Es war ein Ausrufezeichen: US-Außenminister John Kerry traf am Dienstag den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Sotschi – um über die Ukraine zu sprechen. Kerry ist der höchste US-Vertreter, der seit Beginn der Ukraine-Krise Russland besuchte. Gut so, sagt Ex-Nato-General Harald Kujat im Gespräch mit unserem Portal – und erklärt, warum eine Lösung des Ukraine-Konfliktes nur über Putin und die Amerikaner möglich ist.

Ein Interview
von Fabienne Rzitki

Die USA gehen wieder auf Russland zu: US-Außenminister John Kerry hat Waldimir Putin getroffen. Beide Seiten sprachen sich für eine Annäherung der beiden Länder aus. Wie bewerten Sie das Treffen in Sotschi?

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Harald Kujat: Ich halte davon sehr viel. Denn bisher war es so, dass insbesondere die Europäer versucht haben, mit Russland eine politische Lösung im Ukraine-Konflikt zu finden. Letzten Endes ist eine Lösung aber nur mit Wladimir Putin und Barack Obama möglich.

Warum ist eine Lösung des Ukraine-Konfliktes nur mit den Amerikanern möglich?

Russland sieht sich neben den Vereinigten Staaten als zweite Supermacht. Das haben auch die Paraden zum Ende des 2. Weltkrieges gezeigt. Nuklearstrategisch ist Russland schon immer eine Supermacht gewesen, militärisch konventionell in den vergangenen Jahren eher nicht. Aber das hat sich geändert. Putin will neben den USA ein gleichberechtigter Partner sein. Deshalb ist es wichtig, dass die Amerikaner nicht nur am Rande stehen und zuschauen. Sie müssen sich einbringen.

In den letzten Monaten gab es aber sehr unterschiedliche Auffassungen europäischer und amerikanischer Politiker …

Die Europäer wollen auf keinen Fall der Ukraine Waffen liefern, weil das den Konflikt verlängern, ihn anheizen und eskalieren lassen könnte. Die Amerikaner sehen das anders. Es gibt Politiker, die der Meinung sind, man müsste die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine stärken, etwa durch Waffenlieferungen. Ich halte das für einen Fehler, weil die Ukraine nie in der Lage sein wird, ein Gegengewicht zu Russland aufzubauen. Durch so etwas löst man nur Gegenreaktionen aus. So wird das immer weiter gesteigert. Dadurch besteht die Gefahr, dass der Konflikt unkontrollierbar und ausgeweitet wird. Ich hoffe, dass sich das nun durch Kerrys Besuch wieder ändert und dass sich die Amerikaner jetzt auch politisch aktiv an einer Lösung beteiligen.

Russland lud die Amerikaner diesmal nicht zu den Feierlichkeiten zum Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland ein. Wie bewerten Sie dieses Verhalten?

Die Parade selbst ist ein symbolischer Akt. Mit dem 9. Mai 2015 wollte Putin der Welt seine militärische Stärke zeigen. Russland meldet sich auf der Weltbühne als einflussreiche Weltmacht zurück. Darum ist es so wichtig, dass sich die Amerikaner im Ukraine-Konflikt politisch engagieren. Weil das für Russland eine Anerkennung als gleichberechtigter Partner ist. Putin fühlt sich dadurch ernstgenommen.

Inwiefern hat sich Russlands Politik dem Westen gegenüber in den letzten Jahren geändert?

Was sich nicht verändert hat, ist die strategische Sicht Russlands. Es hat immer eine Einkreisung befürchtet – insbesondere durch die Nato. Russland hat die Ausdehnung der Nato immer als ein Risikofaktor für die eigene Sicherheit gesehen. In Russland ist nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes eine Schwächeperiode eingetreten – auch militärisch. Davon hat sich das Land langsam erholt, weil es große Energievorräte zu Geld machen konnte. Dadurch konnten die russischen Streitkräfte wieder gestärkt werden. Das hat das Selbstbewusstsein der Russen gestärkt. Das heißt, was Russland immer angestrebt hat, ein gleichberechtigter Partner auf der internationalen Bühne zu sein, das wurde über die Zeit ermöglicht.

Putin hat seine Unzufriedenheit über die Lage immer wieder zum Ausdruck gebracht. Er spricht diesbezüglich von einer unipolaren Welt, also einer Welt, die ganz stark unter amerikanischem Einfluss steht. 2007 hat er schon sehr deutlich gesagt, was seine strategischen Ziele sind. Und dann kam mit der Ukraine der Anlass, auf die Situation zu reagieren. Das ist also eine Entwicklung, die sich über Jahre hingezogen hat.

Und Deutschland kann das nicht auch leisten?

Deutschland ist wichtig und hat immer ein gutes Verhältnis zu Russland gehabt. Und es ist auch gut, dass wir uns im Ukraine-Konflikt um eine politische Lösung bemühen. Aber wir können die Amerikaner nicht ersetzen, die der Gegenpol Russlands sind.

Die Paraden auf dem Roten Platz, das neu eingerichtete Rote Telefon … das erinnert an alte Zeiten, an die des Kalten Krieges. Gibt es bereits einen neuen Kalten Krieg?

So kalt war der Kalte Krieg ja gar nicht. Ich erinnere nur an die Berlin-Blockade, den Korea-Krieg, den Aufstand in Berlin 1953 oder den Ungarn-Aufstand 1956 oder die Kuba-Krise 1962. Es gab oft Situationen, die ganz stark auf Konfrontationen gerichtet waren. Dort haben wir nur mit Mühe die Kurve bekommen. Deshalb vermeide ich den Begriff "Kalter Krieg" auch jetzt. Russland ist eine nuklearstrategische Supermacht – so wie die Vereinigten Staaten. Das Land hat sogar mehr nukleare Sprengköpfe. Das heißt, jede militärische Eskalation mit Russland birgt das Risiko, dass daraus eine nukleare Eskalation resultiert. Das wäre das Ende der Welt.

Sind die Gräben zwischen dem Westen und Russland bereits zu groß, als dass der Konflikt gelöst werden könnte?

So lange es zu keinem Zusammenstoß zwischen dem Westen und Russland kommt, ist er zu lösen. Und er muss gelöst werden. Es gibt keine Alternative dazu. Das weiß auch Putin im Übrigen. Es bleibt zu hoffen, dass das alle verstehen. Anscheinend haben das jetzt auch die Amerikaner verstanden.

Harald Kujat ist ein ehemaliger Nato-General. Von 2000 bis 2002 war er Generalinspekteur der Bundeswehr und damit höchster Offizier der Bundeswehr. Im Anschluss übernahm er den Posten des Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses. 2005 verabschiedete er sich in den Ruhestand.
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