine Möglichkeiten sah, diese weiterzuführen. Eine der Frauen will nun, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden. Die Verjährungsfrist für den Fall läuft Mitte August 2020 ab.

Assange zeigte sich am Donnerstag nicht eingeschüchtert, als er sich zum ersten Mal seit sechs Jahren und fast zehn Monaten wieder außerhalb der Botschaft bewegte. Er zeigte seinen Anhängern und der Presse das Siegeszeichen und einen erhobener Daumen.

Als Jugendlicher soll sich Assange Zugang zu Rechnern etwa des US-Verteidigungsministeriums und der Weltraumbehörde Nasa verschafft haben. 2006 gründete er mit dem US-Architekten John Young und Freunden Wikileaks als Plattform für Enthüllungen im Internet. Zu dem dort veröffentlichten Material gehörte auch das Handbuch zum Umgang mit Gefangenen im umstrittenen US-Lager Guantánamo auf Kuba.

Assange brach Versprechen

Schon seine Kindheit war ungewöhnlich. Assange wurde 1971 im australischen Townsville geboren. Er musste viel mit seinen Eltern umherziehen, die ein Wandertheater leiteten. 37 Schulen soll er besucht haben. Bereits als 18-Jähriger wurde er Vater eines Sohnes; es folgte schon bald ein erbitterter Sorgerechtsstreit.

Whistleblowerin Chelsea Manning war eine der wichtigen Quellen für die Enthüllungen im Irak, flog auf und kam ins Gefängnis. Assange hatte angekündigt, sein Asyl in London aufzugeben und freiwillig in die USA zu gehen, falls Manning freikomme. Als sie nach der Begnadigung durch US-Präsident Barack Obama 2017 tatsächlich das Gefängnis verlassen durfte, feierte Assange dies als Sieg - löste sein Versprechen aber nicht ein. Im März 2019 wurde Manning erneut festgenommen. Laut "Washington Post" hatte sie sich zuvor geweigert, vor Gericht Fragen zu Wikileaks und Assange zu beantworten.

Gesundheitliche Probleme

In den vergangenen Monaten verschlechterte sich Assanges Lage im Botschaftsasyl zusehends; die Spannungen mit Ecuador nahmen zu. Der linksgerichtete ecuadorianische Präsident Rafael Correa hatte Assange einst das Botschaftsasyl aus humanitären Gründen gewährt. Correas Nachfolger Lenin Moreno wollte diesen Zustand jedoch beenden.

Das Exil soll Assange auch krank gemacht haben. "Sein Körper gibt langsam auf, er hat schon Herzprobleme, eine chronische Lungenentzündung und starke Schulterschmerzen", sagte seine Mutter einmal dem australischen Sender ABC.

Die Proteste von Assange-Anhängern vor der Botschaft und dem Londoner Gericht, aber auch von Politikern belegen die Brisanz des Falls. Correa bezeichnete die Aufhebung des Asyls als ein Zeichen der "Feigheit und menschlicher Misere" des neuen Staatschefs Moreno. Linke-Chefin Sahra Wagenknecht forderte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, Assange politisches Asyl anzubieten.


  © dpa

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