Eine heftige Grippewelle hat Deutschland seit Wochen im Griff. Die massenhaften Ausfälle führen vor Augen, wie wichtig eine gute Gesundheitsversorgung ist. Doch viele Kassenpatienten haben das Gefühl, bei Ärzten zweite Wahl zu sein. Bei "Hart aber fair" werden überraschende Vorteile von gesetzlich Versicherten ins Licht gerückt. Vorausgesetzt, sie bekommen einen Termin.

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Gesetzlich Krankenversicherte fühlen sich in Deutschland oft wie Patienten zweiter Klasse. Bei Fachärzten werden sie mitunter monatelang für einen Termin vertröstet, auch direkt beim Arzt müssen sie teilweise länger im Wartezimmer ausharren. Hinzu kommt der Ärztemangel, besonders auf dem Land.

Keine leichten Aufgaben für den neuen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), oder wie es Moderator Frank Plasberg in seiner Sendung formuliert: "Kein Mangel an Erwartungsdruck." Man kann es Spahn durchaus anrechnen, dass er sich nur fünf Tage nach seiner Vereidigung als Minister bei "Hart aber fair" stellt.

Angesprochen auf seinen aufsehenerregenden Hartz-IV-Satz kündigt Spahn ministerhaft-versöhnlich an, sich mit der Frau treffen zu wollen, die deswegen eine Online-Petition gegen ihn gestartet hat. Er habe auch bereits mit ihr telefoniert und finde es beeindruckend, "dass sie es geschafft hat, auf das Thema Aufmerksamkeit zur richten".

Kasse versus Privat: Gefühlte oder reale Ungleichheit?

Ein anderes Thema, das seine Aufmerksamkeit benötigt, ist der "große Aufreger" im Gesundheitswesen: die Vergabe von Arztterminen. "Viele Ärzte machen keinen Unterschied", beschwichtigt Spahn, obwohl Privatpatienten pro Termin, Kassenpatienten dagegen pauschal pro Quartal abgerechnet werden.

Große Versprechen macht der neue Gesundheitsminister nicht. Auch wenn die neue Regierung gemäß Koalitionsvertrag die Situation verbessern wolle, bleibe es eine "Dauerbaustelle". Immerhin: Er habe "ein paar Ideen". Mehr verrät Spahn dazu nicht.

Als quasi "Kronzeugin" des Gesundheitssystems ist eine Mutter von drei Kindern zu Gast, die zu diesem Thema auch bloggt. Sie selbst war früher Privatpatientin, heute ist sie gesetzlich versichert. Ihrer Erfahrung nach müssen Kassenpatienten oft mehrere Wochen länger auf einen Arzttermin warten als Privatpatienten.

Die Dresdnerin schildert dramatische Fälle aus ihrer Familie: Für die Vorsorgeuntersuchungen ihres jüngsten Kindes fand sie keinen Kinderarzt in der Nähe, ebenso für ihren an Asthma leidenden Sohn. Ihr wurde sogar geraten, einen Anfall abzuwarten und dann den Notarzt zu verständigen. Auch dauerte es drei Monate, um einen Krebsverdacht bei ihr selbst auszuräumen. Das Fazit der Bloggerin: "Glück hat man, wenn man Beziehungen hat."

"Im Regelfall ein Komfortproblem"

"Wir haben kein Zwei-Klassen-System in der Behandlung von Patienten", meint dagegen Andreas Gassen, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Innerhalb Europas müssten die Deutschen nach den Schweizern am kürzesten auf einen Arzttermin warten. Laut Befragungen von Versicherten seien die Unterschiede zwischen Privat- und Kassenpatient geringer als viele glauben.

Insgesamt nehme die Wartezeit aber für beide zu, was andere Ursachen habe: Im internationalen Vergleich gehen die Deutschen sehr häufig zum Arzt, es gebe zu wenig Medizinstudienplätze, auch die freie Ärztewahl sei ein Grund. "Was nützt mir eine freie Arztwahl, wenn ich 15 Ärzte anrufen muss?", entgegnet ihm daraufhin Plasberg.

Gassen verweist erneut auf den Vergleich mit anderen Ländern: In Schweden seien es bis zu 72 Tage Warten auf eine Untersuchung beim Facharzt. "Bei akutem Verdacht ist der lange Zeitraum für einen Patienten natürlich belastend", schränkt er ein.

Trotzdem werde eine Quadratur des Kreises erwartet: Die Gesundheitsversorgung soll schnell, gut und billig sein. Schließlich sollen auch die Krankenkassenbeiträge nicht in die Höhe schießen.

Später schwärmt Gassen geradezu von den gesetzlichen Krankenversicherungen: "Sie leisten ja unendlich viel mehr als nur zum Arzt zu gehen, wie die Lohnfortzahlung oder Reha-Maßnahmen." Ein Privatpatient dagegen gehe mit seinem Vertrag "eine Wette auf seine Gesundheit" ein. Unterschiede seien "im Regelfall ein Komfortproblem".

