Premierminister Boris Johnson und seine konservativen Tories gehen mit einem triumphalen Sieg aus den Parlamentswahlen in Großbritannien hervor und können den Brexit nun nach eigenen Vorstellungen durchziehen. Der große Wahlverlierer Jeremy Corbyn zieht unterdessen erste Konsequenzen.

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Die Konservativen von Premierminister Boris Johnson errangen nach Auszählung von mehr als 600 der 650 Wahlkreise am Freitagmorgen mindestens 326 Sitze und damit die absolute Mehrheit im Unterhaus. Damit dürfte der Weg für den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union frei sein.

Seine Regierung habe "ein mächtiges Mandat erhalten, den Brexit durchzuziehen", sagte Johnson am frühen Freitagmorgen in London. Als Termin für den Brexit ist der 31. Januar vorgesehen.

Oppositionsführer Jeremy Corbyn erkannte die Niederlage von Labour an und kündigte seinen Rückzug von der Partei nach einer Übergangsphase an.

Wahl in Großbritannien: Tories siegen deutlich

Die bisherige Auszählung von rund 649 der 650 Wahlkreise bestätigt die Prognosen eines deutlichen Wahlsiegs von Johnsons Konservativen. Neben Labour zählen auch die Liberaldemokraten (LibDems) sowie die irische Democratic Unionist Party (DUP) zu den Verlierern der Unterhauswahl.

Die Schottische Nationalpartei (SNP) räumte in Schottland hingegen ab, was Spekulationen über ein möglicherweise bevorstehendes neues Unabhängigkeitsreferendum befeuert.

Vorläufiges Ergebnis der BBC (Stand 9:16 Uhr):

  • Tories: 364 Sitze (plus 47)
  • Labour: 203 Sitze (minus 59)
  • LibDems: 11 Sitze (minus 1)
  • SNP: 48 Sitze (plus 13)
  • DUP: 8 Sitze (minus 2)
  • Andere: 15 Sitze (plus 2)

Johnson hält Wahlkreis mit klarer Mehrheit

Johnson bedankte sich bei allen Wählern, freiwilligen Helfern und Kandidaten seiner Partei. "Wir leben in der großartigsten Demokratie der Welt", schrieb er auf Twitter.

Dem Tory-Chef gelang es, seinen Londoner Wahlkreis Uxbridge mit klarer Mehrheit zu halten. Johnson versammelte rund 7.000 Stimmen mehr auf sich als sein nächster Mitbewerber, wie die örtliche Wahlleitung am frühen Freitagmorgen bekanntgab.

Im Vorfeld waren Spekulationen laut geworden, Johnson könnte seinen Parlamentssitz verlieren, seine Partei die Wahl aber insgesamt gewinnen. Dies hätte die Position des Premierministers schwächen können.

Chefin der Liberaldemokraten verliert Mandat

Die Chefin der britischen Liberaldemokraten, Jo Swinson, hat in einer für ihre Partei enttäuschenden Wahlnacht ihr Mandat im schottischen Dunbartonshire East an die Kandidatin der SNP verloren und ist zurückgetreten.

Das Amt der 39-jährigen übernehmen zunächst ihr Stellvertreter Ed Davey und Parteipräsidentin Sal Brinton, wie die Partei am Freitag mitteilte. Neue Wahlen für den Parteivorsitz fänden im kommenden Jahr statt.

Sie hatte ihren Sitz in Dunbartonshire East in Schottland an die Kandidatin der Schottische Nationalpartei SNP verloren.

Swinson hatte sich dafür ausgesprochen, den Brexit einfach abzusagen. Noch vor wenigen Monaten gab sie das Ziel aus, Premierministerin zu werden. Die Liberaldemokraten gehören zu den Verlierern der Wahl.

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon wertete den prognostizierten Wahlausgang auf Twitter als "bitter" für das Land. Gleichzeitig freute sie sich über das starke Abschneiden ihrer Schottischen Nationalpartei.

Hervorragendes Ergebnis für Schottische Nationalpartei

Die sozialdemokratisch und pro-europäisch ausgerichtete Schottische Nationalpartei (SNP) wird Vorhersagen zufolge möglicherweise mehr als 50 der 59 schottischen Parlamentssitze gewinnen. Die Konservativen könnten in Schottland komplett leer ausgehen, nachdem sie 2017 noch 13 Mandaten geholt hatten.

Sturgeon hat bereits angekündigt, für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum kämpfen zu wollen. "Boris Johnson hat erstens kein Recht, Schottland aus der EU zu nehmen und zweitens kein Recht zu verhindern, dass das schottische Volk über seine eigene Zukunft bestimmt", sagte die schottische Regierungschefin am frühen Freitagmorgen in der BBC.

Trump freut sich über Wahlausgang in Großbritannien

US-Präsident Donald Trump zeigte sich zufrieden mit dem voraussichtlichen Ausgang der Wahl in Großbritannien. "Sieht nach einem großen Sieg für Boris aus!", schrieb Trump in der Nacht zu Freitag auf Twitter.

Johnson war ähnlich wie Trump mit einem populistisch geführten Wahlkampf angetreten. Beide Politiker stehen sich nahe. Großbritannien und die USA wollen ein gemeinsamen Handelsabkommen abschließen, sobald Großbritannien aus der EU ausgetreten und nicht mehr an EU-Regelungen gebunden ist.

Kritiker befürchten, dass ein solches Abkommen stark liberalisiert sein könnte und auch als sinnvoll erachtete Regulierungen der EU - etwa bei Finanzdienstleistungen oder in der Landwirtschaft - zurückfahren wird.

Unterhauswahl: Erste Reaktionen aus Brüssel

EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich kooperativ. "Wir werden sehen, ob es für das britische Parlament möglich ist, das Austrittsabkommen zu akzeptieren" sagte Michel nach dem EU-Gipfel in der Nacht zum Freitag in Brüssel. "Falls das der Fall ist, sind wir bereit für die nächsten Schritte."

Die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley dämpfte die Hoffnung auf ein rasches Ende des Brexit-Streits. Johnson habe mit "der leeren Versprechung" gepunktet, den Brexit schnell abhandeln zu können, erklärte die Vizepräsidentin des Europaparlaments am späten Donnerstagabend der Deutschen Presse-Agentur in Brüssel.

Beziehung Großbritannien und EU muss verhandelt werden

Zunächst müsse der Austrittsvertrag durch das britische und das Europäische Parlament. "Und danach geht es erst richtig los: Die zukünftige Beziehung des Vereinigten Königreiches mit der EU muss verhandelt werden", erklärte Barley. "Johnson will das in wenigen Monaten schaffen - das wird nicht funktionieren."

Dem Austrittsabkommen zufolge soll das Land bis Ende 2020 in einer Übergangsphase bleiben. Bis dahin will Johnson einen Vertrag über die künftigen Beziehungen mit der Staatengemeinschaft aushandeln. Die Zeit dafür gilt jedoch als denkbar knapp.

Eine Verlängerungsoption um bis zu zwei Jahre, die noch bis Juli 2020 möglich ist, hat der Premier ausgeschlossen. Sollte kein Anschlussabkommen zustande kommen, droht Ende kommenden Jahres wieder ein No-Deal-Szenario. (jwo/dpa/afp)

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