Die lange Debatte über den sogenannten Heizungstausch habe viele Menschen verunsichert, sagt Bärbel Bas. Im Interview mit unserer Redaktion plädiert die Präsidentin des Bundestags für bessere Kommunikation der Politik – und für einen sachlichen Ton in Debatten: "Wenn sich Abgeordnete wie auf dem Bolzplatz ausdrücken, entspricht das nicht der Würde des Hauses."

Ein Interview

Im Bundestag ist ein Hammelsprung angesetzt: Alle Abgeordneten müssen spontan zum Plenarsaal eilen und abstimmen, indem sie durch unterschiedliche Türen gehen. Bärbel Bas kommt trotzdem fast pünktlich zum Interview mit unserer Redaktion zurück zu ihrem Büro und sagt mit einem Schmunzeln: "So, was machen wir jetzt?"

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Seit 2021 ist Bas Bundestagspräsidentin und damit nach dem offiziellen Protokoll die zweithöchste Person im Staat. Die Duisburgerin hat eine ungewöhnliche Politikerbiografie: Sie ist in einer Familie mit fünf Geschwistern aufgewachsen, besuchte die Hauptschule und spielte Fußball mit der heutigen Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg. In ihr Amt an der Spitze des Parlaments hat sich Bas schnell eingefunden: Sie führt es mit großer Ruhe und klaren Ansagen, aber immer auch mit einer Spur Humor.

Frau Bas, vor dem Bundestag liegt noch eine Sitzungswoche, dann beginnt die Sommerpause. Wie urlaubsreif sind Sie?

Bärbel Bas: Wie immer vor der Sommerpause: Ich bin froh, wenn zumindest etwas Ruhe einkehrt.

Hinter dem Bundestag liegen aufreibende Monate. Sie haben vor kurzem kritisiert, dass das Tempo der Gesetzgebung zu hoch ist.

In der Pandemie mussten wir schnell reagieren und Gesetze beschließen. Da ging es nicht anders. Es gibt Krisenzeiten, in denen schnelle Verfahren für schnelle Entscheidungen nötig sind. Ich hatte aber den Eindruck, dass diese Geschwindigkeit jetzt für viele Themen gilt. Einer solchen Entwicklung möchte ich klar entgegentreten. Wir dürfen uns in der Gesetzgebung nicht an die Pandemiegeschwindigkeit gewöhnen.

Bärbel Bas beim Interview in ihrem Büro mit den Redakteuren Fabian Busch (links) und Jan-Henrik Hnida. © Hannes Jung

Warum?

Abgeordnete müssen Zeit haben, Entwürfe gründlich zu lesen, Expertinnen und Experten anzuhören und mit den Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen – und dann die aus ihrer Sicht nötigen Änderungen in den Gesetzgebungsprozess einzubringen. Das kann auch mal innerhalb von ein oder zwei Wochen gelingen. Der Regelfall verlangt aber eine längere Befassung.

Ist die Warnung bei den Fraktionen angekommen?

Ich glaube ja. Hinter den Kulissen wird jetzt auch schon mal mit mir gedroht: Denkt dran, was die Präsidentin gesagt hat! Alle bemühen sich, den Verfahren ausreichend Zeit zu geben. Beim Gebäudeenergiegesetz dauerte es recht lange, bis die Koalition sich auf einen Kompromiss geeinigt hat. Ich poche aber darauf: Ein länger dauernder Abstimmungsprozess innerhalb der Bundesregierung kann nicht zulasten des Parlaments gehen. Wir Abgeordnete brauchen genügend Zeit für ordentliche Verfahren. Auch die vielen Expertinnen und Experten, deren Sachverstand in die Überlegungen einbezogen werden sollen, können nicht immer innerhalb von wenigen Tagen oder Stunden ihre Stellungnahmen abliefern.

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Bärbel Bas: "Die Diskussionen über das Gebäudeenergiegesetz haben die Menschen verunsichert"

Mit dem Gebäudeenergiegesetz will die Bundesregierung die Menschen mittelfristig dazu bewegen, Öl- und Gasheizungen gegen klimafreundlichere Anlagen auszutauschen. Die Pläne haben für heftige Diskussionen gesorgt. Vielleicht mutet die Politik den Menschen gerade zu schnell zu viele Veränderungen zu?

