Auf ihr Konto gehen die Blockade der Bristol Bridge in London, ein Farbanschlag in Zürich und dutzende Straßenblockaden. Die Bewegung "Extinction Rebellion (XR)" geht deutlich radikaler vor als "Fridays For Future", Massenverhaftungen sind kalkuliert. Wer steckt dahinter und wie genau sieht die Taktik aus?

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"Geh' in den zivilen Ungehorsam!" lautet der Aufruf einer Organisation, die seit Montag in Berlin und weiteren Großstädten "die Straßen fluten" will. Zu Tausenden plant "Extinction Rebellion" ab dem 7. Oktober Straßen und Plätze in Berlin zu blockieren.

Die Organisation kündigt an: "Wir stören den alltäglichen Betriebsablauf, der unsere Lebensgrundlagen zerstört. Wir sind bereit unsere Freiheit zu riskieren, um endlich eine wirksame Klimapolitik zu erreichen."

Dahinter stecken Aktivisten, für die die Bewegung "Fridays for Future" Kinderkram sein dürfte. Nicht, weil deren Anhängerschaft hauptsächlich aus Schülern und Studierenden besteht mit einer 16-Jährigen als Galionsfigur, sondern weil für "Extinction Rebellion" Plakate mit humorvollen Sprüchen, Blaumachen in der Schule und öffentliche Versammlungen nicht radikal genug sind. Anstatt der Schule fernzubleiben, sind ihre Anhänger bereit, für den Klimakampf ins Gefängnis zu gehen.

"Extinction Rebellion": Farbanschlag auf Schweizer Fluss

"Extinction Rebellion (XR)" - zu Deutsch: Rebellion gegen die Auslöschung - ist eine gesellschaftspolitische Graswurzelbewegung mit Ursprung in England, die 2018 offiziell gegründet wurde. Mittlerweile zählt die Bewegung Aktivisten in rund 60 Ländern, über 300 Ortsgruppen gibt es in Deutschland von München über Düsseldorf und Dresden bis nach Flensburg.

Bekanntheit erlangte "Extinction Rebellion", durch Aktionen wie den Farbanschlag auf die Limmat in Zürich Mitte September, bei dem sie das Wasser des Schweizer Flusses mit Uranin giftgrün färbten.

Im Juni hatten Aktivisten in der Schweiz bereits mit einer Aktion mit Kunstblut vor dem Bundeshaus in Bern auf sich aufmerksam gemacht, in Deutschland ketteten sich im selben Monat Anhänger von XR mit Fahrradschlössern am Hals an den Zaun des Kanzleramtes.

"Unser Protest wird stören, unbequem sein und damit endlich hörbar werden", so die Aussage der Bewegung auf ihrer Internetseite. Fridays For Future habe zwar eine Welle ausgelöst, werde aber in seinen Forderungen weitestgehend ignoriert.

Was unterscheidet die beiden Klimabewegungen? Um ihre Forderungen durchzusetzen greifen die Aktivisten von XR zu apokalyptischer Sprache, verwenden auf Aktionen Kunstblut, Särge und Leichenpuppen.

Ihre Taktik: Ziviler Ungehorsam. Dafür blockieren sie Brücken, Straßen und Häfen – gehen also weiter als Fridays For Future – denn bei den Aktionen handelt es sich meist um Rechtsverletzungen im Rahmen von Ordnungswidrigkeiten.

Aktivisten nehmen Verhaftung in Kauf

XR stellt sich damit in eine historische Tradition, die große Schatten vorauswirft. Denn der zivile Ungehorsam ist eine Form politischer Partizipation, die bis in die Antike zurückreicht. Als moderne Vertreter gelten Gandhi und MLK. Die Aktivisten nehmen in Kauf, für ihre symbolischen Ordnungsverstöße bestraft zu werden - bei Polizeieinsätzen gegen die Blockaden kam es bereits zu über 1.000 Verhaftungen.

Mit der Illegalität ihres Handelns wollen sie auf die Dringlichkeit ihres Anliegens aufmerksam machen und an den Gerechtigkeitssinn der Öffentlichkeit appellieren. Ausgegebenes Ziel der kalkulierten Gesetzesbrüche ist es mit "Massenverhaftungen möglichst viel mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und eine politische Krise herbeizuführen" - so sagte es der XR-Gründer Roger Hallam im "Spiegel Interview".

