Politische Spannungen haben zuletzt wieder vermehrt für Zwischenfälle im Sport gesorgt. Das jüngste Beispiel eines iranischen Judoka macht dabei erneut sprachlos. Doch es gab in der Vergangenheit schon zahlreiche Situationen, in denen die Politik den Sport auf unschöne Weise instrumentalisiert hat.

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Der iranische Judoka Saeid Mollaei wollte bei der Weltmeisterschaft in Tokio vor wenigen Tagen eigentlich seinen Titel in der Klasse bis 81 kg verteidigen. Doch sein Verband machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Denn dieser hat Mollaei dazu gezwungen, sein Halbfinale gegen den Belgier Matthias Casse zu verlieren. Der Grund: Damit sollte vermieden werden, dass der iranische Sportler in einem möglichen Finale nicht gegen den Israeli Sagi Muki antreten muss.

Mollaei wollte sich damit nicht abfinden. Er machte die Direktive von oben öffentlich und hat mittlerweile offenbar in Deutschland um Asyl gebeten. Damit reiht sich der Vorfall ein in eine lange Liste politisch motivierter Einflussnahmen auf den Sport.

Eine Auswahl:

1976: Über 20 Teams verzichten auf eine Teilnahme an den Olympischen Spielen in Montreal. Der Grund: Neuseelands Rugby-Nationalmannschaft hatte kurz zuvor den internationalen Sport-Bann gegen den Apartheidsstaat Südafrika gebrochen und war gegen die südafrikanische Mannschaft angetreten. Die Boykott-Staaten hatten den Ausschluss der Neuseeländer von den Spielen gefordert, das IOC lehnte aber ab.

1980: Im Dezember 1979 marschieren russische Truppen in Afghanistan ein. Ein Jahr später finden die Olympischen Spiele in Moskau statt. Aus Protest gegen den Einmarsch Russlands boykottieren die USA die Spiele. 40 Staaten, darunter auch Deutschland, schließen sich dem Verzicht an.
16 der teilnehmenden Staaten protestieren in Moskau gegen den Einmarsch in Afghanistan und tragen statt ihrer Nationalfahne die olympische Flagge ins Stadion. Sieben Staaten treten nur mit einem Fahnenträger, aber ohne Sportler an.

1981: Im Iran wird Frauen der Zutritt zu Fußballspielen der Männer "grundsätzlich verboten". Die Regelung ist bis heute in Kraft, erst im Juni wurden Frauen, die ein Länderspiel der iranischen Männernationalmannschaft besuchen wollten, in Teheran in Gewahrsam genommen. Erst am 9. September war eine Frau nach Protesten gegen die Regelung ums Leben gekommen. Sie hatte sich in der vergangenen Woche vor einem Teheraner Gericht mit Benzin übergossen und angezündet und erlag ihren schweren Verletzungen. Die Frau war von der Polizei festgenommen worden, nachdem sie als Mann verkleidet versucht hatte, bei einem Spiel ihres Lieblingsvereins Esteghlal Teheran ins Stadion zu gelangen.

1984: Ein Jahr vor den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles schließen US-Funktionäre immer mehr sowjetische Sportler aus. Die Sowjets reagieren mit heftigen Protesten. Gemeinsam mit 13 anderen Staaten reisen sie als Reaktion darauf nicht nach Los Angeles. Mit den nicht-teilnehmenden Ostblockstaaten sowie Kuba fehlt ein Großteil der internationalen Weltspitze bei diesen Spielen.

2004: Im Vorfeld zu den Olympischen Spielen 2004 in Athen sorgt der iranische zweifache Judo-Weltmeister Arash Miresmāeli für einen politischen Skandal: Er erklärt, dass er nicht gegen den israelischen Judoka Ehud Vaks antreten werde, um seine Sympathie für das palästinensische Volk ausdrücken. Einen Tag nach Beginn der Olympischen Spiele zieht Miresmāeli seine Androhung zurück, wird aber dennoch nicht zum Wettkampf zugelassen, weil er das zulässige Maximalgewicht überschreitet.

2007: Ende des Jahres rückt auch ein Spieler des Deutschen Fußball-Bundes in die Schlagzeilen. Ashkan Dejagah, damals Mitglied der deutschen U21-Nationalmannschaft, verweigert die Teilnahme am Qualifikationsspiel in Israel. Dejagah sieht sich als Deutsch-Iraner nicht imstande, die Reise nach Israel anzutreten. "Das hat politische Gründe. Jeder weiß, dass ich Deutsch-Iraner bin", wird er in der "Bild" zitiert. Die offizielle Begründung lautet "persönliche Gründe". In Deutschland entbrennt eine heftige Debatte, der damalige CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla legt Dejagah nahe "das Trikot der Nationalmannschaft abzugeben". Seit der Islamischen Revolution von 1979 lehnt es der Iran ab, Israel anzuerkennen und verbietet grundsätzlich seinen Staatsbürgern die Einreise sowie den sportlichen Wettkampf.

2008: Shahar Peer nimmt als erste israelische Tennisspielerin an einem Turnier in den Golfstaaten teil. In Doha durchbricht Peer damit - fürs Erste - diesen Bann. Aber nur ein Jahr später wird ihr von den Vereinigten Arabischen Emiraten die Einreise und damit die Teilnahme am Turnier in Dubai verweigert.