Richtig ist, dass momentan viele Entscheidungen getroffen werden müssen. Wir alle spüren die Klimakrise und müssen etwas tun - schnell die erneuerbaren Energien ausbauen und auch im Gebäude- und Verkehrsbereich viel verändern. Die meisten Bürgerinnen und Bürger sehen das auch so. Ich würde daher nicht von Zumutungen sprechen. Die langen Diskussionen über das Gebäudeenergiegesetz haben die Menschen aber sehr verunsichert. Zu dieser Verunsicherung tragen auch manchmal Medien bei.

Inwiefern?

Wenn das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf beschließt, entsteht in den Medien manchmal der Eindruck, als würde er morgen schon so im Gesetzblatt stehen. Dabei steht der Kabinettsbeschluss am Anfang und nicht am Ende eines Gesetzgebungsverfahrens. Das Gebäudeenergiegesetz befindet sich aktuell erst mitten in den parlamentarischen Beratungen. Umso mehr freue ich mich über fundierte Berichterstattung zu politischen Verfahren. Es ist wichtig, dass wir auch die Verfahren in unserer Demokratie den Menschen gut erklären. Da sind aber wir als Abgeordnete natürlich in erster Linie gefragt. Wir müssen umfassend sowie verständlich informieren und auf die Menschen zu gehen. Daher bringe ich mit dem Instagram-Kanal bundestagspraesidentin den Menschen meine Arbeit näher und mache sie transparent.

Wie kann die Politik den Menschen diese Verunsicherung nehmen?

Das ist eine Frage der Kommunikation, und das ist unsere Aufgabe als Parlament. Auch das kostet Zeit: Wir Abgeordnete sind zwischen den Sitzungswochen in unseren Wahlkreisen unterwegs, haben Bürgerveranstaltungen, reden mit Unternehmen, Verbänden und Vereinen. Die Eindrücke müssen wir zurück ins Parlament und in die Diskussion einbringen. Ich habe in meiner Antrittsrede als Präsidentin gesagt: Geht raus in die Wahlkreise! Nach der Pandemie ist es dringend notwendig, wieder in den Dialog mit den Menschen zu kommen.

"Wir müssen ernst nehmen, was Bürgerinnen und Bürger uns mit auf den Weg geben."

Bärbel Bas

Sie haben in Ihrer Antrittsrede auch gesagt: Sie erwarten Respekt des Parlaments für die Bürgerinnen und Bürger – aber andersherum auch Respekt der Bevölkerung für das Parlament. Wie haben Sie das gemeint?

Wir gleichen im Parlament gesellschaftliche Interessen aus, indem wir Kompromisse suchen. Wenn es dann eine Mehrheitsentscheidung gibt, ist diese zu respektieren. Auf der anderen Seite müssen wir ernst nehmen, was Bürgerinnen und Bürger uns mit auf den Weg geben. Deswegen sind die Debatten hier im Haus so wichtig. Unterschiedliche Meinungen werden im Bundestag durchaus zugespitzt vorgetragen, damit die Bürgerinnen und Bürger sehen: Meine Position spielt auch eine Rolle, sie ist angekommen und wird diskutiert. Ob sie am Ende eine Mehrheit findet, ist eine andere Frage.

Sie haben vor kurzem in einer Bundestagssitzung den Ton einer Rede kritisiert. Ein Abgeordneter hatte gesagt, der Entwurf für das Gebäudeenergiegesetz sei "zum Kotzen". Schlägt sich der Druck, viele Probleme gleichzeitig zu lösen, auch im Ton der politischen Debatte nieder?

Es ist die Aufgabe von uns als Präsidium, bei der Leitung der Plenarsitzungen auf eine der Würde des Hauses angemessene Debattenkultur zu achten. Wir mussten in der laufenden Legislaturperiode schon fast 50 Ordnungsrufe erteilen. Damit haben wir bereits jetzt die Anzahl an Ordnungsrufen erreicht wie in der vorigen Wahlperiode insgesamt. Man merkt, dass sich die Sprache verhärtet hat. Wir brauchen aber einen fairen und respektvollen Umgang miteinander. Wir sollen in der Sache hart miteinander diskutieren und Argumente hörbar austauschen. Wenn sich Abgeordnete aber wie auf dem Bolzplatz ausdrücken, entspricht das nicht der Würde des Hauses. Sie glauben nicht, wie viele Bürgerzuschriften ich nach Parlamentsdebatten bekomme. Persönliche Angriffe und Beleidigungen stoßen die Bürgerinnen und Bürger ab.

