Die ARD sendet die weitgehend Politik befreite Filmadaption von Houellebecqs "Unterwerfung" - und Sandra Maischberger diskutiert danach über Schweinefleisch in Kitas. Ein Abend, an dem wenig zusammenpasst.

Eine Kritik

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Man muss sich schon fragen, ob sich Sandra Maischberger die Verfilmung von Michel Houellebecqs "Unterwerfung" überhaupt angesehen hat.

Seit Tagen trommelte die ARD für die ungewöhnliche Roman-Adaption, der sie im Anschluss gleich eine Diskussionsrunde bei "Maischberger" spendierte, für so "provokativ" (RBB-Filmchefin Martina Zöllner) hält sie den Film.

Der Sender ließ das Duett unter dem Label "Themenabend" laufen, warum, das wird das Geheimnis der ARD bleiben - genauso gut hätte man "Arielle die Meerjungfrau" zeigen und anschließend über Plastikmüll in den Weltmeeren debattieren können.

Das war das Thema bei Maischberger

So ganz entgangen ist der Redaktion der Streit um Frank Plasbergs "Hart aber fair"-Sendung am Montag und die Talkshows im Allgemeinen dann doch nicht. Zunehmend regt sich Widerstand gegen die einseitige Themenauswahl, viele Kritiker meinen, Anne Will und Co. erledigten den Job der AfD, weil es nur noch um Flüchtlinge und Integration geht.

Auch "Maischberger" setzte zur Feier des "Themenabends" ungerührt einen Talk zur Frage "Sind wir zu tolerant gegenüber dem Islam?" an, änderte nach vehementer Kritik an der ausgrenzenden "Wir"-Formulierung dann aber immerhin den Titel: "Die Islamdebatte: Wo endet die Toleranz?", hieß es dann.

Ein Themenabend als Aufhänger

Wer dafür die zuvor ausgestrahlte Verfilmung des Buchs von Michel Houellebecq "Unterwerfung" als Aufhänger nutzen will, muss viel Fantasie haben.

Der Autor entwirft in dem Roman die Dystopie eines Frankreichs unter der Scharia, ausgeliefert von schlaffen, liberalen Intellektuellen an einen charismatischen muslimischen Politiker, der in der Präsidentschaftswahl gegen die rechtsradikale Marine Le Pen triumphiert und das Land in eine Art Saudi-Arabien-Light verwandelt.

Ein literarisches - und polemisches - Gedankenexperiment, für das er Applaus von rechts einheimste. Kritiker warfen ihm dagegen - mit durchaus validen Argumenten - Islamophobie vor.

Die ARD-Verfilmung von Titus Selge streift die politische Dimension aber nur gänzlich am Rande, sie konzentriert sich auf die Hauptfigur François, einen erbärmlichen Frauenhasser in der Midlife-Crisis.

Selge montiert Ausschnitte aus der Theaterfassung in Hamburg mit Filmszenen und Mockumentary-Einsprengseln, ein interessantes Spiel mit verschiedenen Reflektionsebenen, im Zentrum steht aber die Charakterstudie des Literaturprofessors François, der auf seinem Selbstfindungstrip beim Islam landet - weil es der Karriere dient, und weil ihn das Konzept Vielehe überzeugt.

Ein beinharter Opportunist also, der sich sicher auch mit dem anderen möglichen Ausgang der Wahl hätte anfreunden können: einem Sieg des rechtsradikalen Front National. Ein Szenario, das Michel Houellebecq übrigens selbst in Interviews als das wahrscheinlichere bezeichnet hat - aber das hält Sandra Maischberger nicht von einer Islamdebatte ab.

Diese Gäste diskutierten mit Sandra Maischberger

  • Natascha Kohnen von der Bayern-SPD. Sie hätte sicher einiges zu sagen gehabt, wie in ihrer leidenschaftlichen Landtagsrede aus dem Februar 2016 an die Adresse der CSU: "Seit drei Monaten gehen Sie dem ganzen Land auf die Nerven mit ihrem populistischen Rausgeplärre." Aber ihr Flieger wurde von einem Gewitter gestoppt.
  • Maischberger lud stattdessen die taz-Journalistin Bettina Gaus ein - ein Glücksfall, weil Gaus Ruhe in die aufgeheizte Debatte brachte, und einen Standard, der allzu oft unterlaufen wird: Sie wies auf die geltende Rechtslage in Deutschland hin, die in vielen Fällen die Frage nach der Grenze der Toleranz sehr eindeutig beantwortet.
  • Ähnlich zurückhaltend, für seine Verhältnisse fast unmotiviert, argumentierte ihr Nebenmann Jan Fleischhauer vom "Spiegel",
  • Agrarministerin Julia Klöckner war für die "Stimmung" in der Runde verantwortlich.
  • Dann war da noch Haluk Yildiz, der Chef der Migrantenpartei BIG und seine große Widersacherin, die Islamkritikerin Necla Kelek, die nach einigen Scharmützeln mit ihrem Sitznachbarn dazu überging, ihn schlicht zu ignorieren.

