Louis Klamroth präsentierte die erste Ausgabe von "Hart aber fair" im neuen Gewand. Unternehmerin und Autorin Tijen Onaran las der Politik dabei kräftig die Leviten und übte fast schon vernichtende Kritik an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Eine Kritik
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Das war das Thema

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Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus, Bauern-Proteste gegen die Ampel-Regierung: Das Jahr 2024 begann in Deutschland turbulent. Auf der einen Seite ist die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung groß, auf der anderen sorgen sich Menschen um die Demokratie. Das Thema bei "Hart aber fair" am Montagabend: "Wut, Proteste, neue Parteien: Wer hält unser Land noch zusammen?"

Abseits des Inhalts war auch das neue Konzept der Sendung interessant. Angekündigt waren unter anderem mehr Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern durch den sogenannten "Townhall-Charakter", eine geänderte Dramaturgie und eine neue Studiogestaltung.

Das waren die Gäste

  • Zuhra Visnjic: Die Friseurmeisterin aus Remscheid machte den Anfang. Die langjährige SPD-Wählerin berichtete ihr Leid als Unternehmerin. Sie kann sich für ihr Geld immer weniger leisten, Urlaubsreisen sind derzeit nicht drin. "Ich habe immer gedacht, wenn man arbeitet, wenn man fleißig ist, wird man dafür belohnt." Sie hat das Gefühl: "Heute ist das nicht mehr so."
  • Carsten Schneider: Der Ostbeauftragte der Bundesregierung (SPD) antwortete Visnjic, brachte aber nur einen wenig inspirierenden Mix aus Politikerfloskeln und Phrasen hervor. Sein Tenor: Die Stimmung im Land sei schlechter als die Lage. "Ich glaube, dass diese Land deutlich stärker ist als es gemacht wird." Mag ja sein, aber half der Frau bei ihren Existenzängsten auch nicht weiter. Immerhin verbreitete Schneider später etwas Zuversicht, indem er auf die sinkende Inflation verwies.
  • Carsten Linnemann: Der CDU-Generalsekretär, der immer so hibbelig wirkt, als habe er zu viel Kaffee intus, wollte bei Visnjic mit "vier, fünf Themen" punkten, die das Land nach vorne bringen. Etwa die steuerfreien Überstunden und der Bürokratieabbau (den die Union jahrelang selbst verschlafen hat). Sein Vorschlag: mal zwei Jahre die Berichtspflichten für Unternehmen abschaffen. Er kritisierte auch, dass die Regierung die Leute mit dem steigenden CO2-Preis belastet, aber das versprochene Klimageld (wahrscheinlich) nicht auszahlt.
  • Sahra Wagenknecht: Die Gründerin und Vorsitzende der Partei BSW machte die aus ihrer Sicht verfehlte Energiepolitik Deutschlands für die Probleme von Unternehmerinnen wie Zuhra Visnjic mitverantwortlich. Dass russisches Öl über Umwege ins Land komme, "das ist ein Problem und steigert die Preise enorm". Im Umkehrschluss meinte Wagenknecht damit: Russisches Öl solle doch bitte wieder direkt zu uns kommen. Über die Demos gegen die in Teilen rechtsextreme AfD freute sich Wagenknecht. Die seien aber "gegen das Symptom, nicht gegen die Ursache" gerichtet – nämlich die schlechte Regierungspolitik.
  • Tijen Onaran: Die Unternehmerin und Autorin forderte einen "großen Aufschlag für Deutschland" und einen Ruck durch das Land. Ein klarer Auftrag an die Regierung, endlich die Rahmenbedingungen für das Unternehmertum zu verbessern - und an die Opposition, Lösungen anzubieten und nicht nur zu kritisieren. An Bundeskanzler Olaf Scholz ließ Onaran kein gutes Haar. "Wir sind ein führerloses Land. Wir haben einen Kanzler, der sich hinstellt und sagt: Was wollt ihr eigentlich? Es ist doch alles in Ordnung". Sie vermisst einen "Actionplan" und klare Ideen des Kanzlers, wie es nach vorne geht.
  • Nils Kumkar: Der Soziologe sprach von einem "Grundrauschen der Enttäuschung", das es in jeder parlamentarischen Demokratie gebe. Denn: Jede Entscheidung wird irgendjemandem nicht gefallen. Protestparteien wie die AfD würden den frustrierten Leuten aber das Gefühl geben, dass ausschließlich "genau ihnen nicht zugehört" wird. Das Grundrauschen würde so politisiert. "Eine ganz explosive Mischung", nannte Kumkar das.
  • Maria Fichte: Die Sächsin engagiert sich im Netzwerk "Freiberg für alle". Sie will die Stimmung in ihrer Region mit den Demonstrationen gegen die AfD wieder ins Positive drehen und vor allem Begegnungsorte für die Menschen schaffen. An Leute, die nur meckern und sagen, was schlecht läuft, hatte sie eine klare Botschaft: "Das reicht mir nicht."
Die Unternehmerin und Autorin Tijen Onaran (Mitte) und Friseurmeisterin Zuhra Visnjic (r.) machten den Politikern beim Talk mit Louis Klamroth (l.) Dampf. © /© WDR/Oliver Ziebe

