Russland verstärkt sein militärisches Engagement in Syrien - zur Bekämpfung der Terrormiliz Islamischer Staat, so die Begründung. Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin ist das Eingreifen aber vor allem ein Kräftemessen mit den USA.

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Die russische Bevölkerung war laut Umfragen zuletzt mehrheitlich gegen einen Militäreinsatz in Syrien. Also brauchte Wladimir Putin einen guten Grund für das erste militärische Eingreifen Russlands außerhalb des ehemaligen sowjetischen Gebiets seit gut 30 Jahren - und er fand ihn auch: den "Kampf gegen den Terror", genauer gesagt gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Vordergründig geht es Putin also darum zu verhindern, dass sich die mittlerweile wohl mehreren Tausend Kämpfer, die sich von seinem Land aus nach Syrien aufgemacht und dem IS angeschlossen haben, zurückkehren und in Russland Anschläge verüben. Zudem zeigt er mit den Luftangriffen seine Verbundenheit mit dem umstrittenen syrischen Machthaber Baschar Al-Assad. Er ist Putins wichtigster Verbündeter im Nahen Osten und hat ihn nach Angaben des Kreml um Hilfe gebeten.

Raus aus der internationalen Isolation

Die Verhinderung von Anschlägen und die Hilfe für Assad sind nach Ansicht von Experten aber nicht Putins wichtigste Beweggründe für die Militäraktion. Entscheidender sei vielmehr, dass er damit Eindruck auf den Westen, vor allem auf die USA, machen könne. Die USA seien nach wie vor der "Dreh- und Angelpunkt russischen außenpolitischen Denkens", schreibt der Russlandexperte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Mit einem Erfolg im Kampf gegen den IS würde sich Putin Respekt verschaffen und "die eigene Bedeutung für Washington (...) erhöhen, um so bei möglichen Verhandlungen um die Ukraine einen besseren Deal zu bekommen", erklärt Meister weiter. Russland wolle seine Aktivitäten in Syrien also dazu nutzen, die internationale Isolation nach der Krim-Krise zu verlassen - und gleichzeitig die Rolle der USA in der Region zu schwächen.

Die Person Assad spielt dabei offenbar nur eine untergeordnete Rolle. Russland-Experte Meister glaubt, dass Putins Unterstützung eine reine Kosten-Nutzen-Kalkulation zugrunde liegt. Zumal die Region für Russland auch strategisch interessant ist: An der syrischen Küste befindet sich Russlands einziger Militärstützpunkt im Mittelmeer.

"Burgfrieden" im Inneren

Ein weiterer von Putin erwünschter Effekt könnte einer nach innen sein. Die Erfolgsmeldungen, die die russische Regierung über den Kampf gegen den IS verbreitet, könnten die Stimmung in der Bevölkerung verändern - hin zu einer mehrheitlichen Unterstützung der Militäraktion.

Angesichts innenpolitischer Missstände wie der kriselnden Wirtschaft braucht Putin die Unterstützung und Akzeptanz der Bevölkerung. Außenpolitische Aktionen können solche Probleme überdecken. Zuletzt gelang das Putin mit der Annexion der Krim: Hatte der russische Präsident zuvor mit einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung zu kämpfen, machten ihn diese Intervention und eine Wiederbelebung des historischen Begriffs "Neu-Russland", der eine Expansion bis zum Schwarzen Meer beschreibt, wieder populär.

Putin sehe sich selbst als Herausforderer des Westens, sagte der 2014 verstorbene Russlandfachmann Heinrich Vogel einmal in einer Rede. Eines Westens, der ihm in Gestalt von Nato, USA, aber auch westlicher ziviler Organisationen gefährlich werden kann. Diese Gefahr ist unter anderem in der neuen russischen Militärdoktrin vom Dezember 2014 formuliert worden und ist, so die Osteuropa- und Eurasienexpertin Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), vor allem eines: Ein Konstrukt, um "eigenes politisches und wirtschaftliches Versagen zu externalisieren", also auf außenpolitische Themen abzulenken, um so "im Inneren einen Burgfrieden zu erwirken".

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