• Sie nimmt in Deutschland eine Schlüsselposition in der Bewältigung der Corona-Pandemie ein: die Ständige Impfkommission (Stiko).
  • Das Expertengremium gibt hierzulande Ärzten wichtige Impfempfehlungen.
  • Nach der Bekanntgabe seiner jüngsten – eingeschränkten – Empfehlung für Corona-Impfungen bei Kindern steht das Expertengremium abermals in der Kritik.
Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzung des Autors und der zu Wort kommenden Experten einfließt. Hier finden Sie Informationen über die verschiedenen journalistischen Textarten.

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Es ist das derzeit in Deutschland wohl exponierteste Ehrenamt: der Vorsitz der Ständigen Impfkommission, kurz Stiko. Viel Verantwortung, noch dazu für die Gesundheit von Dutzenden Millionen Menschen. Aber auch viel Kritik, von Impfgegnern und Skeptikern natürlich, aber seit Längerem auch von klaren Impfbefürwortern.

Denn das Expertengremium nimmt in der Impfkampagne der Bundesrepublik eine Schlüsselrolle ein: Es ist an das Robert-Koch-Institut angedockt und hat die Aufgabe, "Impfempfehlungen für Deutschland auf Basis aktueller, evidenzbasierter wissenschaftlicher Erkenntnisse zu erarbeiten". Ärzte in Deutschland orientieren sich in aller Regel an den Beschlüssen und impfen auf Basis der Empfehlungen.

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Aber je später die kommen, desto weiter verschieben sich Impfungen nach hinten und desto mehr Menschen infizieren sich und erkranken. In der Corona-Pandemie wird das zum Problem: Deutschland habe "auch aufgrund von immer wieder im Vergleich relativ späten Empfehlungen der Ständigen Impfkommission" mehrmals später als andere Länder mit den Immunisierungen in bestimmten Gruppen begonnen, kritisierte Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) am Dienstag. So hatte die Kommission noch bis 10. September keine Impfung von Schwangeren empfohlen, und auch bei der Impfempfehlung für Zwölf- bis 17-Jährige ließ sie sich Zeit. Booster-Impfungen empfahl die Stiko zunächst nur für Menschen ab 70 Jahren, erst Mitte November folgte die allgemeine Empfehlung für alle Erwachsenen.

Weil sich die Stiko in der Coronakrise für ihre – durchaus weitreichenden – Entscheidungen sehr viel Zeit nimmt, aus Sicht von Kritikern zu viel, steht sie unter Druck. Der aktuelle Streitpunkt: Sollen, wenn möglich, alle Fünf- bis Elfjährigen gegen das Coronavirus geimpft werden?

EMA lässt Corona-Impfungen für Kinder ab fünf Jahren zu

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat dafür grundsätzlich am 25. November grünes Licht gegeben und das Corona-Vakzin der Hersteller Pfizer/Biontech für Kinder ab fünf Jahren in Europa zugelassen.

Einige Länder haben schon reagiert: Die italienische Arzneimittelagentur Aifa genehmigte die Kinder-Impfung gegen COVID-19 am 1. Dezember, die zuständigen Behörden in Spanien und Portugal folgten am Dienstag. Und Deutschland?

Die Stiko empfahl am Donnerstag Corona-Impfungen lediglich für Fünf- bis Elfjährige, die Vorerkrankungen und Kontakt zu Risikopatienten haben. Gesunde Kinder sollen auf Wunsch und nach ärztlicher Aufklärung geimpft werden können. Der spezielle Impfstoff soll in Deutschland ab 13. Dezember ausgeliefert werden.

Auch für Gesundheitsminister Lauterbach geht es zu langsam

Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach macht keinen Hehl daraus, dass ihm die Entscheidungen zu lange dauern. "Wir werden über die Geschwindigkeit der Stiko auf jeden Fall Gespräche führen. Das muss schneller gehen", sagte der SPD-Politiker in einem Interview mit dem "Spiegel". Zugleich verwies er auf die Unabhängigkeit der Institution, insbesondere und gerade von der Politik. "Die Stiko muss vollkommen frei sein in ihrer Entscheidungsfindung." Damit dies weiter möglich ist, will Lauterbach die Stiko personell aufstocken.

Deren Vorsitzender ist seit 2017 Thomas Mertens, emeritierter Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Ulm. Er hatte sich zuvor beklagt, stellenweise von der Politik alleingelassen worden zu sein. "In der Situation einer Pandemie hätte man eine bessere Personalausstattung sicher gut gebrauchen können", sagte er.

