• Vorbehalte gegen Gentechnik in Lebensmitteln sind bei deutschen Verbrauchern groß.
  • Befürworter glauben, mithilfe der Technologie lasse sich der Hunger in der Welt eindämmen.
  • Wenn das Experiment schiefgehe, könne man es nicht mehr stoppen, sagen Gegner.

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Umfragen belegen: Deutsche Verbraucher wollen kein gentechnisch verändertes Essen auf ihren Tellern. Es besteht zwar ein großer wissenschaftlicher Konsens darüber, dass diese Lebensmittel genauso sicher sind wie andere, doch beim Streit um Grüne Gentechnik" geht es um weit mehr, als nur um mögliche Gesundheitsrisiken.

Gentechnik: Kennzeichnung ist Pflicht - aber es gibt Ausnahmen

Lebens- und Futtermittel, die aus gentechnisch veränderte Organismen (GVO) produziert werden, müssen in Deutschland gekennzeichnet werden. Die Kennzeichnungspflicht ist EU-weit festgelegt und gilt auch, wenn die veränderten Bestandteile im Produkt nicht mehr nachgewiesen werden können.

"Die Verbraucher sind aber glücklicherweise sehr kritisch", sagt Dirk Zimmermann von Greenpeace. "Gentechnisch veränderte Produkte haben hierzulande keine Chance, deswegen vermeiden Hersteller es auch wie die Pest, Gen-Pflanzen als Zutat zu verwenden."

Dennoch stehen Produkte mit gentechnisch veränderten Inhaltsstoffen auch in deutschen Supermarktregalen. Denn auch verarbeitete Lebensmittel wie etwa Tiefkühlpizza können Zusatzstoffe wie Vitamine, Enzyme oder Geschmacksverstärker enthalten, die mithilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt worden sind.

Öko-Test hat im vergangenen Jahr Hinweise auf gentechnisch veränderte DNA in einem Sojadrink gefunden: "Die Spuren zeigen, dass sich die Gentechnik nicht kontrollieren lässt und selbst in Ländern auftaucht, die überhaupt keine Genpflanzen anbauen", schrieben die Autoren.

Lebensmittel, die zufällige oder technisch nicht vermeidbare Spuren gentechnisch veränderter Substanzen enthalten, müssen nicht entsprechend gekennzeichnet werden, sofern der Anteil nicht mehr als neun Gramm je Kilogramm beträgt. Genau wie Fleisch, Eier oder Milch von Tieren, die gentechnisch verändertes Futter bekommen.

Denn Deutschland importiert fürs Vieh Sojabohnen aus Nord- und Südamerika, wo gentechnisch veränderte Pflanzen (GV-Pflanzen) angebaut werden. "Nach dem heutigen Stand der Forschung wirken sich gentechnisch veränderte Futtermittel nicht nachteilig auf Milch, Fleisch oder Eier aus", schreibt die Bundesregierung. Nahrungsbestandteile würden bereits im Verdauungstrakt der Tiere in kleine Bruchstücke zerlegt.

"Ohne Gentechnik": Label bietet Orientierung

Wer einigermaßen sicher gehen will, sich gentechnikfrei zu ernähren, kann Produkte mit dem Label "Ohne Gentechnik" kaufen. Dahinter steht das Bundeslandwirtschaftsministerium, vergeben wird das Siegel vom Verband "Lebensmittel ohne Gentechnik" – nach strengeren Vorgaben als bei der EU-Regelung.

Solche Lebensmittel, die als gentechnikfrei gekennzeichnet sind, erfreuten sich großer Beliebtheit, beobachtet Dirk Zimmermann.

Sein Arbeitgeber Greenpeace gehört zu den großen Kritikern von Gentechnik im Pflanzenbau. "Wir setzen etwas in die Welt, das sich unkontrolliert vermehrt. Wenn das Experiment schief geht, dann können wir es nicht mehr stoppen", sagt Zimmermann. "Wir fordern Regulierung, das heißt einen Ausgleich zwischen Industrieinteressen und dem Schutz von Umwelt und Verbrauchern", betont er. "Wir wollen, dass Saatgut sauber gehalten wird – und dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen nicht unkontrolliert ausbreiten."

Gentechnik - eine Gefahr für Verbraucher?

Birgt Grüne Gentechnik denn nun Gefahren für Verbraucher? "Es herrscht ein breiter wissenschaftlicher Konsens, dass diese Sorge unbegründet ist", betont Matin Qaim, Leiter des Lehrstuhls für Welternährungswirtschaft an der Universität Göttingen.

