Politiker fürchten ein Ansteigen der Altersarmut. Müssen die Rentenreformen rückgängig gemacht werden, um sie zu verhindern? Das wurde bei Anne Will diskutiert - mit wenig befriedigendem Ergebnis.

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Wer heute Mitte 50 ist, für den könnte es im Alter ungemütlich werden. Jede zweite Rente könnte dann eine Armutsrente sein, also eine Rente auf Hartz IV-Niveau. Im Jahr 2030 wären das nur noch 43 Prozent des Durchschnittslohns, wenn das Rentenniveau weiter absinkt.

Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer sagte unlängst, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung im Alter in der Sozialhilfe landen werde – wenn es so weitergehe wie gehabt und nicht an der Rentenreform gerüttelt werde. Auch Sigmar Gabriel betonte in einem Interview mit der WAZ, dass das Niveau der gesetzlichen Rente nicht weiter sinken dürfe, sondern stabilisiert werden müsse.

Was ist das Thema?

Die Angst vor Altersarmut in Deutschland wächst. Trotz des Beschäftigungsbooms droht vielen Geringverdienern eine Rente auf Hartz IV-Niveau.

Das liegt auch daran, dass die Zahl der Beschäftigten in Teilzeit, Befristung, Zeitarbeit und Minijobs innerhalb von zehn Jahren um mehr als 70 Prozent gestiegen ist. Menschen, die zwar in Beschäftigung sind, denen langfristig aber nicht geholfen ist.

Anne Will diskutiert mit ihren Gästen das Thema "Heute kleiner Lohn, morgen Altersarmut - Versagt der Sozialstaat?". Ist Deutschland hier gescheitert und müssen die Rentenreformen rückgängig gemacht werden? Das waren die zentralen Fragen der Talkrunde.

Wer sind die Gäste?

Hannelore Kraft (SPD, Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen): Fakt ist für sie, dass das Rentenniveau nicht weiter absinken darf.

Die private Säule müsse erhalten bleiben und anders positioniert werden. Kraft sieht Handlungsbedarf bei der Rentenreform. Denn es sei viel für jene getan worden, die jetzt in Rente sind.

Die Frage ist laut Kraft nun, was mit denjenigen passiert, die mittel- und langfristig in Rente gehen. Sie sieht die Reformen als dynamischen Prozess: "Politik macht nicht irgendwann etwas und es bleibt so bestehen. Man muss auch mal irgendwann nachsteuern, wenn das Gesamtsystem nicht stimmt."

Susanne Neumann (Putzfrau und Vorsitzende des IG BAU-Bezirksverbands Emscher-Lippe-Aa): Sie arbeitet seit 35 Jahren als Putzfrau, ist an Krebs erkrankt und würde 735 Euro Rente bekommen, wenn sie jetzt aufhören würde zu arbeiten.

Arbeitet sie noch weiter, wären es irgendwann etwa 900 Euro. Neumann fürchtet, dass auch alle ihre Kolleginnen, ihre "Mädels", in der Altersarmut landen werden.

Neumann zufolge müssen alle Menschen, die unter 11,50 Euro in 45 Jahren Berufstätigkeit verdienen, später mit solch einer Mini-Rente leben.

Sie betont außerdem, dass Wenigverdiener es sich gar nicht leisten könnten, nebenbei in die Riester-Rente einzuzahlen und sich so eine Zusatzvorsorge aufzubauen. Dafür würde schlicht das Geld nicht reichen.

Marcel Fratzscher (Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin): Er sieht Riester als gescheitert an. Es müsse etwas geändert werden und mehr auf die private Vorsorge gesetzt werden, sagt Fratzscher.

Es gebe geringere Reallöhne als noch vor 15 Jahren: "Menschen müssen die Möglichkeit haben, Vermögen aufzubauen. Deutschland ist das Land mit der größten Vermögensungleichheit."

Für den Wirtschaftsforscher existiert die soziale Marktwirtschaft, in der die soziale Sicherung aller Bevölkerungsgruppen gewährleistet ist, nicht mehr.