Gleichzeitig wolle man durch die Massenverhaftungen das System "ins Wanken" bringen, da die Gerichte so viele Festnahmen nicht bearbeiten könnten.

Gründer von "Extinction Rebellion" wurde in London verhaftet

Während "Fridays For Future" sich um die Teenagerin Greta Thunberg versammelt, ist mit Hallam das bekannteste Gesicht von "Extinction Rebellion" im vergangenen Monat in London verhaftet worden.

Dort hatte Hallam, Kleinbauer aus Wales, dazu aufgerufen den Flugverkehr des größten Flughafen Europas (Heathrow) lahmzulegen, indem Drohnen im Umkreis der Landebahn aufsteigen. Durch massive Polizeipräsenz scheiterte das Vorhaben.

Im Interview mit dem "Spiegel" sagte Hallam: "Wir zerstören gerade wissentlich und deshalb vorsätzlich, die Träume unserer Kinder. Es gibt kein größeres Verbrechen als das. Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird Demokratie irrelevant."

Konventionelle Aktionsformen wie Demos, E-Mail-Kampagnen und Lobbyarbeit seien "Schrott" und hätten nicht den nötigen Effekt. Mit ausreichend großem, ökonomischem Schaden ließen sich aber Großprojekte boykottieren.

In offenen Briefen solidarisierten sich Prominente weltweit, in Deutschland zählen der Musiker Bela B sowie die Schauspieler Bjarne Mädel und Fahri Yardim dazu.

Verbindungen ins linksextreme Milieu?

Auf seiner Website betont XR ausdrücklich, gewaltfrei zu agieren. Die Beurteilung, ob die Akte zivilen Ungehorsams jedoch Gewalt darstellen, obliegt der Justiz. Dort kommt teilweise ein anderer Gewaltbegriff zur Anwendung, bei dem die fraglichen Handlungen abweichend von ihrer jeweiligen Motivation analysiert werden.

In NRW berichtet die "WAZ" derweil in Berufung auf die Landesregierung über Verbindungen ins linksextreme Milieu. Dabei ist von Kontakten zur "linksextremistisch beeinflussten Bewegung 'Ende Gelände' im Rahmen von Protesten im rheinischen Braunkohlerevier" die Rede.

Greta Thunberg kontert Angriffe

Nach dem weltweiten Klimastreik vom Freitag ist Greta Thunberg besonders häufig angefeindet worden. Das lässt die junge Aktivistin nicht einfach auf sich sitzen.

XR will einen kompletten Systemwandel

Aber die Nähe zum Extremismus und die radikalere Taktik sind nicht der einzige Unterschied zu "Fridays For Future". Zwar geben die XR-Anhänger an, die Ziele seien im Grundsatz dieselben und Thunberg sei auch "ihre Greta", aber bereits einer der Hauptforderungen von XR geht weiter: Während "Fridays for Future" die Senkung der Treibhausgasemissionen auf Netto-Null bis zum Jahr 2035 fordert, will XR selbiges bis zum Jahr 2025.

Zu den Forderungen von XR zählt auch die Einberufung einer Bürgerversammlung, die Maßnahmen für Klimagerechtigkeit entwickelt.

Andererseits sind die Forderungen von "Fridays For Future" deutlich differenzierter, sie reichen von einer CO2-Steuer von 180 Euro pro Tonne bis hin zur Abschaffung von Subventionen für fossile Energieträger. Während Gretas Anhänger aber eine "Politik, die der Klimakrise als Hauptaufgabe des 21. Jahrhunderts gerecht wird" fordern, hat XR einen kompletten "Systemwandel" im Sinn.

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Gründer Roger Hallam im "Spiegel"
  • Website von "Extinction Rebellion"
  • Website von "Fridays for Future"
  • WAZ.de: Bochumer "Extinction Rebellion" protestiert gegen Klimakrise
  • bbc.com: Extinction Rebellion: Police move in on London protesters
  • Welt.de: Klimaschutzaktivisten ketten sich an Zaun vor Kanzleramt
  • Tagesanzeiger.ch: Die Limmat ist plötzlich giftgrün
  • Morgenpost.de: Extinction Rebellion: Der Klima-Protest wird radikaler
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