Scheitert die Große Koalition am Thema Grundrente? Wenn es nach Kevin Kühnert und Tilman Kuban ginge wahrscheinlich schon. In Maybrit Illners Talk am Donnerstag duzten die beiden zwar – aber sie stritten auch heftig um die Bedürftigkeitsprüfung.

Eine Kritik

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Kaum haben die Spitzen von Union und SPD die Erfolge der Großen Koalition anlässlich ihrer Halbzeitbilanz ausführlich dargestellt, geraten sie sich wieder sehr grundsätzlich in die Haare. Streitthema ist noch immer die Grundrente.

Zwar hat man sich darauf geeinigt, diese gemeinsam zu wollen – doch am "Wie" scheiden sich nach wie vor die Geister. CDU/CSU fordern eine harte Bedürftigkeitsprüfung, die SPD will die Grundrente pauschal für alle, die mindestens 35 Jahre lang Beiträge gezahlt haben. Könnte die Regierung an diesem Konflikt scheitern? Und falls nicht – wie müsste der Kompromiss aussehen?

Maybrit Illner ist aktiv und meinungsstark dabei

Maybritt Illner muss man bei den Diskutanten ganz vorne mit aufführen: Nicht zwanghaft unparteiisch, sondern aktiv, meinungsstark, bestens informiert, auch mal laut und immer hochpräsent leitete die Moderatorin ihre Runde souverän. Auch als die Wogen ganz hochschlugen, behielt Illner den Überblick.

Tilman Kuban hatte den undankbaren Job, als Vorsitzender einer Jugendorganisation trotzdem der konservativste in der Runde zu sein. Der 32-jährige Bundesvorsitzende der Jungen Union gab offen zu, wenn er es sich "aussuchen könnte", würde er "keine zusätzlichen Leistungen" wollen – also gar keine Grundrente. Kompromisse, die auf die Bedürftigkeitsprüfung verzichten würden, will er nicht eingehen.

Um andere, sehr konkrete Fragen, lavierte er wenig aussagekräftig herum: Während er nach der Thüringen-Wahl die Eignung von Annegret Kramp-Karrenbauer als CDU-Parteichefin in Zweifel gezogen hatte, behauptete er nun auf Illners Nachfrage, er habe AKK "nie infrage gestellt."

Kevin Kühnert, 30 Jahre alt und bestens bekannt für seine aufmüpfigen Positionen in der SPD, stürzt sich dankbar auf die harten Positionen Kubans, bezeichnet dessen Haltung gar als "asozial". Vor allem will Kühnert bewusst und offen die Zuspitzung der Frage, welche Partei sich mehr ums Soziale und die Bedürfnisse der Schwachen in der Gesellschaft kümmert.

Er sieht "grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen" zwischen CDU und SPD und will das Thema für eine "ideologische Diskussion" nutzen. Der Koalitionsvertrag sei in Bezug auf die Grundrente widersprüchlich – "das muss jetzt ausdiskutiert werden."

Wichtig für die Jugend – auch ohne Jugendorganisation

Verena Bentele, zwölffache Gewinnerin von olympischem Gold bei den Paralympics und Vorsitzende des Sozialverbandes VdK, wendet sich entschieden dagegen, dass die Probleme der Koalition ausgerechnet am Thema Grundrente aufgehängt würden. Es betreffe Menschen, "die extrem wenig Geld haben". Sie erinnert daran, dass für die Bekämpfung der Altersarmut weitere Schritte außer der Grundrente nötig seien – etwa die Beteilung von Selbständigen und Beamten am Rentensystem.

Und sie betont, an ihre Mitdiskutanten gewandt, auch wenn sie keine Jugendorganisation leite, vertrete sich doch die Interessen von Menschen, die jetzt jung seien, aber "in dreißig bis vierzig Jahren" akzeptable Renten wollten. "Völlig absurd" seien die Befürchtungen von Kuban, dass eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung "Villenbesitzern" zugute käme.

Peichl liefert differenzierte Betrachtung

Am differenziertesten betrachtete wohl Andreas Peichl die Probleme. Der Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik verwies wie Kuban auf die deutsche Bevölkerungspyramide, in der die Renten für immer mehr Menschen von immer weniger Erwerbstätigen aufgebracht werden müssen, verwies auf Ungerechtigkeiten im geplanten System und plädierte für andere Modelle, etwa die prozentuale Anrechnung weiterer Einkommen und den Verzicht auf die pauschalen Festlegung der Grundrentenberechtigung nach 35 Jahren Beitragszahlung.

Er sprach sich für die Bedürftigkeitsprüfung aus, gab aber auch zu, dass die derzeitig für die Grundrente benötigten ca. zwei Mrd. Euro pro Jahr keine große Belastung für den Bundeshaushalt darstellen würden.

Gäste mit persönlichem Bezug

Wie bei Maybrit Illner üblich, kamen neben den Gästen der Diskussionsrunde auch unmittelbar Betroffene zu. Die Berliner Rentnerin Christa Vieten erhält eine Rente, von der sie kaum leben kann, und ist auf Lebensmittel von der Tafel angewiesen – verständlich, dass sie für die Grundrente eintritt.

Die Unternehmerin Claudia Sturm plädierte für eine längere Lebensarbeitszeit und begründete das mit dem "Spaß", den einige Beschäftigte in ihrem Betrieb daran hätten, auch weit über die 65 Jahre hinaus zu arbeiten. Sie weist darauf hin, dass der gegenwärtige Aufwand von zwei Milliarden Euro für die Grundrente "explodieren" werde, wenn die Babyboomer-Generation in Rente gehe – darauf hatte auch schon Peichl aufmerksam gemacht.

Kompromiss trotz Beinahe-Eskalation

Mag sein, dass das Thema fast ein bisschen langweilig geworden wäre, wenn sich nicht Kuban und Kühnert immer wieder heftig gefetzt hätten. Dass Kuban die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung als "Konfettiparade" der SPD bezeichnete, war eine Steilvorlage für polemische Antworten.

Dem Sturm, den Kuban damit gesät hatte, war er argumentativ nicht gewachsen. Er fühle sich seinen Großeltern wesentlich näher als dem Leiter der Unionsjugend, lästerte Kühnert.

Doch zum Schluss Ende dürfte wohl Andreas Peichls Einschätzung die einleuchtendste sein: CDU und SPD könne es sich seiner Ansicht nach "gar nicht leisten", keinen Kompromiss zu finden. Das würde auch bedeuten, dass Kevin Kühnert auf den von ihm geforderten Richtungswahlkampf für die nächste Bundesregierung noch eine Weile warten muss.

Und bis Tilman Kubans (wenn auch augenzwinkernd vorgebrachte) Wunschvorstellung einer Alleinregierung der Union wahr wird, dürfte es wohl noch ein bisschen länger dauern.

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