Sie wolle die Lücke zwischen Parlament und Bevökerung unter anderem mit Bürgerräten schließen, sagt Bärbel Bas. © Hannes Jung

"Ein Bürgerrat soll ein Spiegelbild der Gesellschaft sein"

Der Bundestag hat gerade einen Bürgerrat zum Thema "Ernährung im Wandel" eingesetzt. 160 ausgeloste Bürgerinnen und Bürger sollen ab September über Nutztierhaltung, gesunde Ernährung oder Lebensmittelverschwendung diskutieren und Vorschläge für die Politik zusammentragen. Macht sich das Parlament damit überflüssig?

Nein. Der Bürgerrat ist kein Ersatz, sondern eine Ergänzung. Wir bekommen am Ende ein Gutachten mit Empfehlungen und werden darüber im Deutschen Bundestag diskutieren. Die Entscheidungen trifft selbstverständlich das Parlament. Alle bemängeln eine zu große Entfernung zwischen Politik und Bürgerinnen und Bürgern. Ich will diese Lücke mit dem Instrument des Bürgerrats ein Stück weit schließen. Ein Bürgerrat soll ein Spiegelbild der Gesellschaft sein. Er soll unterschiedliche Menschen aus allen Milieus zusammenbringen. Vor allem auch Menschen, deren Stimmen noch zu selten Gehör finden. Ich nenne das immer die schweigende Mitte.

Es gab in der Vergangenheit schon mehrere Bürgerräte auf Bundesebene. Hatten die wirklich eine bleibende Wirkung?

Nach dem Bürgerrat "Deutschlands Rolle in der Welt" haben wir die Teilnehmerinnen und Teilnehmer befragt. Die allermeisten von ihnen fanden es sehr gut, dass sie Expertinnen und Experten, Abgeordnete und Regierungsmitglieder einladen und anhören konnten. Die Mitglieder haben sich mit anderen Meinungen auseinandergesetzt und diesen Prozess als interessant empfunden. Sie haben aber auch gemerkt, wie schwierig es sein kann, Kompromisse und Mehrheiten zu finden.

So ein Format kann auch Frust erzeugen, wenn die Mitglieder das Gefühl haben: Sie tragen Vorschläge zusammen, die dann zur Kenntnis genommen werden – aber folgenlos bleiben.

Deswegen wollen wir Bürgerräten keine Ja-Nein-Fragen stellen, über die das Parlament dann möglicherweise anders entscheidet als der Bürgerrat. Zum Thema Ernährung können viele Vorschläge kommen. Wir werden auch klar kommunizieren, welche wir übernehmen und welche nicht. Die Kommunikation muss auch danach noch stattfinden.

Wenn sich mit einem Bürgerrat gesellschaftlich umstrittene Themen besprechen lassen – müssten Sie so ein Gremium nicht auch für Themen einsetzen, die besonders polarisieren? Zum Beispiel Migration und Geflüchtete.

Damit hätte ich kein Problem. Die Fraktionen haben sich jetzt auf das Thema "Ernährung im Wandel" geeinigt. Wir wollen in dieser Legislaturperiode aber noch Bürgerräte zu zwei weiteren Themen einsetzen. Ich bin sehr gespannt, was als nächstes kommt, und kann mir viele Themen vorstellen.

Zur Person: Bärbel Bas wurde 1968 in Duisburg geboren, wo sie heute noch wohnt und ihren Wahlkreis hat. Sie besuchte eine Hauptschule und danach eine Höhere Berufsfachschule, arbeitete später bei der Duisburger Verkehrsgesellschaft und studierte Personalmanagement. 2009 wurde sie erstmals in den Bundestag gewählt, wo sie sich auf Gesundheitspolitik spezialisierte, später Parlamentarische Geschäftsführerin und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion wurde. Seit der Bundestagswahl 2021 steht Bas als Bundestagspräsidentin an der Spitze des Parlaments.
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Teaserbild: © Hannes Jung