2013: Bei der Leichtathletik-WM in Moskau kritisieren einige Athleten das kurz zuvor eingeführte Anti-Homosexuellen-Gesetz der russischen Regierung. Der amerikanische Läufer Nick Symmonds widmet seine Silbermedaille aus dem 800-Meter-Lauf den Schwulen und Lesben. Ein paar Sportlerinnen lackieren ihre Fingernägel in Regenbogen-Farben, dem Symbol der Homosexuellen-Bewegung. Zwei russische Weltmeisterinnen küssen sich öffentlich.

2013: Die FIFA muss Gibraltar als vollwertiges Mitglied aufnehmen. Der Internationale Sportgerichtshof CAS hatte den Weltverband angewiesen, den britischen Außenposten nach 20 Jahren endlich anzuerkennen. Im Rahmen zur Qualifikation für die EM 2016 war Gibraltar also erstmals im Lostopf, konnte und kann aber nicht auf Nachbar Spanien treffen. Die Iberer erkennen den Status des Kleinstaats als britisches Territorium nicht an, Partien zwischen Spanien und Gibraltar sind deshalb bei den Auslosungen der Qualifikationsgruppen ausgeschlossen. Wegen der Sonderregelung spielte Deutschland auf dem Weg zur EM 2016 zweimal gegen Gibraltar, bestritt das Auswärtsspiel freilich im portugiesischen Faro.

2014: Seit der Annexion der Krim und der dadurch heraufbeschworenen Krise zwischen Russland und der Ukraine dürfen Vereine beider Länder und die beiden Verbände in europäischen Fußballwettbewerben nicht mehr in eine Gruppe gelost werden. Beim Champions-League-Finale 2018 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew war der russische UEFA-Hauptsponsor Gazprom unerwünscht.

2015: Malaysia verweigert zwei israelischen Windsurfern das Visum, was eine Wettkampfteilnahme auf Langkawi unmöglich macht. Ein Jahr später lässt die Regierung eine geplante FIFA-Konferenz platzen, weil sich auch Vertreter aus Israel angekündigt hatten.

2018: Ein tunesisches Gericht verweigert vier israelischen Athleten die Teilnahme an den Taekwondo-Weltmeisterschaften der Junioren. Das Urteil verbiete es, die israelischen Athleten einzuladen. Zuvor hatte eine anti-israelische Organisation in Tunesien Klage gegen die Teilnahme der Israelis eingereicht.

2019: Bei den Para-Schwimm-Weltmeisterschaften in Kuching in Malaysia sind israelische Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht erlaubt. Die malaysische Regierung verweigert den Israelis die nötigen Visa. "In Malaysia ist kein Platz für israelische Sportler", teilt Premierminister Mahathir Mohamad mit. Damit nimmt Malaysias Regierung den Sportlern auch die Chance, sich über die WM für Olympia 2020 in Tokio zu qualifizieren. In der Folge verhängt Malaysia ein umfassendes Verbot für die Teilnahme israelischer Staatsbürger an öffentlichen Veranstaltungen im eigenen Land.

2019: Aus Sicherheitsgründen verzichtet Ex-BVB-Spieler Henrikh Mkhitaryan auf die Reise zum Europa-League-Finale in Baku gegen den FC Chelsea. Hintergrund der Absage Mkhitaryans sind politische Spannungen zwischen seinem Heimatland Armenien und Aserbaidschan, der Spieler fürchtete offenbar um Leib und Leben in Aserbaidschans Hauptstadt.

2019: Beim EM-Qualifikationsspiel zwischen Aserbaidschan und Vizeweltmeister Kroatien am 9. September steht auch Cavid Hüseynov für die Gastgeber auf dem Platz - obwohl der im Verdacht steht, an dem Mord am Journalisten und Fotografen Rasim Alijew zwei Jahre zuvor beteiligt gewesen zu sein. Hüseynovs Cousin wurde zu neun bis 13 Jahren Haft verurteilt, der Spieler kam ebenso wie sein Teamkollege Aras Abdulajew wenige Monate zuvor ungeschoren davon. Abdulajew hatte mit seinem Sportwagen zwei Frauen angefahren, eine wurde schwer verletzt, die andere starb an den Folgen des Unfalls. Offenbar hält die Politik ihre schützende Hand über wichtige Sportgrößen des Landes.

2019: Zehn Spieler von Sri Lankas Cricket-Nationalmannschaft verweigern ihre Teilnahme an den Testspielen ihres Teams in Pakistan. Die Gruppe um Kapitän Dimuth Karunaratne begründet die Entscheidung mit Sicherheitsbedenken. Vor zehn Jahren war bei einem Besuch der Cricket-Mannschaft Sri Lankas in Pakistan ein Anschlag auf den Teambus verübt worden. Angreifer hatten die Mannschaft mit Waffen beschossen, zwei Zivilisten und sechs Mitglieder des Sicherheitspersonals waren gestorben. Sechs Spieler des Cricket-Teams waren verletzt worden.

2019: Im September stirbt eine Iranerin, nachdem sie als Mann verkleidet ein Champions-League-Spiel ihres Klubs FC Esteghlal im Stadion besuchen wollte und dabei erwischt wurde. Nach mehreren Gerichtsverfahren und der Verurteilung zu sechs Monaten Haft zündet sich das Mädchen an und erliegt wenige Tage später seinen schweren Verbrennungen.

Verwendete Quellen:

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