"Ist Europa wirklich in Gefahr?", fragt Sandra Maischberger kurz vor der Europawahl. Eine konkrete Antwort lieferte ihre Diskussionsrunde am Mittwochabend nicht. Aber immerhin wurde klar, wie viel tatsächlich auf dem Spiel steht, sollten sich die Nationalisten durchsetzen.

Christian Vock
Meine Meinung

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Noch knapp eineinhalb Wochen, dann entscheidet sich, wer ins Europäische Parlament einzieht. Es entscheidet sich aber damit auch, wie sehr Europa nach rechts marschiert.

Dementsprechend fragte Sandra Maischberger am späten Mittwochabend: "Die Schicksalswahl: Ist Europa wirklich in Gefahr?"

Mit diesen Gästen diskutierte Sandra Maischberger

  • Sarah Wiener, TV-Köchin und Grünen-Kandidatin
  • Udo van Kampen, langjähriger EU-Korrespondent
  • Viviane Reding, ehemaliger EU-Kommissarin
  • Nicola Beer, Spitzenkandidatin der FDP
  • Aleksandra Rybinska, polnische Journalistin
  • Dirk Schümer, Europakorrespondent der "Welt"

Darüber wurde gesprochen

Die EU: Über den viel zu oft zitierten Krümmungsgrad von Gurken und die Pommes-Verordnung versucht sich Sandra Maischberger an das Image der EU heranzutasten, was bei Udo van Kampen nur Kopfschütteln auslöst: "Man spricht zu wenig über die Vorteile, die die EU gebracht hat. Es wird konsumiert als ganz normal. (…) Es wird zu viel klein-klein geredet." Es gebe größere Themen wie Umwelt, Außenpolitik oder Sicherheit.

Das sieht auch Nicola Beer so, allerdings sei ihr die EU bei diesen großen Themen, wie zum Beispiel einer gemeinsamen Außenpolitik, nicht stark genug, insbesondere bei Konflikten wie dem in Venezuela oder mit dem Iran: "Ich vermisse eine europäische Stimme."

Polen und andere osteuropäische Länder: Hier versucht Aleksandra Rybinska die polnische Sicht zu erklären. Obwohl die Mehrheit der Polen EU-freundlich sei, würden sich viele als Europäer zweiter Klasse behandelt fühlen: "Man behandelt uns wie Kleinkinder."

Dirk Schümer kann diese Wahrnehmung verstehen und vermisst auf EU-Seite eine charismatische Persönlichkeit, die mit Dialogbereitschaft viele Entwicklungen hätte im Vorfeld entschärfen können: "Mir fehlt das Schmiermittel eines charismatischen Europapolitikers."

Der Aufschwung der Rechten und Nationalisten: Über Brexit-Treiber Nigel Farage kommt Maischberger zum Kernthema ihrer Sendung: Nationalisten als Gefahr für Europa. In Bezug auf den Brexit wirft Rybinska europäischen Politikern Selbstzufriedenheit und Brüssel mangelnde Selbstkritik vor. Man habe von Anfang an die Briten für den Austritt bestrafen wollen.

"Woher kommen die?", wollte Sandra Maischberger im Anschluss von der Runde über den Zulauf zu den Nationalisten und Rechten wissen. Zur Lage in Österreich sagte Sarah Wiener: "Es ist billig, mit Populismus Politik zu machen und Stimmen zu generieren, die nichts anderes auf dem Tapet zu haben, als Angst zu schüren."

Dirk Schümer ist sich sicher, dass der Nationalismus viel stärker ist, als wir alle dachten: "Der Nationalismus hat 1.000 Jahre Vorsprung vor der EU, die es seit 50 Jahren gibt. Und das rächt sich jetzt. (…) Jetzt in der Krise merkt man erst mal, was man an der EU hat."

Das Rededuell des Abends

Aleksandra Rybinska gegen den Rest der Runde. Anlass ist die Justizreform in Polen und die Maßnahmen, die die EU deshalb ergriffen hat. Rybinska verteidigt die Reform: "Wir sind der Meinung, dass die EU uns nicht vorschreiben kann, was für eine Justizreform wir durchführen können."

Die Sache mit dem Vorschreiben sieht Viviane Reding ganz anders: "Die Polen haben, um in die Europäische Union zu kommen, die Kopenhagener Kriterien unterschrieben. Und da ist die Rechtsstaatlichkeit eine Basis. Und bei der Rechtsstaatlichkeit gehört die Unabhängigkeit der Justiz, insbesondere des Obersten Gerichtshofs, zu den Basiselementen dessen, was eine Demokratie macht."

Worüber man auch hätte reden sollen

Über das Eigeninteresse der Rechten und Nationalisten: die Fremdenfeindlichkeit, die Aushöhlung des Rechtsstaats, die Angriffe auf die Pressefreiheit, das Spiel mit der Angst, das Ködern mit scheinbar einfachen Lösungen und so weiter.

Hier hätte der Runde sicher eine Stimme der Wissenschaft gut getan, die die Mechanismen und den Aufschwung der Nationalisten erklärt. Ansonsten hätte man insbesondere nach den Beiträgen von Aleksandra Rybinska den Eindruck gewinnen können, die EU sei am Erstarken des Nationalismus selbst schuld.

So schlug sich Sandra Maischberger

Akzeptabel, nur an der brisantesten Stelle der Diskussion verliert Maischberger ihre Durchsetzungskraft. Als Aleksandra Rybinska die Justizreform in Polen rechtfertigt und sich gegen eine Einmischung der EU wehrt, will Maischberger wissen, was Rybinska denn machen würde, wenn sich ein EU-Land in Richtung Diktatur entwickeln würde.

Doch statt hartnäckig auf einer Antwort zu bestehen, lässt sich Maischberger erst von Nicola Beer das Zepter aus der Hand nehmen und dann Rybinska ohne Antwort davon kommen: "Ich lass sie mit meiner Frage in Ruhe."

Das Fazit

"Ist Europa wirklich in Gefahr?", wollte Maischberger wissen. Eine konkrete Antwort auf diese Frage lieferte die Runde nicht, aber sie vermittelte immerhin ein kleines Bild davon, wo es Verbesserungsbedarf in der EU gibt, aber vor allem davon, was auf dem Spiel steht, wenn die Rechten und Nationalisten die Oberhand gewinnen.

Vielleicht wäre es ganz gut gewesen, wenn man den Ernstfall einmal in Gedanken durchgespielt hätte. Dann wäre sicher auch klarer geworden, was es bedeutet, wenn in Europa wieder jeden gegen jeden steht.

So bleibt es am Ende bei den mahnenden Worten von Viviane Reding: "Wir sind in einer globalisierten Welt und Europa wird immer kleiner werden, seine Wirtschaft wird schrumpfen im Vergleich zu den Wirtschaften heute in China und morgen in Indien. Wenn wir unseren Kindern und Kindeskindern einen Kontinent übergeben wollen, wo die noch selber entscheiden können, wie sie leben und welches ihre Werte sind, dann brauchen wir ein starkes Europa, sonst werden wir untergebuttert."

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