Mehr als 60.000 Hitzetote gab es europaweit im vergangenen Jahr, Deutschland hatte eine verhältnismäßig hohe Zahl an Opfern zu beklagen. Und Forscher warnen: Wenn keine wirksamen Maßnahmen ergriffen werden, könnte sich die Zahl der jährlichen Opfer in Europa bis 2050 verdoppeln.

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"Wann wird’s mal wieder richtig Sommer", sang der Entertainer Rudi Carrell 1975 und wünschte sich darin "Sonnenschein von Juni bis September". Diese Freude über warme Sommer schlägt infolge der Klimakrise immer häufiger ins Gegenteil um. Hitzewellen bedrohen nicht nur Ernten oder Wälder, sondern auch die Gesundheit der Menschen.

Wie sehr das der Fall ist, hat jetzt eine Studie abgeschätzt, die am Montag (10. Juli) im Fachjournal "Nature Medicine" erschienen ist. Demnach starben 2022 in Europa zwischen dem 30. Mai und dem 4. September 61.672 Menschen im Zusammenhang mit Hitze. Allein in Deutschland gab es demnach 8.173 Hitzetote.

Hitzetote 2022 in Europa nach Geschlecht pro 1 Millionen Einwohner
© dpa-infografik GmbH

Hohe Übersterblichkeit im Hitzesommer 2022

Anlass für die Studie des Teams um Hicham Achebak vom ISGlobal in Barcelona war zum einen die Mitteilung der europäischen Statistikbehörde, dass es 2022 in Europa 71.449 Todesfälle mehr gab als statistisch zu erwarten gewesen wären. Zum anderen erlebte Europa im vergangenen Jahr den heißesten Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Denn Europa ist stärker von der Klimakrise betroffen als die meisten anderen Weltregionen: Bei uns hat sich das Klima bereits knapp ein Grad stärker erwärmt als im globalen Mittel.

Weil die meisten Länder Europas Hitzetote nicht explizit erfassen, betrachteten die Forschenden alle Todesfälle und nutzen epidemiologische Methoden, um daraus die Hitzetoten zu identifizieren. Die Übersterblichkeit im Sommer 2022 ging zumindest teilweise auch noch auf die Corona-Pandemie zurück. Gleichzeitig greift die Übersterblichkeit allein zu kurz, um alle Hitzeopfer zu erfassen, denn in jedem Sommer stirbt eine gewisse Anzahl Menschen an Folgen der Hitze.

Nicht zuletzt zeigt der Vergleich mit einer anderen Studie, die nur die Hitzetoten in Spanien abgeschätzt hat, dass die nun vorliegende Studie methodisch die Zahl der tatsächlichen Todesopfer eher um etwa zehn Prozent unterschätzt. Die absoluten Zahlen sind daher eher als Näherung zu betrachten.

Italien und Griechenland haben die höchste Hitzesterblichkeit

Dennoch lässt sich aus der Studie einiges lernen – beispielsweise wie schlecht Deutschland auf Hitzewellen vorbereitet ist. Die höchsten Temperaturen erlebt fast immer Mitteleuropa, die meisten Toten gibt es in Südeuropa im Mittelmeerraum.

Trotzdem hat Deutschland in absoluten Zahlen die drittmeisten Todesfälle der untersuchten 35 Länder und liegt selbst in Relation zur Gesamtbevölkerung noch auf Platz zwölf: Im Sommer 2022 starben in Deutschland pro Million Einwohner 98 Menschen infolge der Hitze. Frankreich, das nach dem Hitzesommer 2003 als erstes Land Europas einen Hitzeaktionsplan entwickelt hatte, verzeichnete 2022 4.807 Hitzetote – 73 pro eine Million Einwohner. Die höchsten Sterblichkeitsraten hatten der Studie zufolge Italien (295 pro eine Million), Griechenland (280 pro eine Million) und Spanien (237 pro eine Million).

Frauen sind der Studie besonders häufig durch Hitze gefährdet. Auf ganz Europa bezogen ist ihre Sterblichkeitsrate mehr als 50 Prozent höher als die der Männer. Die Studie liefert allerdings auch gleich einen Erklärungsansatz mit: Neben sozialen Faktoren wie einem geringeren Einkommen und damit oft schlechter vor Hitze geschützten Wohnungen könnte das an der Altersstruktur liegen: Unter 65 Jahren ist die Zahl der Todesfälle bei Männern sogar höher, danach liegen die Frauen vorne. Gerade in der Gruppe der Über-80-Jährigen gibt es jedoch auch deutlich mehr Frauen.

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Aus dem Hitzesommer 2003 haben Regierungen nur wenig gelernt

Für 2003 kam eine vergleichbare Studie, die jedoch weniger Länder einbezogen hatte, auf mehr als 70.000 Hitzetote in Europa. Auf die gleiche Region bezogen hätte es somit 2022 etwa 20.000 Todesfälle weniger gegeben. Allerdings war 2003 ein Extremsommer, der sich deutlich vom Trend absetzte.

Der Sommer 2022 lag genau in der Temperaturentwicklung, die das vorhergegangene Jahrzehnt erwarten ließ. Trotzdem gelang es den Regierungen nicht, ihre Bevölkerungen besser zu schützen: Es starben rund 25.500 Menschen mehr infolge der Hitze als im Mittel der Jahre 2015 bis 2021. Und das, obwohl zahlreiche europäische Länder 2022 Hitzeaktionspläne aktiviert hatten. Das lege nahe, dass die Aktionspläne nur teilweise effektiv seien, schreiben die Studienautoren.

In Deutschland existieren Maßnahmen bislang meist nur auf kommunaler Ebene, da sich Bund, Länder und Kommunen seit 2003 um die (Nicht-)Zuständigkeit streiten, obwohl entsprechende Gutachten vorliegen. Erst vor Kurzem hat jedoch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigt, dass es nun zügig einen Hitzeaktionsplan auch für Deutschland geben solle. Das bisherige Hitzewarnsystem warnt nach Ansicht von Fachleuten jedenfalls zu spät.

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2050 könnten in Europa jährlich 120.000 Menschen an Hitze sterben

Zwar gibt es Studien, die Fortschritte bei der Hitzeanpassung in Europa sehen. Doch die Studienautoren äußern sich besorgt: Schriebe man den Trend der Klimaerwärmung und der damit verbundenen Hitzetoten seit 2015 fort, erlebte Europa schon 2030 mehr als 68.000 Hitzetote pro Jahr und 2050 wären es schon 120.000.

Um die Menschen besser schützen zu können, ruft die Studie die nationalen Statistikbehörden auf, bei hitzebezogenen Todesfällen mehr soziodemografische Details zu erfassen und der Forschung bereitzustellen. Nur so könnten Maßnahmen wirksam zugeschnitten werden. Deutschland war neben dem Vereinigten Königreich und Irland das einzige Land, in dem die Forscher nach eigenen Angaben nicht einmal Daten bekommen konnten, um nach Geschlecht und Alter zu differenzieren.

Verwendete Quellen:

  • ScienceDirect: Death toll exceeded 70,000 in Europe during the summer of 2003
  • ScienceDirect: A multi-country analysis on potential adaptive mechanisms to cold and heat in a changing climate
Dieser Beitrag stammt vom Journalismusportal RiffReporter. Auf riffreporter.de berichten rund 100 unabhängige JournalistInnen gemeinsam zu Aktuellem und Hintergründen. Die RiffReporter wurden für ihr Angebot mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet.

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