• Die chinesische "Zero COVID"-Politik droht zu scheitern: Trotz rigider politischer Maßnahmen verzeichnet China den schwersten Corona-Ausbruch seit Pandemiebeginn.
  • Auch die Wirtschaft trifft das hart – mehrere Produktionsstätten sind lahmgelegt, die Logistik ächzt unter den Auflagen.
  • Zuletzt wuchs die chinesische Wirtschaft weiter, internationale Handelspartner bekommen die Politik Pekings aber ebenfalls zu spüren. Zwei Experten erklären, was das bedeutet.

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China hat seit Ausbruch der Pandemie vor allem eine Strategie verfolgt: "Zero COVID". Mit der Abriegelung ganzer Städte, Test-Offensiven und drakonischen Kontrollmaßnahmen ist Peking im Jahr dahingehend 2020 einen erfolgreichen Kurs gefahren. Staatschef Xi Jinping rühmte das chinesische Vorgehen als "effektivste Strategie im Umgang mit dem Virus weltweit".

Ende 2020 schien China die Pandemie bereits hinter sich gelassen zu haben. Millionen Chinesen verreisten wieder, bei einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen hatten sich Mitte Dezember des damaligen Jahres weniger als 100.000 Menschen infiziert, die Todesfälle bewegten sich auf vergleichsweise niedrigem Niveau.

Und auch der Schutz der Wirtschaft schien durch die "Zero COVID"-Strategie aufgegangen zu sein: Trotz wochenlanger Schließung des zentralen Ausfuhrhafens für Hightech-Produkte in der Metropole Shenzhen und dem Stillstand zahlreicher Produktionsstätten wuchs die Wirtschaft im Reich der Mitte um knapp zwei Prozent. Deutschland verzeichnete derweil ein Minus von knapp fünf Prozent.

Nun aber wendet sich das Blatt: China erlebt in diesen Tagen den schwersten Corona-Ausbruch seit Pandemiebeginn. Die Behörden registrieren mehr als 3.000 Neuinfektionen in 24 Stunden, Hongkong weist mittlerweile die höchste Corona-Todesrate weltweit auf.

"Zero COVID"-Strategie in China stößt an seine Grenzen

Und auch die Wirtschaft trifft es wieder hart: Apples wichtigster Zulieferer Foxconn muss wegen eines Lockdowns in der Region Shenzhen Teile der Produktion stoppen, auch der Autobauer VW ist betroffen.

"Die Omikron-Variante zeigt jetzt die Grenzen der 'Zero COVID'-Politik auf, es kommt zu immer mehr Lockdowns", sagt Ökonom und China-Experte Philipp Böing. Wie lange kann China noch durchhalten? Erst vor knapp einer Woche hatte Xi Jinping das Festhalten an der "Zero COVID"-Strategie noch einmal bekräftigt.

"China hat relativ wenig Alternativen zur Hand. Die einheimischen Impfstoffe schützen weniger gut als solche aus Europa", erklärt Böing. Das chinesische Gesundheitssystem habe zudem nur geringe Kapazitäten bei der Aufnahme von Patienten. "Außerdem will China politisch das Narrativ des 'Siegers über COVID' beibehalten", so der Experte weiter.

Belastung für deutsche Unternehmen in China wird größer

Für internationale Handelspartner, darunter auch in China engagierte deutsche Unternehmen, wird Pekings Politik allerdings immer mehr zur Belastung. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die chinesische Führung bereits Anfang des Jahres zu einem Kurswechsel aufgefordert.

In China bereitet man sich auf viele Infektionen und Erkrante vor.

Omikron in China: Provisorische Krankenstationen und Lockdown

In China, das eine strikte Null-COVID-Strategie in der Pandemiebekämpfung verfolgt, häufen sich derzeit die Infektionszahlen. In einigen Städten gibt es bereits Lockdowns und auch andere Maßnahmen werden jetzt ergriffen.

Aus Sicht von Markus Taube, Experte für ostasiatische Wirtschaft, muss Peking derzeit einen Seiltanz vollführen: Pandemiekontrolle einerseits, Eindämmung wirtschaftlicher Schäden andererseits. "Die "Zero COVID"-Strategie ist ein knallharter Einschnitt in den Wirtschaftsprozess. In den betroffenen Regionen liegen große Teile der Produktion lahm. Werke stehen still, Menschen können nicht zur Arbeit gehen, Transportlieferungen zwischen Regionen werden blockiert", sagt Taube.

