Es gab eine Zeit, in der hätten wir von Deutschland nach Großbritannien laufen können. In den Tiefen der Nordsee schlummert nämlich ein prähistorisches Geheimnis. Das versunkene sogenannte Doggerland liegt dort und erzählt eine spannende Geschichte über unsere Nordsee.

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Viele Reisende, die an der Nordsee Urlaub machen, wissen wahrscheinlich nicht, dass sie es mit einem Meer zu tun haben, in dessen dunklen Tiefen jahrtausendealte Geschichte schlummert. Denn die Nordsee bedeckt das prähistorische Land Doggerland, das einst Großbritannien mit Europa verband.

Auch wenn Briten immer wieder von Insel-Mentalität und dem Loslösen von Europa sprechen – genau genommen war Großbritannien vor Tausenden Jahren ein Bestandteil des europäischen Festlands. Als Doggerland bezeichnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die prähistorische überschwemmte Landschaft, die sich einst, während der letzten Kaltzeit, von England bis zur dänischen Küste erstreckte. Das Land versank nach Ende der Eiszeit im Meer. Grund dafür war die Erderwärmung und der damit verbundene Anstieg des Meeresspiegels.

"Man hätte damals von Großbritannien nach Deutschland laufen können. Die genaue Ausdehnung von Doggerland ist schwer zu definieren, aber wir haben im Meer bisher eine Fläche von 65.000 Quadratkilometern kartiert. Es könnten aber bis zu 30.000 Quadratkilometer mehr sein", berichtet der Archäologe Vincent Gaffney.

So entstand der Name Doggerland

Doggerland leitet sich in erster Linie ab von der Doggerbank, einer langgestreckten Sandbank im Zentrum der Nordsee. An manchen Stellen liegt die Doggerbank nur 13 Meter unter dem Meeresspiegel. Die Wissenschaftlerin Bryony J. Coles prägte 1998 den Namen für das archäologisch interessante Gebiet des Doggerlands. Dogger bezeichnet zudem ein dänisches Fischerboot, das für den Kabeljau-Fang in der Nordsee diente.

Warum ging Doggerland unter?

Durch das Schmelzen der größten Eisfläche auf der Nordhalbkugel begann vor ungefähr 10.000 Jahren der Anstieg des Meeresspiegels. Die Nordsee überflutete mit den Jahren die Küsten Doggerlands, sodass wahrscheinlich vor etwa 9.000 Jahren nur noch eine Insel übrig blieb. Diese wurde jedoch ebenfalls hinfort gespült durch eine Naturkatastrophe um 6.000 v. Chr.

Beim Storegga-Ereignis brachen große Teile Norwegens ab und stürzten auf einer Breite von 800 Kilometern ins Meer. Dieser gigantische Erdrutsch löste Tsunami-Wellen von zehn bis zwanzig Metern Höhe aus, die schließlich den letzten Rest von Doggerland verschluckten.

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Das fanden Forscher bisher heraus

Als Fischer der Nordsee immer wieder ungewöhnliche Funde in ihren Schleppnetzen machten, wie zum Beispiel Knochen von Landtieren oder eine prähistorische Harpune mit Verzierungen, fing der Paläobotaniker Clement Reid an, die Funde genauer zu untersuchen. Unter Bryony J. Coles, einer Dozentin der Universität Dexter, entstand im Rahmen des Doggerland-Projekts ein Computermodell der Landschaft.

Ein britisch-belgisches Forscherteam, darunter auch Vincent Gaffney, untersucht mithilfe des "Lost Frontiers"-Projekts und einem Forscherschiff das Gebiet in der Nordsee. Durch Sonarkartierungen und die Entnahme von Bodenproben mit einem Greifer, versuchen die Wissenschaftler, menschliche Relikte zu finden. "Wir fanden bereits Hinweise auf den größten Holozän-Tsunami – das Storegga-Event – und erste Beweise für menschliche Aktivitäten auf der Brown Bank", sagt Vincent Gaffney.

Optimale Lebensbedingungen auf Doggerland

Die Brown Bank ist eine circa 30 Kilometer lange Untiefe, die sich zwischen England und den Niederlanden befindet. An einigen Stellen ist das Wasser nur zwanzig Meter tief. Dort entdeckten Forscher Tierknochen und Steinwerkzeuge, die auf dortige Lagerplätze von Jägern und Sammlern hindeuten. Während der Mittelsteinzeit fanden die Menschen in der grünen, hügeligen Landschaft für Tausende von Jahren optimale Lebensbedingungen vor. Es gab ein reichhaltiges Nahrungsangebot und Fischfang war durch die zahlreichen Flüsse, Seen und einen zentralen Süßwasser-Binnensee möglich.

Das einzige Land, das bis in seine Tiefen noch nicht von der Wissenschaft untersucht wurde, ist vermutlich nur jenes, welches in den Ozeanen verborgen liegt. Vielleicht lässt sich von Doggerland auch in Bezug auf die Gegenwart noch etwas lernen, schließlich war das Sinken dieses Landes eines der letzten Ereignisse, durch das Menschen unmittelbar miterlebten, wie dramatisch die Folgen des Klimawandels sein können.

Über den Gesprächspartner: Professor Vincent Gaffney ist ein britischer Archäologe der Universität Bradford. Gaffney hat weltweit verschiedene Forschungsprojekte geleitet, ist aber vor allem für seine Arbeiten über Doggerland bekannt. Er ist Teil des britisch-belgischen "Lost Frontiers"-Projekts, das sich mit dem versunkenen Land in der Nordsee beschäftigt.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Archäologe Prof. Vincent Gaffney
  • Vincent Gaffney, Simon Fitch und David Smith: Europe's Lost World: The Rediscovery of Doggerland
  • Vincent Gaffney, Simon Fitch und Kenneth Thomson: Mapping Doggerland: The Mesolithic Landscapes of the Southern North Sea
  • Vincent Gaffney, Simon Fitch, Martin Bates, Roselyn L. Ware : Multi-Proxy Characterisation of the Storegga Tsunami and Its Impact on the Early Holocene Landscapes of the Southern North Sea
  • Vincent Gaffney: First Archaelogical Artefacts recovered during survey on the southern river and brown bank
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