Das war der Moment des Abends

Tijen Onaran las den Politikern die Leviten. Insbesondere störte sie sich an Carsten Linnemann, der versuchte, Friseurmeisterin Zuhra Visnjic Honig ums Maul zu schmieren. Linnemann sagte, er baue auf Menschen wie Visnjic, damit es in Deutschland wieder vorangeht.

"Nee, ich baue auf Sie als Politiker", widersprach Onaran energisch. "Weil am Ende des Tages wählen wir Sie als Volksvertreterinnen und Volksvertreter dieses Landes und es ist ihre Aufgabe, dieses Land so aufzustellen, dass wir als Unternehmerinnen sagen: Das macht hier richtig Bock und wir haben richtig Bock zu leisten. Und das ist Ihr Job und nicht ihr Job (sie zeigte dabei auf Visnjic – Anm. d. Red.). Für diesen engagierten Redebeitrag gab es viel Applaus.

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Das war das Rededuell des Abends

Sahra Wagenknecht empörte sich über die wachsenden Unterschiede zwischen Arm und Reich in Deutschland. Den Vorwurf richtete sie direkt an Carsten Schneider und Carsten Linnemann, dessen Partei das Land unter Angela Merkel von 2005 bis 2021 regiert hat. "Sie haben diese immer wachsende Schere zugelassen und gestaltet", sagte Wagenknecht. SPD-Mann Schneider schüttelte mit dem Kopf. "Wir haben den Mindestlohn eingeführt." Das stimmt. Allerdings zeigte ein Einspieler, dass die unteren Einkommen im Jahr 2024 finanzielle Abstriche durch die Regierungspolitik machen müssen, während Menschen mit mehr Geld profitieren.

So hat sich Louis Klamroth geschlagen

Weniger als seine Performance interessierten bei der ersten Ausgabe von Hart aber fair 2024 die Neuerungen in der Optik und im Sendeablauf. Es war Klamroths erster Talk, den er mit seiner eigenen Produktionsfirma auf die Beine gestellt hatte. Die Art der Trennung hatte zu Irritationen mit Vorgänger Frank Plasberg geführt, dessen Firma bislang federführend war.

Der frische Wind tat der Sendung gut. Das Studio mit seiner modernen Optik und warmen Farbkombinationen sah nicht mehr so altbacken wie unter Plasberg aus. Neu war auch, dass die nebeneinander platzierten Politiker den übrigen Gästen ein paar Meter entfernt an einem eigenen Tisch gegenüber saßen – was der Dramaturgie guttat. Ebenfalls neu: Bei Rededuellen gab es manchmal einen geteilten Bildschirm mit zwei Gesichtern, wodurch zusätzliche Emotionen auf dem TV-Bildschirm gezeigt werden konnten.

Auch die Idee, den Problemen der Bürger wie Zuhra Visnjic noch mehr Raum zu geben, funktionierte gut. Louis Klamroth mühte sich schließlich, den drei Berufspolitikern keinen "Bullshit" durchgehen zu lassen.

Das ist das Fazit

Es war ein gelungenes Debüt für Louis Klamroth und sein neues Team. Und was waren die sonstigen Erkenntnisse am Montagabend? "Wer hält unser Land noch zusammen?", wie im Titel der Sendung gefragt wurde.

Carsten Schneider machten die Proteste gegen die AfD Mut. Er hofft, dass sich Leute aus den Demos gerade im Osten für die etablierten Parteien begeistern können. Und dass sie sich auch für Ämter aufstellen lassen, damit die Demokratie 2024 nicht nur "von wenigen getragen wird, sondern von vielen". Gerade im ländlichen Raum sind die Strukturen der Parteien oft schwach oder gar nicht mehr vorhanden. Eine Lücke, die dann von anderen wie der AfD besetzt wird, wie Maria Fichte aus Freiberg erklärte. Auch sie würde es gut finden, wenn sich der eine oder die andere nun für eine der etablierten Parteien begeistern könnte.

Durch Aufbauarbeit und Optimismus im Kleinen wird die Stimmung vielleicht ja auch im Land irgendwann wieder besser. Ob die Friseurmeisterin Zuhra Visnjic durch die Sendung neuen Mut für ihr Unternehmertum geschöpft hat, blieb offen. Klar ist eines: Rund vier Fünftel der Bürgerinnen und Bürger sind derzeit nicht mit der Arbeit der Ampel zufrieden. Es kann also nur nach oben gehen.

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