• Der Streit um die Besetzung eines wichtigen Gerichtsposten in Baden-Württemberg sorgt bundesweit für Aufsehen.
  • Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) unterstützt das Vorgehen seiner Justizministerin, was für Kritik sorgt.
  • Der Deutsche Richterbund und die Opposition im Landtag sprechen von einem Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz.

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Die Äußerungen von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) zum Streit um den Spitzenposten am Oberlandesgericht Stuttgart stoßen auf Unverständnis des Deutschen Richterbunds (DRB). Die Bundesvorsitzenden Andrea Titz und Joachim Lüblinghoff kritisierten am Mittwoch, dass der Politiker das Vorgehen von Justizministerin Marion Gentges (CDU) unterstützt.

Die CDU-Politikerin ist gegen den Vorschlag eines aus Richterinnen und Richtern zusammengesetzten Gremiums und bringt eine andere Kandidatin als neue Präsidentin für das Stuttgarter Oberlandesgericht ins Spiel. Weil diese aber vom sogenannten Präsidialrat abgelehnt wurde, hat das Ministerium eine einstweilige Verfügung beantragt, damit das Verwaltungsgericht über die Frage entscheiden kann.

Richterbund: "Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz"

Gentges argumentiert, dass ihre Kandidatin einen "Vorsprung" in dem Bewerbungsverfahren gehabt habe. Es gehe nun um die Frage, ob der Präsidialrat eine Personalentscheidung kontrolliere oder durch eine eigene Entscheidung ersetzen könne. Er sei in dem Verfahren nicht richterlich tätig, sondern nehme die Aufgabe eines Mitbestimmungsorgans wahr, so die Politikerin.

Titz und Lüblinghoff erklärten: "Das Beteiligungsrecht des Präsidialrats in Baden-Württemberg hat sich bislang bewährt." Es entgegen der gesetzlich vorgesehenen Mechanismen zu beschneiden, bedeute einen Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz. "Vom Ministerpräsidenten des Landes hätten wir daher eine klare Positionierung im Sinne der Justiz erwartet."

Kretschmann hatte erklärt, der Antrag auf eine einstweilige Verfügung sei nicht unbegründet. Es müsse eine Klarheit geschaffen werden zwischen den Gewalten. Die Urteile von Gerichten haben aus Sicht Kretschmanns zwar immer das letzte Wort. "Aber wie sich die Gewalten gegeneinander aufstellen, das ist natürlich auch eine Frage des Justierens der Gewalten untereinander."

Boris Weirauch: "Einmaliger Vorgang in der Geschichte des Landes"

Justizministerin Gentges sagte am Dienstag , dass der Präsidialrat des Gerichts ihre Kandidatin zur Kenntnis genommen und einen eigenen Vorschlag gemacht habe, sei "grob rechtswidrig." Die Oppositionsparteien FDP und SPD im baden-württembergischen Landtag kritisierten das Verhalten der Politikerin. Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Boris Weirauch, sagte: "Die Klage von Ministerin Gentges ist ein Frontalangriff auf die Justiz."

Dass sie die Richterschaft verklage, weil ihr dessen Personalentscheidung bei der Besetzung des OLG-Präsidentenamtes nicht passe, sei in der Geschichte des Landes ein einmaliger Vorgang. Und der FDP-Politiker Nico Weinmann fügte hinzu, das Vorgehen der CDU-Politikerin habe das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Justiz beschädigt. Es gebe einen großen Vertrauensverlust.

Kritik von Opposition in Baden-Württemberg

Der Vorgang rund um die OLG-Kandidatur und die Nachfolge von Cornelia Horz hat Seltenheitswert in der jüngeren Justizgeschichte. Die bisherige OLG-Präsidentin ist seit Mai im Ruhestand. Gentges hatte für den OLG-Leitungsposten die Abteilungsleiterin im Justizministerium, Beate Linkenheil, favorisiert – und dem Präsidialrat der Richter vorgeschlagen. Dieser darf überprüfen, ob Fehler vorliegen. Dort wurde Linkenheil allerdings abgelehnt. Der Präsidialrat sprach sich für Andreas Singer aus, den Präsidenten des Stuttgarter Landgerichts.

Ein vor Pfingsten geführtes Einigungsgespräch blieb erfolglos. Das Gesetz sieht in diesem Fall vor, dass dann der Richterwahlausschuss angerufen werden soll. Ihm gehören Vertreter der Richterschaft und der Landtagsparteien an. Unter den acht höchsten Chefposten in der Südwest-Justiz gibt es aktuell keine Frau. Der Deutsche Richterbund Baden-Württemberg wirft der Ministerin vor, den jahrzehntelangen Konsens über die Aufgaben und Befugnisse des Präsidialrats aufzukündigen. (dpa/okb)

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