Zahlreiche Wahlversprechen und eine Anti-Flüchtlingsrhetorik haben die Nationalkonservativen in Polen wieder an die Macht befördert. Warschau ist damit auf dem Weg, ein zweites Budapest zu werden, fürchten Kritiker.

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Während die Linke in Polen zum ersten Mal seit der Wende 1989 den Einzug ins Parlament verpasst hat, hatte die Partei um dem ehemaligen Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) bei der Wahl am Sonntag mit Abstand am besten abgeschnitten. Auf Spitzenkandidatin Beata Szydlo entfielen 38 Prozent der Stimmen. Die abgeschiedene Ministerpräsidentin und Kopf der liberalen "Bürgerplattform" (PO) Ewa Kopaczs kam nur auf gut 23 Prozent. PiS kann Polen damit künftig alleine regieren.

Was man aus diesem historischen Wahlsieg schlussfolgern kann, ist in erster Linie eines: Die Mehrheit der polnischen Bevölkerung ist derzeit offenbar weder auf die EU noch auf Flüchtlinge gut zu sprechen. Im Wahlkampf ließ PiS beim Thema Flüchtlinge keinen Zweifel daran, dass Polen auf keinen Fall zum Einwanderungsland werden solle. Vor allem unerwünscht sind Kaczynski Muslime. So hatte er davor gewarnt, dass die Aufnahme von Menschen aus dem Nahen Osten die öffentliche Gesundheit gefährden könne.

Warnsignal für Europa?

Andrzej Kaluza vom Deutschen Polen Institut in Darmstadt begründet die erkennbare Zustimmung der Polen zu derartigen Äußerungen mit einem Mangel an Erfahrung. "Anders als Deutschland oder Frankreich war Polen noch nie ein Einwanderungsland. Es hat auch kein absolutes Asylrecht in der Verfassung verankert wie Deutschland."

Merkels politisches Vorgehen in der Sache sehe man deshalb skeptisch. Trotzdem hat sich Polen bereit erklärt, seinen 38,5 Millionen Bürgern bald 7.000 Flüchtlinge zuzumuten.

In dem deutlichen Wahlergebnis drückt sich jedoch nicht nur ein Unbehagen gegen eine vermeintlich allzu offene Migrationspolitik aus, sondern gegen die EU allgemein. Zumindest, wenn man bedenkt, dass auch Stimmung gegen Westeuropa gemacht wurde. Eine "Außenpolitik auf Knien" hätte die PO veranstaltet, hieß es aus den Reihen der Nationalisten. "Die PiS stellt es so dar, als hätte die PO alles mitgemacht, was Brüssel gefordert hat, anstatt Polens Interessen zu vertreten", so Kaluza.

Dass sich Polens Wirtschaft laut Berechnungen der Weltbank seit dem Beitritt zur EU 2004 bis 2012 im Durchschnitt bei etwa fünf Prozent halten konnte, scheint vergessen. Stattdessen nimmt man auf der Straße strenge Reformvorgaben zum Anlass, von einer "Arroganz der Eliten" zu sprechen. Eine derartig kritische Einstellung stellt die Einigkeit Europas ebenso sehr auf die Probe wie die zahlreichen Krisen, denen die EU sich ausgesetzt sieht. Als Warnung sollte auch dienen, dass sich die Europaskepsis nicht nur auf die polnische Rechte beschränkt.

Auf Orbans Spuren

Auch die Frage, ob in Warschau bald derselbe Wind weht wie in Budapest, steht im Raum. Immerhin hat Ungarns Premier Viktor Orban wiederholt seine Abneigung deutlich gemacht, sich an der Bewältigung der Flüchtlingsmassen zu beteiligen. "Das ist nicht unser Problem", ließ sich Orban zitieren. Ähnliche Töne kommen nun auch aus Polen, zumal Kaczynski als Bewunderer Orbans gilt: Die Flüchtlingsroute führe schließlich nicht durchs Land, rechtfertigt man sich.

Polen-Experte Kaluza sieht darin nur bedingt Grund zur Sorge. "Die PiS und die ungarische Regierung sind in ihrer Europapolitik einander ähnlich, aber nicht gleichzusetzen", sagt er. Tatsächlich steht Polen wirtschaftlich nicht nur besser da als Ungarn. Es steht ob der geographischen Nähe und historischen Verbundenheit stärker unter Berlins Einfluss. Nicht zuletzt, so Kaluza, sei die PiS auf dem internationalen Parkett noch immer weitgehend unerfahren und bislang beim Thema Flüchtlinge eher vage geblieben.

Innenpolitisch weiß sie sich dagegen anscheinend taktisch klüger aufzustellen. "Die PiS ist zwar wertkonservativ, aber zum Teil als durchaus sozial einzustufen", beschreibt es Kaluza. "So hat die Partei im Wahlkampf angekündigt, Kindergeld einzuführen und das Rentenalter zu senken und auch gegen die prekären Arbeitsverhältnisse von jungen Menschen vorzugehen." Angesichts einer gesetzlich festgeschriebenen Schuldenbremse muss sich aber erst noch zeigen, ob es sich bei diesen Ankündigungen nicht nur um leere Versprechungen handelt.

Verlässliche Vereinbarungen?

Ob durch einen Richtungswechsel in Polen die Bereitschaft, Tausende Flüchtlinge unterzubringen, wieder eingeschränkt wird, ist unklar. "Die konkreten Debatten zum Thema Flüchtlingskrise stehen noch aus", meint Kaluza. Sicher sei, dass es für Brüssel schwierig sein wird, Polen zu mehr Entgegenkommen zu bewegen. Ob Deutschland deshalb mit noch mehr Flüchtlingen zu rechnen hat – darüber kann im Moment nur spekuliert werden.

Jenseits dessen wird in den nächsten Monaten aber noch eine Vereinbarung in den Fokus geraten: Inwieweit sich das Gesicht der PiS, die künftige Premierministerin Beata Szydlo, an der Spitze der Partei halten kann. So hat Kaczynksi bereits bei seinem letzten Wahlsieg 2005 auf den Posten des Premiers verzichtet, um die Wahl seines inzwischen verstorbenen Zwillingsbruders Lech zum Staatsoberhaupt nicht zu gefährden. N

ach nur gut einem halben Jahr wurde der damalige Ministerpräsident Kazimierz Marcinkiewicz aus dem Amt gedrängt und von Jaroslaw Kaczynksi ersetzt.

Wie lange es Kaczynski diesmal im Hintergrund aushält und die junge PiS gewähren lässt, wird sich zeigen. Szydlos vergleichsweise verkrampftes Gesicht am Wahlabend verheißt aber nicht unbedingt Gutes.

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