Razzien in Hessen und Berlin rücken die Terrorgefahr in Deutschland wieder in den Fokus. Die Aktion diene dem Sicherheitsgefühl der Menschen, sagt eine Terrorexpertin. Die Gefahr wird aber weiterhin bestehen bleiben.

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Fast drei Monate lang hatte die Polizei den Mann observiert, bevor sie zuschlug: In Frankfurt nahmen die Beamten in den Morgenstunden einen 36-jährigen Tunesier fest, der am blutigen Terroranschlag auf das Bardo-Museum in Tunis vor rund zwei Jahren beteiligt gewesen sein soll.

Zeitgleich durchsuchten 1.000 Polizisten in einer Großrazzia gegen die salafistische Szene in Hessen 54 Gebäude. Sie nahmen 15 weitere Verdächtige in Gewahrsam, sie sollen Menschen für den bewaffneten Dschihad angeworben und zum IS geschleust haben.

In Berlin hatten die Sicherheitsbehörden zuvor drei Männer festgenommen, die mit dem Attentäter vom Breitscheidplatz, Anis Amri, in Kontakt gestanden haben sollen.

"Das war auch ein Zeichen an die Bevölkerung", sagt Susanne Schröter, Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Nach dem Anschlag von Anis Amri herrschte extreme Verunsicherung."

Terrorexperten und Politiker aller Parteien hatten den Sicherheitsbehörden im Fall Amri Versäumnisse vorgeworfen, nun gehen sie offenbar konsequenter vor.

Der hauptverdächtige Tunesier aus Frankfurt war wie Amri aus der Abschiebehaft entlassen worden, allerdings nicht vorzeitig, sondern nach den maximal möglichen 40 Tagen. Danach überwachte ihn das hessische Landeskriminalamt rund um die Uhr. Er habe um sich herum ein salafistisches Netzwerk geschaffen, den IS unterstützt und Terroranschläge in Deutschland verüben wollten, teilte das LKA Hessen mit.

Damit rückt aber auch die Frage in den Vordergrund: Wie groß ist die Terrorgefahr durch Salafisten?

Salafisten haben Zulauf

"Nicht jeder Salafist ist ein Terrorist, aber nahezu jeder Terrorist hat Kontakte zu Salafisten", sagte der ehemalige Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, vor einigen Jahren. Wörtlich bedeutet "Salafist" so etwas wie "Altvordere", die Anhänger dieser ultrakonservativen Strömung vertreten eine Rückbesinnung auf einen frühen Islam. Der Verfassungsschutz geht derzeit von etwa 8.500 Salafisten in Deutschland aus, Tendenz steigend.

Islamforscherin Susanne Schröter sieht die Gefahr des Salafismus vor allem darin, dass er attraktiv für migrantische muslimische Jugendliche sei. "Sie haben eigene Musik, eigene Kleidung, eigene Symbole."

Und einige Mittel zur Provokation – wie die Vollverschleierung oder die Verweigerung des Handschlags mit Frauen. Deswegen, so Schröter, sei der Salafismus nicht nur ein Fall für die Sicherheitsbehörden, sondern auch für die Präventionsarbeit. "Das wird das Thema der nächsten zehn Jahre. Aber da stehen wir ganz am Anfang." Auch nicht integrierte Flüchtlinge zählen zu den Zielgruppen der Salafisten, meint Susanne Schröter. "Salafistische Gruppen versuchen, Zugriff auf Geflüchtete zu bekommen. Es fehlt uns die Manpower, etwas dagegen zu tun."

Der Wille ist da, aber kein Weg

"Solange der Salafismus eine Gegenkultur ist, wird es einen gewaltbereiten Flügel geben", sagt Schröter voraus. Für Hessen schätzt der Verfassungsschutzbericht 2015 den Anteil auf ein Viertel der Szene.

Allerdings ist die Forschung uneinig darüber, ob Salafismus überhaupt die Radikalisierung befördert, oder ihr im Gegenteil vorbeugt, sagt Jannis Jost, Terrorexperte am Institut für Sicherheitspolitik Kiel, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Die Szene ist sehr heterogen."

Nach der sogenannten Fließbandtheorie führt der Weg über die Islamisierung in die Radikalisierung, demgegenüber steht die These, dass gefestigte Muslime nicht so anfällig sind für gewalttätige Radikalisierung. Dafür sprechen die Biografien von gescheiterten Kleinkriminellen wie Anis Amri, die zu Attentätern werden.

Wie groß die Bedrohungslage wirklich ist, lasse sich schwer sagen, meint Jost. "Der Verfassungsschutz benutzt den Begriff 'abstrakt hoch', das klingt zwar auch abstrakt, ist aber richtig. Es gibt ohne Zweifel viele gewaltbereite Salafisten, die keine konkreten Aktionen planen." Abstrakt bedeutet: Der Wille ist da, aber kein Weg.

Razzien werden zunehmen

Nach Angaben der Polizei hatte auch das salafistische Netzwerk, das sie heute zerschlagen hat, noch keine konkreten Terroranschläge geplant. Allerdings, gibt Jost zu bedenken, werde der Aufwand immer geringer. "Wir beobachten zunehmend Anschläge, die wenig Vorbereitungszeit brauchen. Mit Messern oder eben Kraftfahrzeugen, wie Anis Amri. Das ist besorgniserregend."

Jost geht davon aus, dass es in Deutschland vermehrt zu Razzien kommen wird, nicht nur gegen Salafisten, sondern auch gegen radikale linke und rechte Gruppierungen. "Daran werden wir uns gewöhnen müssen. Die Frage ist: Was machen wir damit?"

Tatsächlich wurde die Sicherheitsfrage nach dem Anschlag von Anis Amri heftig und emotional diskutiert. Ein Zeichen dafür, dass die Bevölkerung die neue Lage noch nicht ganz realisiert hat. "Wir Deutsche dachten lange, bei uns werde es keine Anschläge geben", sagt Islamforscherin Susanne Schröter. "Jetzt stellen wir fest: Das stimmt nicht."

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