Bei "Hart aber fair" ging es am Montag um den bundesweiten Streiktag. "Legal ja, aber auch legitim?", wollte Moderator Klamroth von seinen Studiogästen wissen. Dabei zerfiel die Runde in zwei Lager. Während die eine Seite für höhere Löhne, mehr Anerkennung und mehr Personal warb, warnte die andere vor wirtschaftlichem Schaden.

Eine Kritik
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Am Montag mussten Millionen Menschen ohne Züge und Flüge auskommen. Lange Staus auf den Straßen blieben aus. Im Raum stehen Forderungen der Gewerkschaften nach zweistelligen Lohnerhöhungen.

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Das ist das Thema bei "Hart aber fair"

Am "Superstreiktag" wollte Louis Klamroth von seinen Gästen wissen: "Gerecht oder Gefahr für die Wirtschaft?" Dabei ging es um Fragen nach gerechten Löhnen, Personalmangel, Verteilungskämpfe und den richtigen Zeitpunkt für Streiks. Die Runde diskutierte "Überziehen die Gewerkschaften?", "Müssen die Steuern runter?" und "Brauchen wir ein Recht auf politische Streiks?"

Das sind die Gäste

  • Gitta Connemann (CDU): "Dem ganzen Land den Stecker zu ziehen, ist eine Gefahr für die Wirtschaft", meinte die CDU-Politikerin. Es handele sich nicht mehr um einen Warnstreik. "Ein Warnstreik heißt, die Waffen zeigen, aber nicht einsetzen. Hier ist die Waffe eingesetzt worden durch eine eintägige Arbeitsniederlegung", sagte sie. Diese treffe die Wirtschaft und andere Arbeitnehmer. Sie müssten teilweise mit Lohnausfall rechnen oder Urlaub nehmen, "Es führt schon auch zu einer Spaltung hier im Land", fürchtete sie.
  • Janine Wissler (Linke): "Streiks müssen auch wehtun, damit sich was bei den Löhnen bewegt", so die Linkspolitikerin. Die Forderungen der Gewerkschaften seien völlig berechtigt. "Wir reden über die Systemrelevanten, die Heldinnen und Helden der Coronakrise", sagte Wissler. Was die Arbeitgeber vorgelegt hätten, entspreche einer Lohnkürzung. Menschen, die sich über den Stillstand des ÖPNV ärgerten, sollten dies den Arbeitgebern anlasten, nicht den Straßenbahnbetrieben. "Der Vorstand der Deutschen Bahn hat seine Gehälter um 14 Prozent erhöht. Aber 12 Prozent für die Beschäftigten, das soll zu viel sein?", fragte Wissler.
  • Julia Riemer: Die Straßenbahnfahrerin aus München sagte: "Das heute war Werbung für den ÖPNV, weil es hat gezeigt, wie wichtig der ÖPNV ist." Es reiche nicht mehr aus, "irgendwo auf dem Balkon zu stehen und zu klatschen". Sie beschrieb Arbeitszeiten, für die man um halb vier morgens aus dem Haus müsse, stundenlange Pausen zwischen Schichten und Dienste, die erste wenige Tage vorab mitgeteilt würden. "Dafür brauchen wir Anerkennung", forderte sie. Viele Kollegen müssten pendeln, weil sie sich Wohnraum in München nicht mehr leisten könnten.
  • Marie-Christine Ostermann: Die Unternehmerin war sich sicher: "Mit der Brechstange höhere Löhne durchsetzen zu wollen, schadet dem Land mehr, als dass es Arbeitnehmern nutzt." Sie sei erleichtert gewesen, dass am Montag kein "ganz, ganz schlimmes Szenario" eingetreten ist. Ihre Firma habe in der Vorbereitung Abläufe auf Samstag vorgezogen. "Ich habe große Befürchtungen, dass da vielleicht noch nachgelegt wird", gab sie zu. Der Streik und die Drohungen seien unverhältnismäßig. "Die Verhandlungen haben gerade erst angefangen, und da wird schon diese Megakeule rausgeholt", ärgerte sie sich. Nach der Pandemie wolle die Wirtschaft endlich in die Zukunft.
  • Anja Kohl: "Die Menschen brauchen spürbare Entlastungen, die Inflation bedroht Einkommen und Wohlstand", sagte die ARD-Journalistin. "Die Inflation in Deutschland liegt bei 8,7 Prozent. In den letzten drei Jahren waren die Reallöhne negativ, das heißt: Nach Inflation haben Arbeitnehmer Einkommen verloren", rechnete sie vor. Der Zeitpunkt des Streiks sei aber kritisch gewesen, erstmals hätten Verdi und EVG gleichzeitig gestreikt.

