Es sei "Betrug", wenn Sprecher der Bundesregierung sagen, ein großer Teil der COVID-19-Patienten auf Intensivstationen sei ungeimpft, behauptet Boris Reitschuster. Einer Aussage des Präsidenten der Divi zufolge, könne man das gar nicht wissen. Doch das stimmt nach Recherchen von CORRECTIV.Faktencheck nicht, dem RKI liegen schon lange Daten vor.

"Bisher noch nicht erfasst, welche Patienten auf Intensivstationen geimpft und nicht geimpft sind", betitelt Boris Reitschuster einen Artikel auf seiner Webseite. Die Aussage stammt von Gernot Marx. Er ist Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Reitschuster stellt dieses Zitat Aussagen der Bundesregierung gegenüber, in denen es heißt, der Großteil der Coronapatienten auf Intensivstationen sei ungeimpft. Er suggeriert, die Bundesregierung betrüge die Öffentlichkeit was den Impfstatus von Intensivpatienten angehe, denn in Wahrheit gebe es diese Daten gar nicht.

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Damit erzeugt Reitschuster jedoch einen falschen Eindruck und führt in die Irre, wie CORRECTIV in einem Faktencheck schildert. Dem Zitat von Divi-Präsident Gernot Marx fehlt relevanter Kontext. Der Impfstatus von COVID-19-Fällen wird zudem schon lange vom Robert-Koch-Institut (RKI) erfasst, seit 14. Dezember wird er auch im Divi-Intensivregister erfasst.

Das Zitat von Marx stammt aus der Sitzung des Hauptausschusses des Bundestags am 15. November. Auf die Frage eines AfD-Abgeordneten, ob er wisse, wie viele der in der vergangenen Woche neu auf Intensivstationen aufgenommenen COVID-19-Patienten geimpft gewesen seien, antwortete der Divi-Präsident: "Diese Frage kann ich leider nicht beantworten, weil wir bisher noch nicht erfasst haben, welche Patienten auf den Intensivstationen geimpft und welche nicht geimpft sind. Die Frage ist richtig und wichtig. Wir haben als Divi gemeinsam mit dem RKI jetzt auch entsprechende Vorbereitungen getroffen, diese wichtigen Informationen sehr schnell zu erfassen. Wir haben sie aber noch nicht zur Hand. Von daher kann ich die Frage leider nicht beantworten."

Seit dem 14. Dezember wird der Impfstatus auch im Divi-Intensivregister erfasst

Seit April 2020 erfasst das Divi-Intensivregister täglich die freien und belegten Behandlungskapazitäten in der Intensivmedizin von etwa 1.300 Akut-Krankenhäusern in Deutschland. Das Register wird vom RKI mit Beratung durch die Divi betrieben.

Eine Divi-Sprecherin erklärt in einer E-Mail an CORRECTIV.Faktencheck am 10. Dezember: "Das Divi-Intensivregister ist und bleibt in erster Linie ein Bettenregister, um einen Überblick über die verfügbaren Kapazitäten auf allen deutschen Intensivstationen zum jetzigen Zeitpunkt zu bekommen – und natürlich Prognosen erstellen zu können." Über die Patienten habe die Divi bis zum Herbst außer "COVID-19-Patient" oder "Non-COVID-19-Patient" nichts gewusst. Seit Herbst werde das Alter der Menschen auf Intensivstationen erhoben, "aber auch nicht personenbezogen", wie auch in der Änderung der Divi-Intensivregister-Verordnung vom 12. November 2021 zu lesen ist.

Da der Impfstatus eine entscheidende Rolle spiele, habe die Divi im November grünes Licht für die Erhebung dieser Informationen von der Bundesregierung bekommen, so die Sprecherin weiter. "Seit dem 14.12. wird der Impfstatus der Patienten auch im Divi-Intensivregister erfasst. Sobald die Daten valide sind, werden wir diese auch veröffentlichen", so die Sprecherin.

