Weil ihn seine Tochter damit beauftragte, die Welt zu retten, ging der Autor Philipp Möller als Praktikant in den Bundestag. Eines seiner Themen war der Umgang mit dem Klimawandel. Bei seinen Recherchen kam er aber auch zu einer anderen Erkenntnis: dass der Klimaaktivismus teilweise quasireligiöse Züge hat. Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt er, warum er das für problematisch hält.

Ein Interview

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Herr Möller, Sie sind im Herbst 2017 als selbsternannter Weltrettungspraktikant in den Bundestag gegangen – warum?

Philipp Möller: Weil ich davon ausgegangen bin, dass die Erde mit Höchstgeschwindigkeit auf den Untergang zusteuert. Mit der zermürbenden Frage, in welcher Welt meine Kinder und Enkel mal leben sollen, bin ich angesichts von Flüchtlings-, Demokratie- und Klimakrise schließlich nicht alleine. Also habe ich meiner Tochter versprochen, mit den Politikern zu schimpfen, weil sie nichts dagegen tun, dass die Welt immer schlechter wird. Ich hatte also exakt das, was Greta Thunberg ein Jahr später gefordert hat: Panik.

Dann müsste das Engagement der jungen Schwedin und Fridays for Future (FFF) doch genau das sein, was Sie sich als Weltretter gewünscht haben?

Damals schon, aber mit fortschreitender Recherche bin ich als Autor auf ein schwerwiegendes Problem gestoßen: Ich musste peu à peu anerkennen, dass die wichtigste These meines Buches, dass die Welt immer schlechter wird, komplett falsch ist. Denn auch wenn es heute immer noch jede Menge Probleme gibt, entwickeln sich sehr viele Zustände eindeutig positiv – von Armut über Hunger bis zu Kriegsopferzahlen, die allesamt sinken. Dank gezielter Bemühungen wird die Welt also immer besser und zugleich erleben wir in vielen Industrieländern hysterische Zeiten.

Nun ließe sich argumentieren, all diese Verbesserungen betreffen uns Menschen. Was ist mit dem Planeten insgesamt? Dem Klimawandel?

Ein stabiles Klima gab es noch nie, und weil es im Zuge der ausklingenden Warmzeit innerhalb der Eiszeit, in der wir leben, eigentlich immer kälter werden müsste, haben wir mit dem bisherigen Ausstoß von CO2 eher eine Katastrophe verhindert, als eine erschaffen – denn zwei Grad kälter wären bedeutend problematischer als zwei Grad wärmer!

Auch der laut erhobene Vorwurf, der Klimawandel sei die Folge von Luxus, hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Natürlich emittieren wir beim heutigen Stand der Technik viel zu viele Treibhausgase und genau das müssen wir jetzt mit global vereinten Kräften und neuen Technologien korrigieren. Aber die bisherigen Emissionen sind eine unbeabsichtigte Nebenwirkung der erfolgreichen Flucht des Menschen aus dem Elend und kaum böswillige Luxusemissionen.

Zudem betreffen positive Veränderungen nicht nur den Menschen. Viele heutige Klimaaktivisten halten sich vielleicht zu selten vor Augen, welche umweltpolitischen Zeiten direkt hinter uns liegen: rauchende Fabrikschlote, Ölkatastrophen, vergiftete Flüsse, saurer Regen, Waldsterben, Ozonloch. Die Elterngeneration, gegen die Greta und die FFF schwerste Pauschalvorwürfe erheben, hat also bewiesen, dass sich Umweltprobleme mit politischem Willen und technischem Know-How durchaus lösen lassen.

Vor Kurzem haben Sie Greta Thunberg als "Führerin einer rasant aufstrebenden Säkularreligion" bezeichnet. Wie kommen Sie zu dieser Behauptung?

Die Parallelen zwischen Teilen der FFF und klassischen Religionen sind offensichtlich: Die heilige, unbefleckte Mutter Natur gilt als Gottheit, an der sich der Mensch als Umwelt-"Sünder" vergeht, woraufhin diese Gottheit zornig wird und sich in Form von Ressourcenkriegen und Heißzeitszenarien mit der Apokalypse zu rächen droht.

Doch Erlösung ist möglich, indem wir den Weisungen der selbsternannten Ökopriester folgen, die angeblich über die absolute und nicht zu hinterfragende Wahrheit verfügen, weshalb wir uns schuldig bekennen und Buße und Askese üben müssen.

Der Personenkult um Greta Thunberg, die nicht nur von Katrin Göring-Eckardt als Prophetin bezeichnet wurde und die in einem symbolischen und pressewirksamen Akt der Selbstkasteiung zwei Wochen lang ohne Toilette und Dusche über den Atlantik segelt, bestätigt das Bild dieser religiösen Tendenzen – zumal ein Flug in dem Fall sogar klimafreundlicher gewesen wäre.

Wie waren die Reaktionen auf Ihren Facebook-Post?

Jedenfalls zahlreich. Wie zu erwarten, gab es scharfe Kritik, darunter sehr sachliche, weshalb ich einen differenzierten Post (den man hier nachlesen kann) nachgelegt habe. Es gab aber auch schwer unsachliche und regelrecht persönliche Anfeindungen nach dem Motto "deine Kinder werden sich für dich schämen, weil du jetzt auf der falschen Seite stehst".

Das Freund-Feind-Schema und die verbale Aufrüstung kennen wir auch aus anderen Debatten der letzten Jahre. Wie kommt es dazu?

