Andrea Nahles bringt für den SPD-Vorsitz gute Voraussetzungen mit: Sie gilt als kompetent und durchsetzungsstark und ist bei den Mitgliedern beliebt. Doch die Zukunft der Partei hängt nicht nur von Personalien ab.

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Die Partei zerrissen, die Umfragewerte auf einem historischen Tiefststand – es läge keine einfache Aufgabe vor Andrea Nahles, wenn die SPD-Mitglieder sie wie geplant zur Vorsitzenden wählen.

Und ist die Frau aus der Eifel wirklich die Richtige, um die älteste Partei Deutschlands aus ihrer schweren Krise zu führen?

Kandidatin mit vielen Stärken

Voraussagen seien schwierig, sagt Eike-Christian Hornig, Professor für Politikwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Die SPD ist in den letzten Jahren mit ihren Vorsitzenden grundsätzlich nicht sehr pfleglich umgegangen."

Und die Einschätzung, ob jemand der Richtige oder der Falsche ist, könne sich schnell ändern. Das habe das Beispiel Martin Schulz gezeigt: Am Anfang wurde er von seiner Partei und auch von vielen Wählern noch bejubelt. Nur ein Jahr später musste er das Feld räumen.

Trotzdem: Politikwissenschaftler Hornig glaubt, dass Andrea Nahles als integrierende Kraft durchaus für Ruhe in der verunsicherten Partei sorgen könnte:

"Sie hat ein starkes Ansehen bei den Mitgliedern, sie kennt die Partei seit Jahren und ist in ihr tief verwurzelt. Außerdem gilt sie als durchsetzungsstark und fachlich kompetent."

Sie habe als Arbeits- und Sozialministerin SPD-Herzensangelegenheiten wie den Mindestlohn "durchgesetzt wie verrückt", wie Nahles beim letzten Parteitag selbst betont hat.

Auch zu politischen Gegnern wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Unionsfraktionschef Volker Kauder wird ihr ein gutes Verhältnis nachgesagt.

Ihre flapsige Ausdrucksweise stößt zwar auf ein geteiltes Echo. Eike-Christian Hornig glaubt aber, dass sie damit bei vielen Menschen punkten kann: "Ihre Art kommt an. Nahles gilt als bodenständig und hat die Fähigkeit, mit Leuten auf der Straße zu sprechen."

Mitgliederentscheid als Hürde

Allerdings habe auch die designierte Parteichefin in den vergangenen Wochen und Monaten Fehler gemacht, sagt Gero Neugebauer, emeritierter Politikwissenschaftler an der Freien Universität Berlin: Sie hätte Martin Schulz darauf hinweisen müssen, dass er ihr den SPD-Vorsitz nicht einfach antragen könne.

Nach dem Murren der Basis musste die 47-Jährige zurückrudern und bis zu ihrer Wahl den Vorsitz Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz überlassen.

Hinzu kommt der Mitgliederentscheid: Am 4. März wird feststehen, ob die SPD-Basis für eine Große Koalition ist. Nahles hat sich vehement dafür ausgesprochen – gäbe es eine Mehrheit dagegen, wäre wohl auch ihr Sprung an die Parteispitze ungewiss.

Politikwissenschaftler Hornig glaubt aber, dass der Mitgliederentscheid letztlich positiv für die GroKo ausfallen wird – gerade wegen Nahles: "Die Mitglieder werden jetzt nicht die nächste Vorsitzende beschädigen wollen. Viele in der SPD hoffen, dass Ruhe in die Partei kommt."

Nicht an Kabinettsdisziplin gebunden

Käme es also wirklich zur Neuauflage der GroKo, würde sich für die SPD eine neue Situation ergeben. Partei- und Fraktionsvorsitz waren bei den Sozialdemokraten bisher nur selten in einer Hand. Dafür säße Andrea Nahles aber nicht in der Bundesregierung.

Nach Einschätzung von Eike-Christian Hornig kann das durchaus ein Vorteil sein, wie übrigens auch für die designierte CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. "Sie sind nicht in die Kabinettsdisziplin eingebunden und können auch mal ein kritisches Wort über die Regierung verlieren."

Nahles könne in ihrer Position die programmatische und politische Erneuerung der Partei vorantreiben, sagt auch Gero Neugebauer:

"Sie hat die Chance, als Repräsentantin der SPD zu deren Gesicht zu werden und dadurch im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu stehen und als Kanzlerkandidatin der SPD in den nächsten Wahlkampf zu ziehen."

"Rahmenbedingungen sind zu schlecht"

Geht es für die SPD dann also wieder aufwärts? Da ist Eike-Christian Hornig skeptisch. "Dafür sind die Rahmenbedingungen derzeit einfach zu schlecht." Die Personen sind die eine Seite, die aktuellen inhaltlichen Streitthemen die andere.

"Die aktuelle Diskussion, ob wir eine offene oder geschlossene Gesellschaft wollen, sorgt dafür, dass die Musik eigentlich woanders spielt. Die SPD bringt da nicht ihre Kernkompetenz mit", sagt der Wissenschaftler. "Im Parteiensystem lässt sich derzeit eine Polarisierung beobachten. Die SPD und auch die CDU versuchen da noch, ihren Platz zu finden."

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