Es gebe keinerlei wissenschaftliche Anhaltspunkte für neue Gefahren und in mehr als 30 Jahren sei kein einziger Gesundheitseffekt negativer Art dokumentiert worden. "Die gentechnisch veränderten Lebensmittel, die zugelassen und auf dem Markt sind, sind genauso sicher wie andere Lebensmittel auch."

"Gentechnisch veränderte Lebensmittel sind vielleicht nicht giftig", sagt dazu Greenpeace-Aktivist Zimmermann. "Dennoch wissen wir nicht genug über allergene Wirkungen oder Langzeitfolgen."

Umstrittene Konzerne forschen an Grüner Gentechnik

Beim Streit um die Gentechnik geht es aber auch um die Frage, wie Ackerbau in Zukunft aussehen soll. Gentechnik sei für eine Landwirtschaft gemacht, "die destruktiv arbeitet und schlecht für die Artenvielfalt ist", kritisiert Zimmermann.

Gen-Pflanzen werden Greenpeace zufolge vorrangig in einfachen industriellen Monokulturen angebaut, "die zu ihrem Erhalt einen hohen Einsatz chemischer Mittel erfordern". Dies gehe auf Kosten von Bestäubern und schade langfristig dem Ökosystem und dem Boden.

Die Naturschutzorganisation setzt sich für einen Wandel in der Landwirtschaft ein – hin zu vielfältigen Fruchtfolgen, Mischkulturen und Förderung der Bodengesundheit. "Unternehmen wie Monsanto oder Bayer haben doch kein Interesse an Pflanzen, die mit weniger Pestiziden auskommen", gibt Zimmermann zu bedenken.

Er hält es für hochgradig gefährlich, dass vor allem Konzerne Gentechnik auf den Acker bringen, die "nicht an einer nachhaltigen Landwirtschaft interessiert sind, sondern Gewinne mit Agrochemie machen wie Bayer-Monsanto".

Die kritische Frage danach, wer an der Gentechnik forscht und wem die neuen Sorten letztlich gehören, findet auch Agrarökonom Qaim berechtigt. Aber man könne die Gentechnik nicht verbieten, nur weil sie auch von großen Unternehmen verwendet wird: "Niemand fordert, das Internet zu verbieten, obwohl es hier auch durch Firmen wie Amazon, Google oder Facebook zu deutlicher Marktmacht kommt", gibt Qaim zu bedenken.

Dass auch bei der Gentechnik vor allem Großkonzerne aktiv sind, liege daran, dass es so unglaublich teuer sei zu testen: nicht wegen der Technik als solche, sondern wegen "übertrieben hoher Zulassungshürden". "Öffentlichen Forschungseinrichtungen fehlen dafür oftmals sowohl die Mittel als auch der nötige lange Atem."

Nachhaltige Lebensmittelproduktion durch Gentechnik?

Mit Gentechnik ließen sich präziser ertragreiche und robustere Pflanzen züchten, erklärt der Wissenschaftler. Chancen sieht Qaim nicht nur darin, Pflanzen widerstandsfähiger gegen Krankheiten und Schädlinge zu machen, um so den Pestizid-Einsatz zu verringern, sondern auch Pflanzen zu züchten, die mit den Veränderungen durch den Klimawandel besser zurechtkommen: etwa mit Dürre, Hitze oder Überschwemmungen.

Das Potenzial für nachhaltige Entwicklung sei riesig – dabei denkt Qaim vor allem an die Lage in Entwicklungsländern, die wachsende Weltbevölkerung, an Armut und Hunger. "In Europa werden wir auch weiterhin ohne Gentechnik satt – aber in anderen Regionen der Welt sieht die Sache anders aus." Die Zulassungsregelungen in Europa hätten Einfluss darauf, was woanders passiert – weil viele Lebensmittel hierher importiert werden.

Greenpeace: "Versprechen haben nicht funktioniert"

Aspekte, die eigentlich auch Greenpeace gefallen dürften. Doch Dirk Zimmermann sieht das anders: Versprechen wie höhere Erträge, nährstoffreichere Pflanzen oder weniger Chemikalien durch Gentechnik hätten in der Vergangenheit nicht funktioniert – in anderen Teilen der Welt habe der Anbau in der Praxis nicht die erwünschten Effekte gebracht.