Im Empörialismus, wie der Philosoph Michael Schmidt-Salomon dieses Phänomen nennt, zählt nicht die Güte eines Arguments, sondern das möglichst laute und empörte Bekenntnis, auf der "richtigen Seite" zu stehen – die natürlich beide Extrempositionen für sich beanspruchen. Wer nun bei den FFF religiöse Tendenzen feststellt oder ihre Forderungen als moralistisch und unwirksam erklärt, wird von ihnen sofort im gegenüberliegenden Lager verortet. Mit diesem Schwarz-Weiß-Denken verhindern Empörialisten eine gesunde Streitkultur, die zentraler Bestandteil der Demokratie und für die Suche nach Lösungen unabdingbar ist.

Mit dem Slogan "System Change, not Climate Change" fordern viele bei FFF die Abschaffung des Kapitalismus; auf die Frage, was sie ändern wolle, antwortet Greta: "alles". Statt Fortschritt und Wachstum werden einfache Lebensweisen bis hin zur Askese idealisiert. Wie sehen Sie das?

Natürlich gibt es schwerwiegende Probleme mit dem Kapitalismus, die nicht geduldet werden dürfen. Soziale Marktwirtschaft hingegen sichert Grundbedürfnisse von Menschen und erst dann haben sie mentale und materielle Ressourcen für Umweltschutz übrig. Insofern ist der Ruf, "alles" ändern zu wollen und durch Verzicht Minuswachstum zu produzieren, für den Umweltschutz unter Umständen kontraproduktiv.

Die Klimabewegung scheint momentan nicht nur größer, sondern auch radikaler zu werden. Wie bewerten Sie die Bewegung Extinction Rebellion (XR)?

Ich kann nicht jedes einzelne Mitglied dieser Bewegung bewerten, aber offizielle Aussagen der XR, nach denen Demokratie irrelevant sei, und auch einige Aktionen dieser Gruppe überschreiten eindeutig rote Linien. Für ihre Untergangsszenarien gibt es weder Hinweise noch Beweise, sodass es in ihrem Handbuch keinerlei Quellenangaben gibt, dafür aber jede Menge Esoterik.

Zudem betonen sie zwar immer wieder, ihre Proteste friedlich abhalten zu wollen, aber die Bilder aus London, wo Zugpendler durch Blockaden zur Rushhour provoziert wurden, sprechen eine andere Sprache. Und wer kostümiert und meditierend Kreuzungen blockiert, muss sich nicht wundern, als elitäre Weltuntergangssekte bezeichnet zu werden.

Sachliche Appelle blieben in der Klimapolitik lange Zeit weitgehend ungehört. War die Emotionalität Thunbergs vielleicht notwendig, um dafür zu sorgen, dass klimapolitisch endlich irgendetwas geschieht?

Jein. Emotion mag ein guter erster Impuls sein, aber dann muss Vernunft einkehren. Denn es soll eben nicht "irgendetwas" geschehen, sondern das Richtige. Ein Beispiel: Das aktuelle Klimapaket sieht einen Emissionshandel mit einem Festpreis für Zertifikate vor, wodurch die Dynamik verloren geht und das Konzept zunächst Wirkungen zeigt, die einer CO2-Steuer gleichen. Diese ist aber sozial ungerechter und ökologisch viel unpräziser als der echte Emissionshandel.

Sie haben geschrieben, der Klimawandel sei kein Vorbote der Apokalypse, sondern ein lösbares Problem – worin sehen Sie denn die Lösung?

Indem wir auf vier verschiedenen Wegen die Flucht nach vorne antreten. Der wichtigste wird wohl darin bestehen, CO2-Emissionen zu vermeiden. Dafür müssen wir ihnen ein strenges Limit verpassen und zugleich die Entwicklung klimafreundlicher Technologien fördern – genau dafür gelten Emissionshandelssysteme als Königsweg.

Zweitens ist CO2 an sich kein Schadstoff, sondern kann als Rohstoff genutzt werden, etwa bei der Produktion von Baustoffen oder synthetischen Kraftstoffen. Haben die ersten beiden Wege nicht funktioniert, sieht auch der Weltklimarat zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziels einen dritten und vierten Weg vor: Das unterirdische Speichern von CO2, was in Deutschland leider aus irrationalen Gründen an rechtlichen Hürden scheitert, und das Entziehen von CO2 aus der Atmosphäre.

Gibt es eine Kernbotschaft, die Sie als ehemaliger Weltrettungspraktikant heute transportieren wollen?

Nach allen Recherchen für mein Buch "Isch geh Bundestag" sage ich heute: Keine Panik! Die Welt ist viel besser als früher und viel besser, als wir glauben – die Mühen der Weltverbesserung lohnen sich also. Den Klimawandel kriegen wir Menschen auch noch in den Griff. Weil es aber ganz realistisch betrachtet trotz größter Mühen durchaus passieren kann, dass wir unsere Klimaziele nicht exakt erreichen und die Durchschnittstemperatur entsprechend ansteigen wird, müssen parallel zum Klimaschutz insbesondere im globalen Süden auch Anpassungs- und Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Der Weltuntergang jedoch wird auch dieses Mal ausfallen.

Der Diplom-Pädagoge und Autor Philipp Möller ("Gottlos glücklich") setzt sich seit Jahren für Humanismus und Aufklärung ein. Die Erfahrungen und Erkenntnisse aus seinem Experiment im Bundestag hat er im Buch "Isch geh Bundestag: Wie ich meiner Tochter versprach, die Welt zu retten" (Fischer Verlag, 2019) zusammengefasst.
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