Dem RKI lagen Anfang November Daten zum Impfstatus für 81 Prozent aller COVID-19-Fälle vor

Beim RKI werden die Daten zum Impfstatus von COVID-19-Fällen aber schon länger erfasst. Zu dem Zeitpunkt, als Divi-Präsident Marx sich zu dem Thema im Hauptausschuss des Bundestags äußerte, lagen dem RKI für rund 81 Prozent aller symptomatischen COVID-19-Fälle Daten zum Impfstatus vor (Wochenbericht vom 11. November, PDF, Seite 21). Aktuell wurden dem RKI für 84 Prozent aller COVID-19-Fälle und für 66 Prozent der hospitalisierten COVID-19-Patienten Daten zum Impfstatus übermittelt (Wochenbericht vom 16. Dezember, PDF, Seite 22).

Fakt ist also: Es existieren Daten zum Impfstatus von Menschen, die mit COVID-19 im Krankenhaus landen, wenn auch nicht für alle. Die vorhandenen Daten des RKI zeigen, dass der Anteil der Ungeimpften größer ist als der der Geimpften.

Über die Gründe, warum der Impfstatus von COVID-19-Patientinnen und -patienten teilweise von den Krankenhäusern nicht erfasst werden kann, hat CORRECTIV.Faktencheck kürzlich einen ausführlichen Hintergrundbericht veröffentlicht.

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Für einen Teil der Intensivpatienten ist dem RKI der Impfstatus schon lange bekannt

Die hospitalisierten COVID-19-Patienten, die dem RKI gemeldet werden, beinhalten auch die Intensivpatienten. Für einen Teil der Intensivpatienten weist das RKI in seinen Wochenberichten den Impfstatus aus. Bei wie viel Prozent der Intensivpatienten der Impfstatus unbekannt ist, ist den Berichten aber nicht zu entnehmen, wie uns auch eine RKI-Sprecherin bestätigte. Dennoch wisse man über den Impfstatus der Patienten "gut Bescheid, weil das RKI diese Zahlen an jedem Donnerstag in seinem Wochenbericht veröffentlicht", so die Divi-Sprecherin.

Vorhandene Daten zeigen, dass Ungeimpfte häufiger schwer an COVID-19 erkranken als Geimpfte

Laut dem neuesten RKI-Wochenbericht vom 16. Dezember liegt der Anteil der Ungeimpften auf Intensivstationen bei 80,7 Prozent bei den 18- bis 59-Jährigen und bei 59,3 Prozent bei den Über-60-Jährigen. Der Anteil der Ungeimpften war also, wie schon in der Vergangenheit, höher als der der Geimpften.

Hinzukommt, dass es erwartbar ist, dass mit steigender Impfquote und steigenden Corona-Fallzahlen die Zahl der Impfdurchbrüche zunimmt. Ein Gedankenspiel: Wären 100 Prozent der Bevölkerung geimpft, wären auch 100 Prozent der COVID-19-Fälle Impfdurchbrüche.

Laut RKI könne die aktuell sinkende Impfeffektivität "für eine Abnahme der Schutzwirkung über die Zeit sprechen, da in der Bevölkerung der Anteil derjenigen wächst, die vor mehr als sechs Monaten geimpft wurden". Deshalb empfahl die Ständige Impfkommission (Stiko) bereits Anfang Oktober Booster-Impfungen für ältere Menschen, seit dem 18. November für alle Über-18-Jährigen.

Der Vergleich der Inzidenzen zeigt zudem weiterhin, dass weniger Geimpfte als Ungeimpfte schwer an COVID-19 erkranken:

Ethikrat

Ethikrat befürwortet Ausweitung der Corona-Impfpflicht

Die Impfquote in Deutschland ist zu niedrig, darüber sind sich die Experten einig. Sollten die Menschen deshalb verpflichtet werden, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen? Eine heikle Frage. Nun hat sich der Ethikrat positioniert.

Fazit: Erst ganz am Ende seines Textes weist Reitschuster darauf hin, dass Marx’ Aussage "natürlich nicht" ausschließe, dass man "gewisse Tendenzen" beim Impfstatus kenne. Dennoch führt sein Artikel in die Irre, weil er suggeriert, die Bundesregierung treffe Aussagen über den Impfstatus von Intensivpatienten, obwohl es dazu keine Daten gebe. Es gibt jedoch Daten zum Impfstatus von Intensivpatientinnen und -patienten. Die Divi ist nicht zuständig für die Erfassung, sondern das RKI. Dort liegen Daten zum Impfstatus für die Mehrheit der hospitalisierten COVID-19-Patienten vor. Seit dem 15. Dezember wird der Impfstatus auch im Divi-Intensivregister erfasst.

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