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Das ist der Moment des Abends bei "Hart aber fair"

Da machte sich Unternehmerin Ostermann richtig Luft: "Sie müssen berücksichtigen, dass alle Menschen, nicht nur der öffentliche Dienst, von dieser Inflationsproblematik in Deutschland betroffen sind", forderte sie. Kosten, Mieten und Energiepreise stiegen für alle. Wenn höhere Löhne gezahlt würden, dann würde das auf alle umgelegt, etwa durch höhere Preise, Gebühren oder Steuern.

"Auch meine Branche ist betroffen, Tarifvertrag Groß- und Einzelhandel, die fordern jetzt 13 Prozent Lohnplus. Das ist so exorbitant hoch, welcher Arbeitgeber hat denn die Möglichkeit, das zu bezahlen? Das muss doch erst mal erwirtschaftet werden", sagte sie sichtlich emotional. Connemann sprang ihr bei: "Überzogene Lohnerhöhungen treiben am Ende die Lohn-Preisspirale nach oben", sagte sie. Die Entlastung müsse seitens des Staates kommen, durch Steuerentlastungen.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Connemann kritisierte den Zeitpunkt des Streiks zu Beginn der Verhandlungen und forderte anstelle von großen Lohnerhöhungen: "Steuern runter, Abgaben runter". Schon währenddessen schüttelte Wissler den Kopf. Sie erklärte: "Ich schüttele deswegen den Kopf, weil ich Sie einmal darauf hinweisen möchte, Frau Connemann, dass in unserem Land täglich Züge ausfallen." Es seien auch täglich Kitas geschlossen. "Nicht, weil jemand streikt, sondern weil wir einen riesigen Personalmangel haben", so Wissler.

Sie schob hinterher: "Wenn man sich Sorgen macht, um die kritische Infrastruktur, um die Daseins-Vorsorge – dadurch wird die doch bedroht." Ostermann schaltete sich ein: "Der Personalmangel ist kein Problem, das nur den öffentlichen Dienst betrifft." Man stehe in Konkurrenz zu anderen Unternehmen und müsse wettbewerbsfähig bleiben. Da erinnerte sie Kohl: "Sie stehen auch im Wettbewerb um Personal und Sie müssen ja auch sicherstellen, dass Sie Ihr Personal überhaupt kriegen."

So hat sich Louis Klamroth geschlagen

Daumen hoch – Louis Klamroth gelang eine ausgewogene Moderation, in der die Standpunkte beider Seiten gut herausgearbeitet wurden. Gleichzeitig machte das aber auch deutlich, wie gespalten die Gesellschaft ist. Klamroth wollte zum Beispiel wissen "Hätte man den Beginn der Verhandlungen nicht abwarten können und dann streiken?" und "War der Streik im ÖPNV heute die beste Werbung fürs eigene Auto?"

Gegen Mitte der Sendung musste Klamroth mehrmals durchgreifen, bis er im Stimmen-Wirr-Warr wieder das Zepter in der Hand hielt. Eine Frage hätte dann allerdings nicht sein müssen: Als es um Proteste gegen die Rentenreform in Frankreich ging, an denen Wissler teilnahm, fragte er lachend: "Was haben Sie geworfen, haben Sie auch Mülltonnen angezündet?"

Das ist das Ergebnis bei "Hart aber fair"

Man konnte beides am Montagabend sehen: Die Sicht der Arbeitgeber und die Sicht der Arbeitnehmer. Man tat gut daran, sich immer wieder zu erinnern, aus welcher Position heraus Unternehmerin Ostermann, Straßenbahnfahrerin Riemer oder Linkspolitikerin Wissler argumentierten.

Wichtiges Ergebnis der Sendung aus beiden Lagern: Die Forderungen und ihre Auswirkungen weiterdenken. Verlagern Betriebe die Produktion bei zu hohen Kosten? Bringen höhere Löhne eine bessere Pflege? In welcher Form zahlen wir höhere Löhne am Ende alle mit? Fragen, die bei Klamroth viel Raum bekamen.

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