• Noch heißt es warten auf die Corona-Impfung für Kinder unter zwölf Jahren.
  • In den USA - und zunehmend auch hierzulande - setzen Eltern Hoffnungen in die Grippe-Impfung: Kann auch sie vor einem schweren COVID-Verlauf schützen?

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In Kuba erhalten seit Anfang September auch Zwei- bis Elfjährige eine Impfung gegen das Coronavirus – als erstes Land weltweit. Dafür nutzen die kubanischen Ärzte und Ärztinnen die beiden im eigenen Land entwickelten Vakzinen, die aus Proteinbausteinen von SARS-CoV-2 bestehen.

Hierzulande ist die Frage der Kinderimpfung gegen COVID-19 unter Eltern und ExpertInnen gerade höchst umstritten. Die einen sorgen sich um mögliche Impfreaktionen: Die stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen, sagen Gegner, da das neue Coronavirus Kinder extrem selten heftig krank macht. Für die anderen wiegt das Risiko, dass ihre Kinder erkranken oder Long COVID bekommen schwerer. Oder sie erhoffen sich durch die Impfungen die ersehnten Freiheiten für Kinder im Sozial- und Familienleben zurück.

Eltern in Sorge vor COVID und Long COVID

Die Corona-Impfstoffe sind bei uns bisher für Kinder ab zwölf Jahren zugelassen und von der Stiko empfohlen. Doch seit den Sommerferien herrscht mancherorts schon wieder das COVID-Quarantäne-Chaos. Das Versprechen, die Schulen auch bei steigenden Infektionszahlen auf jeden Fall offenzuhalten – zum Teil ohne Maskenpflicht und geteilte Klassen – erscheint angesichts der hoch ansteckenden Delta-Variante sehr gewagt.

Aus Sorge vor einer unkontrollierten Ausbreitung des Virus an Grundschulen und aus Sorge vor Long COVID suchen manche Eltern nach dem rettenden Strohhalm.

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Studien: Kinder sind seltener betroffen von Long-COVID

Australische Forscher kommen nach der Auswertung mehrerer Studien zur Long-COVID-Belastung bei infizierten Kindern zu keinem Ergebnis, das Eltern bei der Frage der Impfung letzte Sicherheit vermittelt. Fest stehe jedoch, dass mit dem Coronavirus infizierte Kinder nur selten im Krankenhaus behandelt werden müssten. (Teaserbild: SeventyFour/iStock/Getty Images)

In den USA setzen Mütter und Väter darum bisweilen auf die Grippe-Impfung. Die schützt natürlich nicht gezielt vor einer Infektion mit SARS-CoV-2. Weil die Grippe-Impfung die Körperabwehr aktiviert, könnte sie, quasi als Nebeneffekt, auch vor einer COVID-19-Erkrankung beziehungsweise schweren Verläufen schützen.

Wissenschaftliche Studien liefern zumindest Anhaltspunkte für diese Idee. Wie ist die Studienlage tatsächlich und wie schätzen Experten und Expertinnen die Sache ein? Zur Einordnung ein paar Zahlen und Fakten vorab.

Wie viele Kinder sind bisher infiziert und erkrankt?

In den Statistiken des Robert-Koch-Instituts tauchen bisher 616.085 Infektionsfälle mit dem neuen Coronavirus bei den Null- bis 19-Jährigen auf (Stand 17. August 2021). Bei jungen Menschen verlaufen die Infektionen überwiegend ohne Symptome oder mild. Vorerkrankungen etwa der Atemwege oder des Herz-Kreislauf-Systems erhöhen allerdings das Risiko für schwere Verläufe.

Seit März 2020 mussten laut den Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie 1.708 Kinder und Jugendlichen wegen COVID-19 ins Krankenhaus, 85 von ihnen benötigten eine intensivmedizinische Behandlung.

Viel mehr als einen akuten schweren Krankheitsverlauf fürchte man sich in der Kinderheilkunde vor einem Pädiatrischen Inflammatorischen Multiorgan-Syndrom (PIMS), einer meist drei bis vier Wochen nach der akuten Infektion auftretenden Überreaktion des Immunsystems, sagt Catharina Schütz, die am Uniklinikum Dresden die Abteilung für Pädiatrische Immunologie leitet. Jede große Kinderklinik im Land habe seit Beginn der Pandemie zehn bis 50 solcher schwerkranker Kinder gesehen, so Schütz.

