Immer wieder drohte der türkische Präsident Erdogan in der Vergangenheit, den Flüchtlingspakt mit der EU platzen zu lassen. Bei einem Besuch in Ankara versucht Horst Seehofer, das wackelnde Abkommen zu retten. Die türkischen Minister ziehen nach den Gesprächen ein positives Fazit. In einem wichtigen Punkt lässt Seehofer die Türkei allerdings abblitzen.

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Wogen glätten, Pakt retten - so lässt sich Horst Seehofers Flüchtlingsmission in der Türkei zusammenfassen.

Bei seinem kurzen Besuch in Ankara von Donnerstagabend bis Freitagmittag hat der deutsche Innenminister der Türkei angesichts des wackelnden Migration-Abkommens mit der EU für die Betreuung der vielen Flüchtlinge im Land weitere Unterstützung zugesagt.

Seehofer war zusammen mit EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos unterwegs. Nach der Ankunft am Donnerstagabend trafen sie zunächst Innenminister Süleyman Soylu.

Danach sagte Seehofer zu deutschen Journalisten: "Der Minister hat uns sehr umfassend dargestellt, welchen Zuwachs die Migration hier im Moment hat."

Er erwähnte Afghanen und Syrer. Der Migrationsdruck sei "gewaltig" und steige. "Deshalb müssen wir schauen, wie dieser Pakt zwischen der Europäischen Union und der Türkei gekräftigt werden kann." Und: "Wo immer wir unseren Beitrag leisten können,(...) sind wir dazu bereit."

Seehofer will mit von der Leyen über zusätzliche Mittel sprechen

Seehofer bestätigte, dass die Türkei zusätzliche Mittel für die Flüchtlingshilfe angesprochen habe. Darüber müsse nun mit der neuen EU-Kommission, die unter der deutschen Politikerin Ursula von der Leyen am 1. November ihren Dienst antritt, geredet werden.

"Ich werde nach Brüssel fahren und der neuen Kommissionspräsidentin meine Eindrücke hier schildern, damit das sehr schnell angegangen wird."

Der türkische Innenminister werde außerdem eine Liste zusammenstellen mit Punkten, bei denen Deutschland helfen könne.

Die werde noch mit Präsident Recep Tayyip Erdogan abgestimmt. Denkbar sei beispielsweise Unterstützung bei der Grenzüberwachung, sagte Seehofer.

Cavusoglu lobt produktive Gespräche

Bevor Seehofer am Freitagmittag nach Athen weiterreiste, traf er mit EU-Migrationskommissar Avramopoulos den türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Danach gab es ein Gespräch mit Vize-Präsident Fuat Oktay, wie BMI-Sprecher Steve Alter bestätigte. Es habe fast 90 Minuten gedauert.

Cavusoglu lobte sein Gespräch mit Seehofer und Avramopoulos als produktiv. Man habe das Flüchtlingsabkommen "in allen Details" diskutiert. "Wir haben offen erklärt, wie wir die Situation sehen und wie wir mit der Europäischen Union kooperieren wollen", sagte Cavusoglu.

Es sei in diesem Zusammenhang auch um den Ausbau der Zollunion und visa-freies Reisen gegangen. "Wir haben gesehen, dass sie zu diesem Thema Interesse an einer gesünderen Zusammenarbeit mit der Türkei haben. Aber Versprechen sollten gehalten werden."

Türkei nutzt Flüchtlingspakt als Drohmittel

Der Flüchtlingspakt aus dem Jahr 2016 sieht vor, dass Griechenland illegal eingereiste Migranten zurück in die Türkei schicken kann. Im Gegenzug übernimmt die EU syrische Flüchtlinge aus der Türkei und unterstützt die Türkei finanziell bei der Versorgung der Flüchtlinge.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat allerdings mehrfach kritisiert, dass versprochene EU-Hilfen nicht zufriedenstellend flössen, und mehr Unterstützung eingefordert. Andernfalls könnte man den Flüchtlingen die Türen Richtung Europa öffnen, drohte er.

In EU-Ländern wiederum wuchsen Sorgen, weil in Griechenland seit einiger Zeit deutlich mehr Flüchtlinge aus der Türkei eintreffen. Der Pakt soll das eigentlich verhindern.

Cavusoglu sprach am Freitag von "grundlosen Anschuldigungen gegen die Türkei nach einem kleinen Anstieg von Ankünften".

Seehofer spricht sich gegen "Sicherheitszone" in Nordsyrien aus

Beide Minister und der Vizepräsident hatten offenbar ein äußerst strittiges Thema angesprochen: Präsident Erdogans Idee, in Nordsyrien eine sogenannte Sicherheitszone zu schaffen und, sobald sie von "terroristischen Gruppen befreit" sei, Millionen syrische Flüchtlinge dorthin umzusiedeln.

Hier ließ Seehofer seine Gesprächspartner offenbar abblitzen. "Ich habe deutlich gesagt, dass es ja viele Regierungen gibt, unsere eingeschlossen, die da ihre Probleme haben", sagte Seehofer am Donnerstagabend.

Der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu zufolge hatte Oktay während des Empfangs mit Seehofer und Avramopoulos die EU in seiner Rede dazu aufgefordert, beim Aufbau der Zone zu helfen.

"Wir müssen die nötige Infrastruktur bauen - vorläufige und langfristige Unterkünfte, Krankenhäuser und Schulen", sagte Oktay demnach.

Die Projekte seien fertig geplant, "aber wir brauchen die Unterstützung aller regionalen Akteure, um sie umzusetzen, besonders der EU".

BMI-Sprecher Steve Alter sagte am Freitag: Auch wenn es noch keine konkreten, inhaltlichen Ergebnisse gebe, sei der Minister "Stand jetzt" mit den Gesprächen zufrieden.

"In den groben Linien sind Gemeinsamkeiten erkennbar und die Gesprächsatmosphäre war sehr kollegial und konstruktiv." (dpa/thp)

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