Er ist der Meinung, dass in Deutschland viel zu wenig in Bildung investiert wird. Frühkindliche Bildung wie Ganztagsschulen, Hausaufgabenbetreuung und Kitas müssten vorangebracht werden, weil davon vor allem die Kinder aus sozial schwächeren Familien profitierten.

Rainer Hank (Ressortleiter Wirtschaft bei der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung"): Hank hält die Zahl, dass jeder Zweite im Alter in der Armut landen wird, schlicht für falsch.

Die Zahl müsse differenziert betrachtet werden, weil es bei Seehofers Prognose um einzelne Personen und nicht um Paare und Familien gehe, weil Studenten und Azubis mit erfasst worden seien, deren aktuelles Gehalt nicht dem zukünftigen entspricht und weil keinerlei private Zusatzrenten eingeflossen seien.

Hank spricht in den höchsten Tönen über die rot-grünen Reformen der Schröder-Regierung: "Wenn die Sozialdemokraten das selber nicht mehr machen, müssen es Wirtschaftsjournalisten machen. Es war die beste marktwirtschaftliche Reform in Deutschland seit Ludwig Erhard."

Riester sei der richtige Ansatz, aber in der Praxis zu kompliziert und zu bürokratisch.

Hubertus Porschen (Vorsitzender des Verbands "Die Jungen Unternehmer"): Der Jungunternehmer ist gegen das Einfrieren des Rentenniveaus. Die junge Generation dürfe nicht alle Last auf ihren Schultern tragen.

Seehofers Aussage versteht er als pures Kalkül, die mit den Ängsten der Menschen spielt: "Er will sich damit die Rentner fangen."

Für Porschen ist das Problem allen Übels die mangelnde Investition in die Bildung. Außerdem stimmt er für eine risikoreichere Anlage der privaten Rentenvorsorge – beispielsweise in Aktien.

Was war das Rededuell des Abends?

Der Vorsitzende des Verbandes "Die Jungen Unternehmer", Hubertus Porschen, versucht es im Verlauf der Sendung immer wieder mit einem Seitenhieb in Richtung Hannelore Kraft.

"Setzen Sie die Rahmenbedingungen auf Wachstum, auf Innovation – auf zukunftsgerichtete Dinge. Sie haben die wenigsten Investitionen in Bildung in Nordrhein-Westfalen. Und wenn es nicht um das Bildungssystem geht – wo sollen wir denn dann ansetzen, um mehr Innovation zu schaffen in Deutschland?", moniert Porschen.

Kraft kontert: "Wissen Sie, wir investieren jeden dritten Euro des Landeshaushaltes in Kinderbildung und Familie. Wir haben hier einen ganz klaren Schwerpunkt. Sie können nicht Äpfel mit Birnen vergleichen."

Porschen ist der Meinung, dass das nicht ausreicht. Allerdings gibt er keinerlei konkrete Beispiele, woran er festmacht, dass Hannelore Kraft nicht zukunftsgerichtet denkt.

Das sieht auch Moderatorin Anne Will so und grätscht in die Diskussion: "Wenn wir es verstehen sollen, dann müssen Sie es konkreter machen. Was genau werfen Sie Frau Kraft denn vor?"

Mit einem erneuten und immer noch nicht konkreter werdenden "Sie investieren nicht genug in Bildung" von Porschen endet die Diskussion.

Was ist das Ergebnis?

Die Riester-Rente in der aktuellen Version ist gescheitert – da ist sich die Runde einig. "Sie hilft den falschen Leuten", sagt Marcel Fratzscher.

Auch darüber, dass in Frühpädagogik mehr investiert werden muss - und damit in Kitas, Hausaufgabenbetreuung und Ganztagesschulen -, ist sich zumindest ein Großteil der Gäste einig. Sonst gibt es wenig Konsens.

Auf die Frage der mitdiskutierenden Putzfrau, Susanne Neumann, was sie denn nun falsch gemacht habe, nachdem sie ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet habe und trotzdem in der Armut lande, wissen ihre Diskussionspartner keine Antwort. Das wäre allerdings die wichtigste Antwort des Abends gewesen.

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