Wie häufig Kinder nach einer Ansteckung längerfristige gesundheitliche Probleme, also Long COVID, bekommen, ist noch unklar. Laut einer kanadischen Untersuchung sind etwa sechs Prozent der Kinder betroffen.

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Studien an Kindern und Erwachsenen zeigen leichten Schutzeffekt

Die Stimmen in den USA, die den Kleinsten als Schutz vor COVID-19 eine Grippe-Impfung empfehlen, stützen sich auf eine Studie, die ForscherInnen der University of Missouri School of Medicine in Columbia im Januar 2021 veröffentlicht haben.

Von den 905 Kindern und Jugendlichen, die zwischen Februar und August 2020 positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren, hatten rund die Hälfte im Winter eine Impfung gegen die Influenza-Grippe erhalten. Diejenigen mit Grippeschutz bekamen seltener Atembeschwerden und andere heftige Symptome durch das Coronavirus. Doch der Effekt ist offenbar gering: So erkrankten 183 (39 Prozent) der Nicht-Geimpften und 132 der Geimpften (30 Prozent) nach der Ansteckung in unterschiedlicher Schwere an COVID-19.

In den USA sind solche Studien möglich, weil dort allen Kindern ab einem Alter von sechs Monaten ein jährlicher Grippe-Piks empfohlen wird. Das nehmen die Eltern von rund 60 Prozent der Kinder aktuell an. In Deutschland empfiehlt die Stiko bisher, nur solche Kinder gegen die Grippe impfen zu lassen, die wegen einer Grunderkrankung besonders gefährdet sind – so ist es fast überall in der Europäischen Union. Lediglich in sechs der 30 EU-Länder wird Eltern geraten, in der Herbst/Winter-Saison auch gesunde Kinder gegen Influenza zu immunisieren.

Was den Schutzeffekt auslöst

Für den beobachteten Schutzeffekt macht die Erstautorin der Studie aus Missouri, Anjali Patwardhan, ein Phänomen verantwortlich, das man schon lange kennt: Die Vermehrung eines Virus kann durch eine vorherige Infektion mit einem anderen oder eben auch eine Impfung gegen ein anderes Virus, gehemmt werden. Diesen Effekt nennen Fachleute "Virus-Interferenz" und die hauptsächlich verantwortlichen Botenstoffe "Interferone". Die infizierten Zellen schütten diese antiviralen Botenstoffe aus. Sie sorgen eine Zeit lang für ein Milieu, das es auch anderen viralen Erregern schwer macht, im Organismus Fuß zu fassen.

In einer zweiten Untersuchung haben Forscher und Forscherinnen aus Miami/Florida Daten von über 73 Millionen erwachsenen PatientInnen weltweit durchforstet. Daraus bildeten sie zwei Studien-Gruppen von gut 37.000 Frauen und Männern. Die eine Gruppe war sechs Monate bis zwei Wochen vor ihrem positiven SARS-CoV-2 Test gegen die Grippe geimpft worden, die andere Gruppe nicht. Dann erfassten die WissenschaftlerInnen, wie häufig 15 verschiedene Symptome bis vier Monate nach der COVID-Diagnose auftraten.

Patienten und Patientinnen, die nicht gegen die Grippe geimpft waren, hatten der Studie zufolge ein um 58 Prozent höheres Risiko, ins Krankenhaus eingeliefert zu werden, und ein um 20 Prozent höheres Risiko, wegen COVID-19 auf die Intensivstation zu kommen.

Die ForscherInnen aus Florida vermuten, dass die Grippe-Impfung die erste Verteidigungslinie des Organismus aktiviert und es dadurch dem Coronavirus schwerer fällt, sich im Körper auszubreiten.

Immunität trainieren: Idee ist nicht neu

Ähnliche Effekte kennt man von den Impfstoffen gegen die Tuberkulose und die Masern. Der Idee der "trainierten Immunität" zufolge können diese Vakzinen die Immunzellen der ersten Abwehrlinie so programmieren, dass sie nicht nur gegen die anvisierten, sondern auch gegen andere Krankheitserreger effektiver vorgehen können.