Glaubt man Lauterbach, so soll Mertens die bekommen. Das könnte auch die Bekanntgabe von Empfehlungen beschleunigen. Ausgerechnet Mertens hat diese aber in der Vergangenheit immer wieder selbst untergraben. Er hat persönliche Empfehlungen gegeben, noch bevor die Stiko sich offiziell geäußert hatte. Auch im aktuellen Fall: Noch bevor die Kommission ihre Einschätzung zur Impfung von Fünf- bis Elfjährigen verkündet hatte, war ihr Chef am 3. Dezember vorgeprescht: Er würde ein etwa sieben Jahre altes Kind derzeit nicht gegen Corona impfen lassen, wenn er als Vater die Entscheidung zu treffen hätte, erklärte Mertens in einem Podcast der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Stiko-Chef würde seine Enkel nicht impfen lassen

Die Aussage des Experten sorgte für Verwirrung – und für Verunsicherung bei Eltern. Umso mehr, als dass sich Mertens nicht zum ersten Mal öffentlich deutlich positionierte: Nein, er würde seine Enkel, gesunde Kinder, nicht impfen lassen, hatte der Virologe bereits im Juli gesagt. Es kam dann doch anders: Die Stiko aktualisierte im August ihre COVID-19-Impfempfehlung und sprach sich nunmehr dafür aus, alle Zwölf- bis 17-Jährigen impfen zu lassen.

Gerade dieses Hin-und-Her lässt das Vertrauen der Bevölkerung in das Expertengremium bröckeln – zur Unzeit, auf dem Höhepunkt der vierten Welle und bei weiterhin im europäischen Vergleich unterdurchschnittlichen Impfquoten.

Wie ist die Datengrundlage?

Warum ist Mertens bei den Kinder-Impfungen so zurückhaltend? Er verwies am Donnerstag auf fehlende Daten: "Die Datengrundlage für eine generelle Empfehlung ist im Augenblick aus Sicht der Stiko nicht gegeben", sagte Mertens der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Es gibt zwar keinen direkten Hinweis auf ein Risiko der Impfung in dieser Altersgruppe, aber es gibt eben auch keine ausreichend sichere Datenbasis, um die Sicherheit abschließend zu bewerten."

Die Zulassungsstudie für den geringer dosierten Kinder-Impfstoff sei viel zu klein gewesen, um sehr seltene Nebenwirkungen auszuschließen. "Das ist ein Problem, vor dem wir stehen", sagte Mertens. Zugleich betonte er: An der Wirksamkeit des Kinder-Impfstoffs von Biontech/Pfizer gebe es keine Zweifel.

Insbesondere der Verweis auf zu wenig Daten sorgte bei einigen Beobachtern für Verwunderung. Allein in den USA haben nach Angaben der dortigen Gesundheitsbehörde CDC bisher rund fünf Millionen Kinder zwischen fünf und elf Jahren mindestens eine Impfung erhalten. Auch Kanada und Israel haben Zehntausende Kinder zumindest erstgeimpft. Über ernsthafte Nebenwirkungen ist bisher nichts bekannt geworden.

Millionen geimpfte Kinder in den USA

Die Daten aus den USA sind Mertens zufolge noch nicht sicher. Den meisten Kindern fehle noch die zweite Impfung. "In den USA gibt es wie bei uns ein Spontanmeldeverfahren von Nebenwirkungen und man muss von einem längeren Meldeverzug ausgehen. Wir haben von Kollegen aus den USA mündlich berichtet bekommen, dass es dort sehr wenige, gut verlaufene Fälle von Herzmuskelentzündungen nach Impfungen auch bei Fünf- bis Elfjährigen gegeben hat." Aber über die Häufigkeit und Bedeutung könne man im Moment nichts sagen.

Gesundheitsminister Lauterbach sieht das anders: Er findet die Daten aus den Vereinigten Staaten "sehr überzeugend". "Obwohl genau auf mögliche Komplikationen wie eine Herzmuskelentzündung geachtet wurde, ist nicht eine einzige davon aufgetreten", sagte Lauterbach im "Spiegel"-Interview. Ihm zufolge ist die Stiko dabei, "ihre Empfehlung zu finalisieren".

Das heißt: Die Einschränkung bei der Empfehlung könnte am Ende wegfallen. Wieder Zickzack. Aus Mertens Sicht und "im Sinne der Sicherheit" ist das "ein vernünftiges Vorgehen". Stiko-Empfehlungen seien nie in Stein gemeißelt, sondern gäben den jeweiligen Stand des internationalen Wissens wieder, betonte Mertens. "Wenn sich die einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse ändern, dann kann auch eine Anpassung nötig werden."

Mertens räumte Versäumnisse bei Stiko-Entscheidungen ein

Dazu gehört auch Selbstkritik. So räumte der Stiko-Vorsitzende durchaus Versäumnisse bei Entscheidungen seines Gremiums ein. "Aus heutiger Perspektive" habe die Stiko bestimmte Entscheidungen zu spät getroffen, sagte Mertens dem ARD-Politikmagazin "Panorama" vergangene Woche mit Blick auf Corona-Auffrischungsimpfungen.

Rückblickend sagte Mertens, wäre es "wahrscheinlich günstiger gewesen, mit dem Boostern früher anzufangen". Bei den Impfungen von jüngeren Kindern könnte es am Ende genauso sein.

Mit Material von dpa und AFP.

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