Brüssel zittert vor dem, was sich aktuell in Italien ereignet. Eine populistische links-rechts-Koalition will eine Regierung bilden. Es drohen weitreichende Folgen für den Euro.

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Die Europäische Union blickt verängstigt gen Italien. Dort zeichnet sich eine politische Konstellation ab, die die Europäische Gemeinschaft in ihren Grundfesten erschüttern könnte.

Die links-populistische Fünf-Sterne-Bewegung und die fremdenfeindliche Lega sind kurz davor eine Koalition zu bilden. Es fehlt nur noch das Ja von Staatspräsident Sergio Mattarella.

Dann könnte in Italien ein Bündnis geschlossen werden, das Europa in eine tiefe Krise befördern könnte. "Die Zeichen stehen auf Sturm", warnt unter anderem CDU-Politiker und EU-Parlamentarier Elmar Brok in der "Saarbrücker Zeitung". Der Grund: das gemeinsame Programm der beiden künftig wohl regierenden Parteien.

Die Fünf-Sterne-Bewegung und die Lega hatten dieses am Freitag, zweieinhalb Monate nach der Parlamentswahl, vorgestellt - und es enthält viele teure Wahlversprechen.

Kaum zu bezahlende Wahlversprechen

Dabei hat Italien mit knapp 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) schon jetzt eine der weltweit höchsten Staatsverschuldungen. Dennoch will die neue Koalition nicht mehr sparen.

Zudem soll unter anderem die Einkommenssteuer sinken, ein Grundeinkommen von 780 Euro für alle eingeführt und das gerade erst angehobene Renteneintrittsalter wieder gesenkt werden. Die Kosten für die Umsetzung der Wahlversprechen belaufen sich auf 125 bis 170 Milliarden Euro.

Selbst Präsident Mattarella macht sich mit Blick auf die Staatsfinanzen "Sorgen wegen der Alarmzeichen", wie es aus seinem Umfeld hieß. Dennoch gilt es als nahezu sicher, dass er die Parteien mit der Regierungsbildung beauftragen wird.

Angst vor einer neuen Euro-Krise

In der EU gibt es hingegen große Befürchtung, dass die neue Regierung in Rom die Stabilitäts- und Schuldenregeln der Euro-Zone torpedieren könnte - und es dann zu einer neuen Euro-Krise kommen könnte.

Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sagte am Sonntag dem Sender Europe 1: "Wenn die neue Regierung es riskiert, ihre Verpflichtungen zu Schulden und Defizit nicht einzuhalten, aber auch die Sanierung der Banken, wird die gesamte finanzielle Stabilität der Eurozone bedroht sein." Jeder in Italien müsse verstehen, dass Italiens Zukunft in Europa sei, dass dazu aber Regeln eingehalten werden müssten.

Auch aus Deutschland kommen kritische Mahnungen. "Die neue italienische Regierung muss sich dringend zu einer soliden Wirtschaftspolitik und zu Europa bekennen, ansonsten sehe ich eine zunehmende Gefahr einer Panik an den Finanzmärkten", sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, der dpa. Die wirtschaftliche und finanzielle Lage Italiens sei "gefährlich".

Schon jetzt haben die Finanzmärkte reagiert. Die Risikoaufschläge für Italienische Staatsanleihen haben sich den letzten Tagen spürbar verteuert, die Börse in Mailand war zeitweise eingebrochen

Steht der Euro komplett auf dem Spiel?

Aus Sicht des Münchner ifo-Instituts werden in Italien derzeit die Grundlagen der Eurozone in Frage gestellt. "Der Eurozone droht eine neue Krise. Die EZB sollte überprüfen, ob sie weiterhin italienische Staatsanleihen kaufen kann", sagte ifo-Chef Clemens Fuest.

Würde die EU Italien allerdings fallen lassen, dürfte das weitreichende Folgen haben. Kommt es am Ende sogar zum Euro-Austritt des Landes, wird es für alle richtig teuer.

Die "Welt" macht folgende Rechnung auf: Da Ausländer Ende 2017 Italien-Anleihen im Volumen von fast 700 Milliarden Euro besaßen und die italienische Notenbank dem Euro-System, vor allem der Bundesbank, im internen Zahlungsverkehr noch 426 Milliarden Euro schulde, wäre ein Ausstieg Italiens aus dem Euro ungleich dramatischer als jeder Grexit und sogar jeder Brexit.

Guntram Wolff, Direktor des Thinktanks Bruegel, sieht sogar mit einem italienischen Austritt aus dem Euro die Gemeinschaftswährung in Gefahr. "Sollte Italien den Euro verlassen, müsste der Rest der Euro-Staaten schon ein enorm starkes politisches Signal geben, dass sie zusammenbleiben wollen", sagte er dem "Spiegel".

Was Hoffnung macht

Doch es gibt auch kleine Zeichen der Hoffnung. So stand in einem Entwurf des Koalitionsvertrags, dass die Europäische Zentralbank 250 Milliarden Euro an italienischen Schulden erlassen und dass es Regeln für den Austritt aus dem Euro geben sollte. Dies findet sich mittlerweile nicht mehr darin.

Auch Lega-Chef Matteo Salvini versucht zu beruhigen: "Die Regierung, der wir angehören will, dass Italien wächst, dass es mehr Arbeit gibt, dass Unternehmen in Italien investieren. Niemand muss vor unserer Wirtschaftspolitik Angst haben, die ganz anders sein wird als in den letzten Jahren, wo die Staatsverschuldung um 300 Milliarden angewachsen ist" wird er vom Bayerische Rundfunk zitiert.

Und dann ist da ja noch Staatspräsident Mattarella. Auf ihn setzt beispielsweise der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn.

"In Rom haben wir ja mit etwas zu tun, was uns wehtun kann - aber auch den Italienern weh tun kann", sagte der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn am Rande eines EU-Treffens in Brüssel. "Darum hoffe ich, dass auch der Präsident der Italiener ein gewichtiges Wort noch mitredet - und dass man jetzt nicht alles kaputt macht, was in den letzten sieben, acht Jahren seit der Finanzkrise aufgebaut wurde."

Er könnte zum Beispiel einzelne Minister ablehnen - wie den als Finanzminister gehandelten Euro- und Deutschland-Kritiker Paolo Savona. Der Wirtschaftswissenschaftler soll der Wunschkandidat der Lega sein.

Der 1936 geborene Savona hält den Euro für ein "deutsches Gefängnis". Die Zeitung "La Stampa" zitierte weiter aus seiner Autobiografie: "Deutschland hat seine Vision für seine Rolle in Europa nach dem Nationalsozialismus nicht geändert, obwohl es sich von der Vorstellung verabschiedet hat, dies mit Waffengewalt durchzusetzen". (tfr/cai/dpa/AFP)

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