Das war der Schlagabtausch des Abends

"Ich kann das nicht mehr hören", entfuhr es Julia Klöckner. "Es ist 2018." Die Agrarministerin wollte sich von BIG-Chef Haluk Yildiz nicht belehren lassen, warum manche Imame ihr nicht die Hand geben. "Es geht mir nicht um einen Händedruck", sagte sie, "sondern um das Denken dahinter."

Aus ihrer Sicht stehe dahinter ein "krudes Frauenbild" - wegen dem etwa muslimische Mädchen teils nicht in den Schwimmunterricht gehen dürfen. So weit, so oft gehört.

Dass sie zu den Politikerinnen gehört, die den umstrittenen Paragrafen 219a verteidigen, mit dessen Hilfe radikale Christen Ärzte vor Gericht zerren, die über Abtreibungen informieren, das erwähnt die spätberufene Frauenrechtlerin übrigens nicht.

Ganz die Fassung verliert sie, als Yildiz ihr vorwirft, sich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu bewegen. "Ich habe einen Eid auf das Grundgesetz geleistet, einer Ministerin so was zu unterstellen, das lasse ich nicht mit mir machen."

So hat sich Sandra Maischberger geschlagen

Nicht nur in dieser Situation musste Sandra Maischberger eine Art Super-Nanny sein. Vor allem Yildiz, der Typus vorlauter Zwischenrufer, kassierte ein ums andere Mal Ordnungsrufe der Gastgeberin.

Ihr typischer Satzanfang an diesem Abend: "Die Debatte ist schon aufgeheizt genug …"

Immerhin ließ sie sich von der Aufpasserrolle nicht ermüden, Julia Klöckner entband sie auch nach dem dritten Ausreißversuch nicht von der Frage, was sie von Markus Söders Kreuzerlass hält. Und es ward Antwort: "Ich hätt’s nicht gemacht." Hartnäckigkeit zahlt sich manchmal eben aus.

Das sind die Erkenntnisse des Abends

"Hier geht einiges durcheinander", konstatierte Bettina Gaus kurz vor Sendeschluss, und Maischberger kommentierte das mit einem flapsigen "wie immer".

Insgeheim weiß sie vielleicht sogar, wie recht sie damit hat. Auch die gefühlt 100. Talkshow des Jahres zum Thema Islam/Muslime/Integration bietet altbekannte Meinungen und viel zu wenig Fakten.

Bezeichnend etwa, dass Jan Fleischhauer den Chef der Kleinstpartei BIG, Haluk Yildiz, für einen Vertreter der Islamverbände hält. Es wäre doch einmal interessant zu erfahren, wer in Deutschland für welche und für wie viele Muslime spricht.

Oft werden die Moscheeverbände genannt, aber laut Studien gehen nur rund ein Drittel der Muslime in die Moschee.

Wie religiös sie sind, ob sie Julia Klöckner die Hand geben würden, das würde man gern erfahren. Gern von Experten, die nicht so offensichtlich gegen die "Herrenreligion" Islam wettern wie Necla Kelek.

Gute Diskussionen verlaufen eben nicht "holzschnittartig", wie Julia Klöckner richtig anmerkte, sondern orientieren sich an der Lebenswirklichkeit, ein Begriff, der oft fiel an diesem Abend, und der einen guten Ansatz liefert, wie man umgehen kann mit den ganz konkreten Fragen des Zusammenlebens.

Zur oft hochemotionalen Frage, ob Kitas aus Rücksicht auf muslimische Kinder auf Schweinefleisch verzichten sollten, fällt Klöckner eine einfache Formel ein: "Wenn sich alle gemeinsam darauf einigen, okay; wenn jemandem etwas verboten wird, ist das übergriffig."

Ohnehin scheint es nicht die schlechteste Idee zu sein, einen Gang runterzuschalten. Wenn Diskurshochleistungsmaschine Jan Fleischhauer das kann, wird man das auch jedem anderen zumuten können.

Der "Spiegel"-Kolumnist sagte über das Houellebecqsche Islamisierungs-Szenario einen schönen Satz: "Ich glaube nicht, dass der Muslim schafft, was Waldsterben, Aids und Vogelgrippe nicht geschafft haben".

Also wäre es vielleicht auch an der Zeit, mal wieder über andere Dinge zu reden. Über Bildung zum Beispiel, wie Bettina Gaus anregte, als Kelek lange über Probleme in Schulen mit hohem Migrantenanteil redete, über schlechte Deutschkenntnisse, den fehlenden Respekt gerade gegenüber Lehrerinnen.

"Da werden Ursache und Wirkung vertauscht", sagte Gaus. "Solche Schulen machen immer Probleme, aber das ist nicht die Schuld der Muslime, sondern der Bildungspolitik, die nicht genug Geld in die Hand nimmt."

Das wäre doch mal ein Talk-Thema, oder?

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