Hier widerspricht ihm der Moderator entschieden: Eine Mutter, die keinen Arzttermin für ihre Kinder bekomme oder eine schnelle Abklärung eines Krebsverdachts, habe kein "Komfortproblem".

Sind die Ärzte nur aufs Geld aus?

Auch Gesundheitsjournalistin Anette Dowideit bestätigt aus ihren Beobachtungen, dass es bei bestimmten Ärztegruppen wie Kinderärzten oder Dermatologen sehr schwierig sei, einen Termin zu bekommen - selbst die Wartelisten seien dort teilweise voll. Dagegen gebe es den "Trend Selbstzahlertermine". Wer bereit sei, 150 Euro aus eigener Tasche zu zahlen, könne oft schon am nächsten Tag vorbeikommen.

"Es ist nicht nur ein Gefühl, es ist Realität", sagt auch Dr. Gerd Glaeske, Gesundheitswissenschaftler und Professor an der Universität Bremen. Ärzte ließen sich bevorzugt in Gegenden mit vielen Privatpatienten nieder: Denn die insgesamt zehn Prozent Privatpatienten in Deutschland machten 25 Prozent des Umsatzes aus. Die Situation hängt also von der sozialen Schicht und dem Wohnort ab.

Der Ärztemangel wird sich mancherorts wohl noch deutlich verschärfen, denn 38 Prozent der niedergelassenen Ärzte sind bereits 60 Jahre alt oder noch älter. Dr. Christoph Lanzendörfer, Facharzt für Innere Medizin und 63 Jahre alt, hat seine Praxis 20 Zugminuten von Bremen entfernt. "Außerhalb des Speckgürtels wird es schwierig, einen Nachfolger zu finden", meint er.

Plasberg zeigt aber auch Verständnis für Ärzte, die nach zehnjähriger Ausbildung Geld verdienen oder zumindest am Ende des Quartals aufgrund der Pauschale nicht umsonst arbeiten wollen. Gesundheitsminister Spahn wirft dabei ein, dass in unterversorgten Gebieten inzwischen bei Kassenpatienten pro Besuch bezahlt werde: "Durch die Umschichtung können Hausärzte auf dem Land finanziell richtig gut dastehen."

Es müssten dennoch verschiedene Anreize geschaffen werden, um Ärzte aus den Städten zu locken. Denn es geht nicht nur ums Geld. Auch andere Faktoren, wie kulturelle Angebote oder ein passender Job für den Partner, spielen eine Rolle. Spahn will dazu aber keine "Systemdebatte" führen: "Die Frage soll sein: Wie können wir die Versorgung konkret verbessern?"

Privatpatienten als "Testkaninchen"?

Richtig spannend wird es, als die Journalistin Dowideit die aktuelle Grippewelle als Beleg anführt, dass Privatpatienten durch einen höherwertigen Impfstoff bevorzugt worden seien.

Denn die diesjährige Grippeimpfung war entweder als Dreifachschutz (übernommen von der Krankenkasse) oder Vierfachschutz (von den Privatkrankenversicherungen bezahlt) angeboten worden. Im Laufe des Winters zeigte sich, dass mit dem Vierfachschutz geimpfte Menschen eher von der Grippewelle verschont geblieben sind. Ein Beispiel für die Zwei-Klassen-Medizin?

Doch die Ärzte in der Runde sind sich einig: Hier trifft der Vorwurf nicht zu. "Die Begründbarkeit für Grippeimpfungen ist relativ schlecht", sagt Wissenschaftler Glaeske. "Bei älteren Patienten ist der Schutz fast nicht mehr nachweisbar."

"Bei Kassenpatienten gibt es besonders hohe Anforderungen an die Wirksamkeit", bekräftigt auch Gassen. Privatpatienten haben demnach ein höheres Risiko, medizinisch nicht unbedingt notwendige Untersuchungen verordnet zu bekommen. Glaeske schreibt diese Überversorgung vor allem der von ihm so genannten "Gouda-Connection" zu, bestehend aus Gynäkologen, Orthopäden, Urologen, Dermatologen und Augenärzten.

Die scheinbare Bevorzugung von Privatpatienten sei nicht selten zu deren Nachteil. Neue Medikamente würden ihnen schneller verabreicht. Glaeske nennt als Beispiel Vioxx, das als "Superaspirin" auf den Markt kam, doch wegen des Verdachts auf erhöhten Herz- und Schlaganfallrisikos wieder zurückgezogen wurde. "Privatpatienten sind fast Testpatienten für Kassenpatienten", meint der Gesundheitswissenschaftler. Glücklich ist, wer da gesetzlich versichert ist.

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