Lockdown oder Lockern, das ist bei "Maybrit Illner" die Frage. Markus Söder stützt Angela Merkels Linie, eine Virologin wirbt für No-COVID, aber Ex-Familienministerin Kristina Schröder warnt vor den Kollateralschäden.

Eine Kritik
Diese Kritik stellt die Sicht von Christian Bartlau dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Team Angela Merkel oder Team Jens Spahn? Ist uns "das Ding entglitten", wie die Kanzlerin sagte, oder braucht es jetzt einen klaren Horizont für Lockerungen, wie es der Gesundheitsministerin fordert?

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"Keine Impfung, keine Lockerung – planlos in den Frühling?" - unter diesem Motto diskutiert "Maybrit Illner" noch einmal das Impfdebakel, aber vor allem an der Frage nach möglichen Öffnungen entzündet sich eine emotionale Debatte: Markus Söder warnt davor, "sich zu belügen", eine Virologin fordert einen neuen Weg für die Schulen – und Ex-Familienministerin Kristina Schröder sieht die Kinder als eigentliche Opfer der Pandemie.

"Maybrit Illner": Das sind die Gäste

Sicher, sicherer, Söder: "Lieber einen Schritt langsamer, als es am Ende verstolpern", gibt der bayerische Ministerpräsident als Motto aus. Im November hätten man sich "belogen" und zu früh geöffnet, das solle nicht noch einmal passieren. "Eine Kombination aus Mutationen und überstürzter Lockerung ist nicht der dritte Weg, das ist der schlechteste Weg."

"Wir sind wieder in stabiler Lage", sagt Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), für Lockerungen sieht er trotzdem "keinen Spielraum". Zuerst sollten Experten klären, wie weit sich die Mutationen schon verbreitet haben. Übrigens: "Wir haben ja genug Impfstoff." Nur eben nicht jetzt, sondern erst ab dem zweiten Quartal.

Kristina Schröder (CDU), von 2009 bis 2013 Familienministerin, führt aus, was der "dicke Hammer" aka Lockdown auch bedeute: "Hunderttausende Gewerbetreibende vor den Trümmern ihrer Existenz", Schüler, die um entscheidende Entwicklungsschritte gebracht werden, die psychische Probleme wie Anorexie entwickeln. "Auch der Lockdown bringt Leid für Kinder und Jugendliche und bedeutet auch Tote."

Ihre Fast-Namensvetterin Jana Schroeder, Fachärztin für Virologie und Infektionsepidemiologie am Mathias Spital Rheine, erlebt die Situation auf den Intensivstationen zwar leicht entspannt, aber: "Es geht schon zu lange im Sprint."

Stephan Pusch (CDU), Landrat von Heinsberg, berichtet über die "dreifache Enttäuschung" der Menschen über die stotternde Impfaktion: Die Berichte hätten hohe Erwartungen geweckt, dann folgten plötzlich Hiobsbotschaften – und dann hörten sie, dass eigentlich alles gut gelaufen ist. "Da gehen einige auf die Barrikaden."

Das ist der Moment des Abends

Jana Schroeder hat einiges auf dem Herzen, das wird schnell klar an diesem Abend. "Eine Sache ist mir sehr wichtig", sagt sie immer wieder, weil ihr ständig noch etwas einfällt, was sie dringend loswerden will, und das ist nur verständlich – es heißt ja nicht jeder Karl Lauterbach oder Markus Söder und kann einfach ins nächstbeste Mikro diktieren, was er beim letzten Auftritt verschusselt hat.

Am Allerwichtigsten sind Schroeder aber die Schulen. "Politiker sind besser als ihr Ruf", holt die Virologin aus, "bei Kultusministern bin ich mir da nicht sicher." Zu lange hätten die "Scheindiskussionen" geführt, ob Kinder infektiös seien. Dabei stehe fest: In den Schulen findet ein Infektionsgeschehen statt und Kinder tragen es ins Elternhaus. "Deswegen muss die Diskussion nicht lauten: Schule auf oder Schule zu, sondern Schule sicher." Ein Papier dazu vom Robert-Koch-Institut liegt seit Herbst vor, passiert ist: herzlich wenig.