Der Masern-Impfstoff beispielsweise senkt (teilweise unabhängig vom Masern-Schutz) laut Untersuchungen in manchen Ländern Asiens und Afrikas insgesamt die Sterblichkeit von geimpften Kindern um 30 Prozent. Zu Beginn der Corona-Pandemie liefen in einigen Ländern darunter den Niederlanden Studien an, die Mitarbeiter im Gesundheitswesen mit dem BCG-Vakzin gegen die Tuberkulose impften, um die Immunabwehr von Pflegerinnen und ÄrztInnen auch gegen SARS-CoV-2 zu stärken. Resultate zum Erfolg dieser Maßnahme stehen noch aus.

Empfehlungen mit Vorbehalt

Christoph Kessel von der Uniklinik für Pädiatrische Rheumatologie und Immunologie in Münster hält einen Influenza-Impfschutz für Kinder ganz unabhängig von der gegenwärtigen Situation für sinnvoll. Aktuell komme hinzu, dass sich eine gezielte Aktivierung der viralen Immunabwehr durch die Impfung (zum Beispiel über Botenstoffe oder Natürliche Killerzellen) schützend auf virale Folge- oder Co-Infektionen auswirke. Das bewahre Kinder ohne Zugang zu SARS-CoV-2-spezifischen Impfstoffen zwar nicht vor Infektion und Quarantäne. Allerdings könne die Impfung helfen, die Anzahl der schweren Verläufe zu verringern, schreibt der Kinderarzt in einer Mail.

Letztere würden wir durch die Verschiebung der Pandemie in diese Altersklasse im kommenden Herbst und Winter sicher häufiger sehen. Jede Maßnahme, die Kinder vor krankheitsbedingter Abwesenheit in Schule und Sozialleben bewahre, sei sinnvoll. "Denn COVID-assoziierte Quarantänen wird es noch zur Genüge geben", schreibt Kessel weiter.

Twindemie verhindern

Wenn im nächsten Winter viele Menschen nicht nur an Corona, sondern auch noch an der Grippe erkranken, dürfte das Gesundheitssystem erneut stark herausgefordert sein. Erwachsene gegen Corona und die Grippe zu impfen, ergibt daher wohl Sinn. Denn Fachleute befürchten in diesem Winter besonders viele Influenza-Infektionen, da die Grippe-Welle wegen der Corona-Maßnahmen in der letzten Saison so gut wie ausgefallen sei.

Sollten Eltern, die sich wegen COVID-19 sorgen, in diesem Herbst nun mit ihren kleinen Kindern zur Grippe-Impfung gehen?

Für Georg Holländer, der das kindliche Immunsystem an den Universitäten Basel und Oxford erforscht, ist es sinnvoll, auch Kinder gegen die Influenza-Grippe zu immunisieren. Viele Spitäler würden schon jetzt – außerhalb der typischen Jahreszeit – vermehrt respiratorische Infektionen bei Kindern sehen. Bisher werde in vielen Ländern die Grippeimpfung bei speziell gefährdeten Kindern empfohlen und sei somit im Prinzip zugelassen für jüngere Altersgruppen.

Doch vielleicht ist der "Grippe-Strohhalm" gegen COVID-19 für die kleinen Kinder ohnehin schon bald obsolet. Laut einer Meldung im "Spiegel" könnten schon ab Mitte Oktober die ersten Kinder unter zwölf Jahren mit dem RNA-Impfstoff "Corminaty" versorgt werden. "Wir werden schon in den kommenden Wochen weltweit den Behörden die Ergebnisse aus unserer Studie zu den Fünf- bis Elfjährigen vorlegen und eine Zulassung des Impfstoffes für diese Altersgruppe beantragen, auch hier in Europa", sagte die Biontech-Chefmedizinerin Özlem Türeci dem "Spiegel". Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rechnete zuletzt allerdings damit, dass Kinder erst im Frühjahr 2022 geimpft werden.

Eine kombinierte Grippe-/Corona-Impfung von Kindern hält Georg Holländer ohnehin für bedenklich. Es sei ethisch heikel, schon jetzt an die Corona-Impfung für Kinder (mit extrem geringem Risiko für schwere Erkrankungen) zu denken, da in Afrika gerade einmal drei Prozent der Menschen gegen COVID-19 geimpft seien. Milliarden Menschen weltweit warten immer noch auf ihre erste Impfung.

Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Die Recherchen zu diesem Artikel wurden über die Riff freie Medien gGmbH aus Mitteln der Klaus Tschira Stiftung gefördert.

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