"Genetik ist so kompliziert, es gibt nicht dieses eine Gen für Stressresistenz", erklärt der Agrarbiologe. Greenpeace hält stattdessen an der klassischen Zucht fest: "durchaus hochtechnologisiert, aber mit analytischen Verfahren", so Zimmermann.

Seit gut 20 Jahren werden insektenresistente und herbizidtolerante Pflanzen in anderen Ländern angebaut. Herbizidtolerante Pflanzen sind etwa unempfindlich gegen Spritzmittel wie Glyphosat. Eine Eigenschaft, die den Einsatz von Herbiziden fördern kann.

Insektenresistent sind die, die selbst ein Gift gegen Schädlinge entwickeln – und somit unter Umständen weniger Insektizide nötig machen. "Daneben gibt es leider bisher nicht viele Beispiele der Gentechnik in der landwirtschaftlichen Praxis", sagt Qaim. Dafür fehlten die entsprechenden rechtlichen Bedingungen. Es gebe zwar wahnsinnig viel Neues – aber bisher kaum auf dem Markt, sondern in den Laboren, Gewächshäusern und Feldversuchen.

Bei der Gentechnik geht es nach Angaben Qaims um "relativ kleine Veränderungen – oftmals kleiner als in der klassischen Zucht". Teilweise können die gleichen Veränderungen aber auch mit der klassischen Züchtung gelingen, nur weniger gezielt und viel langsamer. Man müsse im Einzelfall schauen, welche Methode am besten sei. "Denn am Ende geht es um das Ergebnis und nicht um die Methode."

Verständnis für Verbraucher-Skepsis

Qaim hat "großes Verständnis" für die Skepsis der Verbraucher. Tiefsitzende, über Jahrzehnte geprägte Vorurteile ließen sich nicht von heute auf morgen ausräumen. Das Thema sei wahnsinnig komplex. Und wer sich im Internet über Gentechnik informiere, finde "vor allem die großen Kampagnen dagegen – nicht das, was wissenschaftlicher Konsens ist".

Auf die Frage, wem man glaube, liege es aus Verbrauchersicht nahe, eher Greenpeace als Monsanto zu vertrauen. "Greenpeace macht viele sehr gute Sachen", sagt Qaim. "Aber hier liegen sie eben komplett falsch, und das seit über 20 Jahren."

Das Thema ist und bleibt kontrovers. Das zeigen beispielsweise auch Diskussionen bei Bündnis 90/Die Grünen. Die Situation sei vergleichbar mit dem Klimawandel, schreiben Mona Noé und Johannes Kopton von der Grünen Jugend in einem Debattenbeitrag. "Insbesondere den nicht-transgenen Einsatz (ohne Fremdgene) neuer gentechnischer Methoden können wir auf naturwissenschaftlicher Ebene nicht länger ablehnen, wenn wir nicht als 'Gentechnikleugner*innen' dastehen wollen."

Trotz ihrer Forderung an die Partei, gentechnische Verfahren neu zu bewerten, sehen auch sie "berechtigte Bedenken", was soziale, wirtschaftliche und ökologische Auswirkungen in der Landwirtschaft angeht.

Über die Experten:
Professor Matin Qaim ist Agrarökonom und leitet den Lehrstuhl für Welternährungswirtschaft an der Universität Göttingen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören nachhaltige Landwirtschaft und globale Ernährungssicherung. Seine Forschung im Bereich Gentechnik wurde nach eigenen Angaben allein von öffentlicher Seite oder über gemeinnützige Stiftungen finanziert.
Dr. Dirk Zimmermann ist Agrarbiologe: Er studierte an der Universität Hohenheim und betrieb anschließend molekularbiologische Grundlagenforschung an Tomaten. Seit 2011 arbeitet er bei Greenpeace, schwerpunktmäßig beschäftigt er sich dort mit Gentechnik und zukunftsfähiger, nachhaltiger Landwirtschaft.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Matin Qaim
  • Gespräch mit Dirk Zimmermann
  • Greenpeace: Zwei Jahrzehnte des Versagens. Die gebrochenen Versprechen der Agro-Technik
  • Webseite des Bundeslandwirtschaftsministeriums: Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel
  • Debattenbeitrag: Grüne Gentechnik neu bewerten
  • Bundesregierung: Lebensmittel in Deutschland grundsätzlich gentechnikfrei
  • Bundeslandwirtschaftsministerium: Fragen und Antworten: Gentechnik in Lebensmitteln
  • Öko-Test: Milchersatz-Test: Oft zu viel Nickel in Sojamilch
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