Die katholische Kirche sucht in einem Krisengipfel im Vatikan Antworten auf die Missbrauchsfälle katholischer Geistlicher. Doch wie glaubhaft sind die Beteuerungen, diese Verbrechen anzugehen? Das fragte am Sonntagabend Anne Will ihre Gäste. Deren Antworten zeichnen ein niederschmetterndes Bild vom Zustand der katholischen Kirche. Besonders ein Gast redete Klartext.

Christian Vock
Eine Kritik

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"Kein Missbrauch darf jemals vertuscht werden, so wie es in der Vergangenheit üblich war." Die Worte von Papst Franziskus auf der Konferenz im Vatikan wirken wie ein starkes Signal, nun endlich etwas ändern zu wollen.

Trotz oder gerade wegen seiner Worte steht der Papst in der Kritik, denn viele Betroffene sind im schlechtesten Fall wütend, im besten Fall skeptisch, ob sich wirklich etwas verbessert. Auch Anne Will fragt: "Krisengipfel im Vatikan - Wie entschlossen kämpft die Kirche gegen Missbrauch?"

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Mit diesen Gästen diskutierte Anne Will:

Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich

Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung

Agnes Wich, Sozialpädagogin und Betroffene von sexualisiert Gewalt durch einen katholischen Priester

Matthias Katsch, Sprecher der Betroffenenorganisation "Eckiger Tisch"

Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung"

Darüber wurde bei "Anne Will" gesprochen:

Wie sind die Ergebnisse der Konferenz im Vatikan einzuschätzen? Matthias Katsch ist hier mehr als skeptisch. Papst Franziskus habe in den vergangenen Jahren viele solcher Erklärungen abgegeben: "Warum sollte ich denen glauben, solange keine Taten folgen?" Die Konferenz hätte die Erklärung mit konkreten Maßnahmen untermauern sollen: "Nichts davon ist in dieser Woche geschehen", so Katsch.

Bischof Ackermann ist ebenfalls nicht vollkommen von der Rede Franziskus' überzeugt: "Er bleibt ehrlich gesagt ein bisschen vage." Trotzdem versucht er die Forderung nach konkreten Maßnahmen in einen größeren Kontext einzuordnen und verweist auf die Studie, die die deutschen Bischöfe in Auftrag gegeben hatten. Dort werde die Bedeutung konkreter Maßnahmen hervorgehoben, aber gleichzeitig erklärt, dass "wenn das nicht eingebettet ist in eine größere Kultur, die das auch mitträgt, dann wird das zu knapp sein."

Es ist an Heribert Prantl, klarzumachen, dass der Kampf gegen Missbrauch und dessen Vertuschung keiner "größeren Kultur" bedürfen, sondern eine Pflicht sein sollte: "Was er heute gesagt hat, war eine Ansammlung von Selbstverständlichkeiten", erklärt der Journalist über die Rede des Papstes.

Über die Missbrauchsfälle, deren Vertuschung und den Umgang damit wird Prantl noch deutlicher: "Wir stehen nicht nur vor einer Krise, sondern die Kirche steckt in einer Jahrtausendkrise. Und um aus einer Jahrtausendkrise herauszukommen, braucht man Jahrtausendreformen. Es reicht nicht, was heute gesagt worden ist."

Missbrauchsopfer Agnes Wich ist bezüglich der Rede des Papstes zwiegespalten: "Ich habe mir eine ganz klare und deutliche Aussage von ihm gewünscht, sowohl für Täter als auch für Vertuscher, die Nulltoleranzpolitik einzusetzen."

Diese Aussage habe sie nicht bekommen, trotzdem sagt Wich: "Das erste Mal erklärt sich die Kirche bereit, auf ihre eigenen Verbrechen zu gucken. Dort hinzusehen, wo sich sonst kaum jemand gewagt hat, hinzusehen."

"Weil wir sie gezwungen haben", wirft daraufhin Matthias Katsch ein.

Strukturelle Veränderungen

Welche strukturellen Veränderungen müsste es nun geben? Matthias Katsch erklärt, dass es in vielen Staaten immer noch eine Zurückhaltung gegenüber der Kirche gebe. Diese müsse aufgegeben werden: "Die Staatengemeinschaft ist jetzt aufgerufen, dass die Paralleljustiz ein Ende hat." Gleichzeitig müssten aber auch die Laien-Vertreter tätig werden.

Agnes Wich erinnert daran, dass auch an der Überhöhung des Priesteramts gerüttelt werden müsse. Bischof Ackermann ist aber der Meinung, dass hier bereits viel erreicht worden sei.

Matthias Katsch bringt noch einmal die Machtstruktur in der katholischen Kirche zur Sprache. "Die Wissenschaftler haben im letzten Jahr ins Stammbuch geschrieben, dass der zentrale Risikofaktor bei der sexuellen Gewalt nach ihrer Studie das Machtproblem ist. Es geht um Macht und die Organisationsstruktur der Kirche. Da müsste sich etwas ändern."

Das sieht auch Heribert Prantl und verweist hier auch auf die Ungleichbehandlung der Frauen: "Es reicht doch nicht, ein paar neue Behörden zu schaffen. Wenn's um Machtstrukturen geht, muss ich nach der patriarchalen Macht der Kirche fragen. Es geht um die Fundamente. Dazu gehört die Art und Weise, wie Frauen in dieser Kirche aus sämtlichen Machtpositionen herausgehalten werden. Vielleicht müssen Sie, Herr Bischof, die Reformation nachholen."

Das Rededuell des Abends:

Bischof Ackermann gegen den Rest der Runde. Natürlich war in dieser Runde der Vertreter der Kirche in einer undankbaren Situation. Zum einen musste auch er das Unentschuldbare unentschuldbar lassen, gleichzeitig musste er die Worte und Entscheidungen seiner Kirchenvertreter und vor allem des Papstes zumindest erklären.

Es war dementsprechend eine heikle Mission, in der Bischof Ackermann an diesem Abend unterwegs war, zwischen Mitgefühl, Verantwortung, Kirchentreue und dem Versuch, zu erklären, ohne zu relativieren. Für ihn gab es nichts zu gewinnen, aber eine Menge zu verlieren.

So schlug sich Anne Will:

Unauffällig. Sie war da, musste aber lediglich ein paar Stichworte liefern, die Diskussion blieb auch ohne sie in Schwung. Das lag vor allem an Heribert Prantl, der in Angriffslaune war und die scheinbar schlüssigen Antworten Ackermanns nicht unhinterfragt durchgehen ließ.

Das Fazit:

Es war kein Abend der großen Erkenntnisse – wie sollte er das auch werden? Stattdessen war es ein Abend der Entlarvungen und der rigorosen Abrechnung. Dass Bischof Ackermann beim Kampf gegen Missbrauch und Vertuschung auf das Etablieren einer neuen Kultur des Hinsehens verwies, mag seiner Rolle als Verteidiger seiner Kirche geschuldet sein.

Vielleicht ist es aber auch ein Indiz dafür, wie sehr sich die Kirche in den vergangenen Jahrzehnten oder vielleicht sogar Jahrhunderten in eine Parallelwelt abgekoppelt hat und den Kampf gegen diese Verbrechen nicht als das benennt, was er ist: eine Selbstverständlichkeit.

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