Dennoch sei die chinesische Volkswirtschaft aktuell weiterhin recht stabil. "In den letzten Jahren konnte sie sich stärker auf sich selbst konzentrieren. Die Abhängigkeit von der Weltwirtschaft ist deutlich zurückgenommen worden, der Binnenkonsum ist eine treibende Kraft geworden", sagt der Experte.

Wirtschaftsprobleme: Logistik ist aktuell das Nadelöhr

Böing beobachtet: "Es gibt im chinesischen Export keine kompletten Lieferausfälle, aber Verzögerungen." In der Weltwirtschaft herrsche ein allgemeiner Mangel, vor allem bei Containern. "Die logistischen Kosten für den Transport sind enorm gestiegen. Es wird insgesamt zu längeren Wartezeiten kommen", vermutet er. Das Nadelöhr liege daher aktuell in der Logistik, weniger bei den Produktionskapazitäten.

Auch in Deutschland bekam man das bereits zu spüren: Hier kam weniger Unterhaltungselektronik an, auch chinesische Komponenten fehlten. Die deutsche Automobilindustrie importiert beispielsweise Elektronikteile aus China. "Wo welcher internationale Handelspartner betroffen ist, das hängt ganz entscheidet davon ab, an welchen Stellen chinesische Produkte integriert sind", sagt Böing.

Er geht dennoch nicht davon aus, dass ausländische Firmen Verträge mit chinesischen Lieferanten kurzfristig aufkündigen werden. "Vor allem im Bereich der Konsumgüter, zum Beispiel der Unterhaltungselektronik, liegen mittlerweile komplette Lieferketten in China – es bestehen also nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten der kurzfristigen Substituierung Chinas als Bezugsstandort", sagt er.

Produktion läuft an trotz Lockdown-Region

Langfristig ist dieser Prozess aus Sicht der Experten aber bereits in vollem Gange. "China wird für europäische Bezieher verstärkt zu einem Lieferanten in einem Portfolio aus mehreren", sagt Taube. Unternehmen hätten schon vor geraumer Zeit erkannt, dass sie ihre Vorprodukte aus verschiedenen Weltregionen beziehen und einseitige Lieferbeziehungen vermeiden müssten.

Eine komplette Kehrtwende in der chinesischen "Zero COVID"-Strategie erwarten beide Experten nicht. Dabei gibt es Zeichen der Lockerung: "An manchen Orten darf die Produktion schon wieder aufgenommen werden, obwohl sie in einer Lockdown-Region liegen. Erlaubt ist das, weil die Arbeitskräfte auf dem Fabrikgelände leben", sagt Taube.

In diesem Jahr steht der 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas an. "Xi Jinping will zum dritten Mal wiedergewählt werden", sagt Taube. Den seit Jahrzehnten geltenden Nachfolgemechanismus habe der Präsident geändert und die Macht auf seine Person konzentriert: "Für die herrschende Politik ist das Jahr 2022 kritisch. Verwerfungen, auch in der Volkswirtschaft, gilt es zu vermeiden."

Über die Experten:
Prof. Dr. Markus Taube ist Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft/China an der Mercator School of Management. Er ist Direktor der IN-EAST School of Advanced Studies an der Universität Duisburg-Essen und Kodirektor des Konfuzius-Instituts Metropole Ruhr.
Dr. Philipp Böing ist Senior Researcher am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen Politikevaluation, Produktivität und Importwettbewerb. Er interessiert sich insbesondere für Chinas innovationsorientierte Wirtschaftsentwicklung und die Auswirkungen auf Europa.

Verwendete Quellen:

  • British Medical Journal (BMJ): COVID-19: Hong Kong reports world ‘s highest death rates as zero COVID strategy fails. 17.03.2022
  • BBC: Omicron vs Zero-COVID: How long can China hold on? 21.03.2022
  • VOA News: China to 'Stick with' Zero-COVID Strategy, President Xi Says.17.03.2022
  • Deutsche Welle: Deutsche Wirtschaft besorgt wegen Chinas Null-COVID-Strategie. 25.01.2022
  • Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP): China – Pandemiegewinner für den Moment. 14.12.2020
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