Das ist das Rede-Duell des Abends

Schroeder gegen Schröder – auf der einen Seite eine Virologin und Epidemiologin, auf der anderen Seite eine Ex-Familienministerin, aktuell Lobbyistin für die staatliche Glücksspielindustrie und die neoliberale Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

Die CDU-Politikerin stößt sich vor allem am No-COVID-Vorschlag vieler Wissenschaftler, dem sich auch Schroeder angeschlossen hat. Als Ziel sei das "hochattraktiv", meint Schröder, aber der Weg dahin "trägt totalitäre Züge". Vor allem die Aufteilung in grüne und rote Zonen sei "in unserer freiheitlichen Grundordnung nicht machbar", es laufe auf Grenzkontrollen zwischen Landkreisen hinaus. "Ich will nicht in einem Land leben, wo das geht."

"Aber was ist Ihre Alternative?", fragt Schroeder. "Von Lockdown zu Lockdown? Wir haben einen Kaugummi-Lockdown, der sich ewig zieht." Dem setze No-COVID einen klaren Weg entgegen: Kurze, heftige Verschärfungen, bis die Inzidenz unter zehn liegt, ab dann Quasi-Normalität in den grünen Zonen.

Nicht realistisch, wiegelt Ex-Familienministerin Schröder ab. "Wir haben unendliche Kosten, dahin zu kommen." Sie schlägt vor, lieber ein paar Instrumente zu nutzen, die "neben der Straße liegen": Massenhafte Schnelltests, eine App, "die nicht durch paranoiden Datenschutz kastriert wird", Luftreinigungsgeräte. "Ich rede über Instrumente der Neuzeit, wir verlassen uns zu sehr auf Instrumente des Mittelalters."

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So hat sich Maybrit Illner geschlagen

Maybrit Illner liebt ihre Gäste sehr. So sehr, dass sie die Sätze ihrer Gäste beendet, so wie es Pärchen manchmal tun. Nervige Pärchen.

Wenn Illner einer Jana Schroeder die letzten Worte aus dem Mund nimmt, wirkt das nicht nervig, eher ein bisschen gehetzt, als würde sie die Antwort weniger interessieren als ihre nächste Frage.

Auch das permanente Dazwischenmurmeln ist nicht der Gipfel der Höflichkeit, außerdem für den Zuschauer manchmal akustisch schwer verständlich, noch dazu, wenn die Regie Illner dabei nicht im Bild einfängt. Und manchmal offenbart man auch unfreiwillig Unwissenheit: "Ah ja, Sequenzierung", kommentiert Illner einmal die Ausführungen von Schroeder, die korrigieren muss: "Nein, das ist erst der nächste Schritt."

Ein bisschen mehr Geduld hätte der Sendung gutgetan. Auch wenn es in der gefühlt 13. Sendung hintereinander über Corona schwerfällt.

Das ist das Ergebnis

Kein Rede-Duell, eher ein Rede-Duett legen Markus, der Unvermeidliche und Peter Tschentscher hin. Beide mahnen in ungeahnter Eintracht zu "Vorsicht", die Zahlen geben Lockerungen nun mal nicht her. "Es hilft nichts", sagt der Hamburger Tschentscher, "es hilft nichts", sagt der Franke Söder. Es ist das schönste TV-Gipfeltreffen der beiden Seiten des Weißwurstäquators seit "Ein Bayer auf Rügen".

Söder steht wie üblich in einem Studio in München. Damit er auch ohne Studiopräsenz genügend Bildschirmzeit abgreift, hat er sich eine Art Balztanz mit der Kamera angeeignet: Gefällt ihm ein Redebeitrag, nickt er ekstatisch, bei Missfallen grimassiert er bis zum Gesichtsmuskelkater - an diesem Abend auffallend häufig, wenn Kristina Schröder spricht. "Weil hier über Opfer der Pandemie gesprochen wurde", richtet er sich dann direkt an Schröder: "Das sind zunächst einmal die, die gestorben sind."

Die Absagen an Lockerungen kann der Heinsberger Landrat Stephan Pusch nicht nachvollziehen: "Wir dürfen nicht so tun, als wären wir in der gleichen Lage wie vor Weihnachten." Er sieht viele positive Signale, vor allem, wenn die Menschen in den Krankenhäusern und Pflegeheimen durchgeimpft seien. Zur Not müssten da auch die Impfstoffe aus Russland und China her, "die Russen waren ja nie schlechte Wissenschaftler" - da widerspricht nicht einmal Markus Söder.

Wer an Öffnungen denke, sagt Pusch, sei ja nicht gleich unvernünftig, es gehe um "intelligente Strategien" und vor allem darum: den Menschen eine Perspektive zu bieten. "Und No-COVID ist keine Perspektive, da werden uns die Menschen die Zusammenarbeit versagen."

Apropos Perspektive: Nächste Woche diskutiert "Maybrit Illner" garantiert nicht über Corona. Da ist Fasching. Helau!

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