Fischereipolitik ist eine der großen Hürden bei den Verhandlungen um ein künftiges Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU. London hat dabei die besseren Argumente auf seiner Seite. Doch ein Dokument aus dem Jahr 1666 könnte Brüssel nun zugutekommen.

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Die Fronten sind weiter verhärtet, die Zeit fast schon abgelaufen. Großbritannien scheidet am 31. Dezember aus der Zollunion und dem Binnenmarkt aus. Egal ob sich London mit der Europäischen Union auf ein Handelsabkommen einigen kann oder nicht.

"Spätestens Ende Oktober muss ein fertiger, unterschriftsreifer Text ausverhandelt vorliegen", sagte der Brexit-Beauftragte des Europäischen Parlaments, David McAllister, unserer Redaktion. Sonst gehen zum Jahreswechsel die Zollschranken zwischen beiden Seiten herunter – mit gravierenden Folgen für die ohnehin durch die Coronakrise gebeutelte Wirtschaft.

Doch nach wie vor gibt es mehrere große Konfliktfelder: faire Wettbewerbsbedingungen, die Kontrolle eines künftigen Abkommens und die Fangrechte für EU-Fischer in britischen Gewässern.

Fischereipolitik? Was sich simpel anhört, birgt gewaltiges und durchaus ungewöhnliches Konfliktpotential, wie der Fall eines jahrhundertealten Dokuments zeigt.

"Hochpolitische" Fischfangrechte

Bisher nutzt eine Reihe von EU-Staaten britische Gewässer zum Fischfang. Großbritannien will die volle Kontrolle über diese zurück, es sieht darin auch eine Frage der nationalen Souveränität. Fischwirtschaft und Aquakultur tragen laut der "Welt" gerade einmal 0,04 Prozent zur britischen Wirtschaftsleistung bei.

Trotzdem: "Das ist eine der ganz wenigen Fragen, wo die Briten tatsächlich einen Hebel haben gegenüber der EU", sagt ein EU-Diplomat. Denn ohne Einigung haben EU-Fischer ab dem Jahreswechsel überhaupt keinen Zugang mehr zu den Gewässern.

Laut EU-Kommission hat der Bereich pro Jahr ein Gesamtvolumen von 635 Millionen Euro. Die Bedeutung im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen ist damit eigentlich gering. In Brüssel wird aber darauf verwiesen, dass das Thema in Ländern wie Frankreich, Belgien oder Dänemark "eine hochpolitische Frage" sei.

Fischereiprivileg für Brügge aus dem Jahr 1666 mit Auswirkungen bis heute

Die belgische Region Flandern glaubt nun, in der Frage einen Joker in der Hinterhand zu haben: das sogenannte Fischereiprivileg für Brügge aus dem Jahr 1666. Damals gewährte der englische König Karl II. 50 Fischern aus der flämischen Stadt "ewigen Zugang" zu britischen Gewässern, wie "Politico" berichtet.

"Wenn wir nicht zu einer Einigung kommen, könnten wir uns auf die Charta berufen. Sie stammt aus dem Jahr 1666, wurde aber 1820 von einem britischen Anwalt bestätigt", sagte ein Sprecher der flämischen Fischereiministerin Hilde Crevits "Politico". Die flämische Regierung hat Brüssel sogar eine Kopie der Charta zukommen lassen.

Crevits zufolge bestehe die flämische Flotte derzeit aus 67 Fischerbooten. "Dieses Privileg könnte die Lage unserer Fischer etwas entspannen", sagte die Ministerin am Montag laut dem flämischen Rundfunksender VRT mit Blick auf das kommende Jahr.

Völlig offen ist, ob das Privileg von 1666 zwischenzeitlich durch ein anderes Gesetz ersetzt wurde. Laut VRT sei London aber durchaus der Auffassung, dass das jahrhundertealte Dokument noch immer gültig ist. Das soll aus Dokumenten des britischen Fischereiministeriums aus den 1960er Jahren hervorgehen.

Kaum einen Millimeter vorangekommen

Abzuwarten bleibt, ob das Dokument wirklich bei den Verhandlungen zum Zuge kommt. Bei der Durchsetzung und Kontrolle des künftigen Abkommens sind beide Seiten in den vergangenen Monaten jedenfalls kaum einen Millimeter vorangekommen.

Das Misstrauen der Europäer gegenüber London ist sogar noch gestiegen, seit dem Premierminister Boris Johnson einseitige Änderungen am bereits im Kraft befindlichen Brexit-Abkommen auf den Weg gebracht hat.

Am Freitag kam der nächste Paukenschlag: Großbritannien ist nach Johnsons Worten zu einem Abbruch der Brexit-Gespräche bereit. Er warf der EU vor, nicht seriös zu verhandeln. Sollte sich die Herangehensweise der EU nicht "grundlegend ändern", müsse Großbritannien sich darauf einstellen, seine Handelsbeziehungen zur EU ab Januar auf der Grundlage von Regelungen der Welthandelsorganisation WTO zu gestalten.

Das heißt: No-Deal-Brexit. (afp/mf)

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