Auf dem SPD-Parteitag am Sonntag entscheidet sich, ob Sozialdemokraten und Union Koalitionsgespräche beginnen. Bei Maybrit Illner sorgte das für eine lebhafte Diskussion, in der ein Politologe den "Boris Johnson der deutschen Politik" ausfindig machte.

Eine Kritik

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600 SPD-Mitglieder entscheiden am Sonntag beim Sonderparteitag der Sozialdemokraten, ob die Partei Koalitionsgespräche mit der Union aufnehmen wird.

Es ist der Showdown zwischen Parteichef Martin Schulz, der für eine neue GroKo wirbt und Kevin Kühnert, dem Chef der Jusos, der genau das verhindern will.

Am Donnerstag saß der "Rebellenführer" bei Maybrit Illner. Den Schulz-Fürsprecher gab Stephan Weil, SPD-Ministerpräsident von Niedersachsen und GroKo-Befürworter.

Der eine argumentierte vehement gegen die Fortsetzung des Bündnisses, der andere machte sich dafür stark. "Wir dürfen nicht immer wieder den gleichen Fehler machen. Die SPD wird gebraucht, aber nicht als Mehrheitsbeschafferin der Union", mahnte Kühnert und verwies auf das aus seiner Sicht wenig mutige Sondierungspapier und die notwendige Erneuerung der Partei in der Opposition.

Zugleich verwahrte er sich dagegen, seine Anti-GroKo-Kampagne führe zu einer Spaltung der Partei. Zumindest das sah Weil genau so.
Der niedersächsische Ministerpräsident betonte indes die historische Verantwortung der SPD. "Wir haben nie gekniffen und das machen wir auch diesmal nicht."

Zudem sei eine Erneuerung auch in einer Regierung möglich. "Dafür gibt es einige historische Beispiele."

Handelsblatt-Chef: Keinerlei Willen zum Gestalten

Einen Fan hatte Kühnert in Gabor Steingart vom Handelsblatt gefunden. Der als neoliberal geltende Journalist lobte den Juso-Chef als mutig. "Er hat einen Punkt in der Debatte gesetzt. Revolte beginnt damit, dass jemand aufsteht und Nein sagt."

Damit sei eine notwendige Diskussion angestoßen worden. Steingart kritisierte das Sondierungspapier scharfzüngig.

Er sah darin keinerlei Willen der Parteien zum Gestalten, sondern lediglich eine "Erhaltung des Status quo". Mit Verteilungsthemen statt Zukunftsvisionen.

Julia Klöckner, stellvertretende CDU-Vorsitzende, sah das anders. Sie betete die Vorzüge des Papiers herunter und machte sich für die Fortsetzung der großen Koalition stark. "Es hilft, wenn man etwas Realitätssinn an den Tag legt", gab sie Kühnert mit auf den Weg.

Illners Frage, ob die Union in den Sondierungen gegenüber der SPD teils so vorsichtig gewesen sei, weil das Scheitern der GroKo Merkels Ende bedeuten könne, ließ die gefasste Klöckner abprallen.

"Glauben Sie, dass die CDU Herrn Spahn aufbietet?"

Da hatte sich Politologe Albrecht von Lucke schon mehrfach in Rage geredet. Er sprach von einem "katastrophalen Wahlkampf" der SPD, einer "kopflosen Führung" und dem Fehler, sich durch die zunächst klare Ablehnung einer erneuten großen Koalition "regelrecht besoffen" und "wie die Sieger" gefühlt zu haben.

Nun ist der Kater gekommen. In aktuellen Umfragen ist die Partei für den Schlingerkurs abgestraft worden und auf 18 Prozent abgestürzt.

Besonders brachte von Lucke Handelsblatt-Chef Steingart auf die Palme, dem er Vorwarf, eine "große Disruption" zu wollen, ein radikales Aufbrechen der bestehenden Verhältnisse.

Doch was würde nach dem Abgang von Angela Merkel und Schulz kommen? "Glauben sie allen Ernstes, dass die CDU anschließend Herrn Spahn aufbietet? Und die CSU einen Dobrindt? Mit Merkel, so von Lucke, habe die Union "die allergrößte Chance, als die letzte aller großen Volksparteien übrig zu bleiben".

An Juso-Chef Kühnert und alle anderen Abweichler appellierte er, die vier Jahre zum Gestalten zu nutzen und sich der Verantwortung in Zeiten des Brexit und der ehrgeizigen Europa-Pläne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu stellen. "Ihr werdet diese vier Jahre nicht noch mal haben."

"Boris Johnson der deutschen Politik"

Kühnert beeindruckte das wenig. Er wies den Vorwurf zurück, im Falle von Neuwahlen für ein möglicherweise noch schlechteres Wahlergebnis verantwortlich zu sein und so den Niedergang der SPD zu beschleunigen. Der Juso-Chef machte sich eher Gedanken darum, was in zehn Jahren "noch übrig geblieben ist von dem Laden".

Auch Luckes Einwurf, bei einem "Nein" der SPD zur GroKo werde er zum "Boris Johnson der deutschen Politik", ließ der 28-Jährige cool abprallen.

Der britische Brexit-Frontmann Johnson hatte mit dem Anti-EU-Referendum die Führung der Konservativen erledigt. Gleiches könnte Kühnert mit der SPD-Spitze gelingen.
Stephan Weil bemühte sich angesichts solcher Schreckensszenarien um Sachlichkeit. Ja, ein Nein des Parteitags würde die SPD "vor erhebliche Probleme stellen". Aber dies müsse nicht zwingend zum Rücktritt von Parteichef Martin Schulz führen.

Wie es am Sonntag auch ausgehen mag: Es steht einiges auf dem Spiel - für die SPD, für die Union, für Deutschland. Wie der Titel der Sendung schon sagte: "Schulz und Merkel zittern".

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