Die Chancen auf einen deutschen Gesamtsieger bei der Vierschanzentournee stehen so gut wie lange nicht mehr. Am Samstag kommt es in Bischofshofen zur Entscheidung. Was für DSV-Hoffnungsträger Andreas Wellinger spricht.

Eine Analyse
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Ryoyu Kobayashi gegen Andreas Wellinger: So lautet das Zweierduell um den Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee 2023/24. Mit seinem zweiten Platz in Innsbruck schob sich der Japaner am bisherigen Spitzenreiter Wellinger vorbei, der auf der berüchtigten Bergisel-Schanze Fünfter wurde.

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Nun kommt es beim letzten Springen in Bischofshofen, traditionell am Dreikönigstag, zum großen Showdown. Gibt es nach dem legendären Erfolg von Sven Hannawald 2002 endlich wieder einen deutschen Sieger bei der Vierschanzentournee oder krallt sich Kobayashi nach seinen Tournee-Erfolgen 2019 und 2022 zum dritten Mal den goldenen Adler?

Skispringer Ryuyu Kobayashi.
Ryuyu Kobayashi liegt in der Gesamtwertung aktuell vorne. © IMAGO/Newspix/TOMASZ MARKOWSKI

Mit 4,8 Punkten oder umgerechnet 2,67 Metern ist der Rückstand Wellingers minimal. "Zweieinhalb Meter Rückstand, das ist doch fast nichts auf der Riesenschanze in Bischofshofen", stellte der Deutsche in Innsbruck fest.

Ohnehin gibt es einige weitere Punkte, die vor dem großen Finale für Wellinger sprechen:

Wellinger springt auf seiner Heimschanze

Zwar hat Wellinger in Innsbruck die Gesamtführung verloren - viel wichtiger ist aber, dass der DSV-Adler die deutsche "Schicksalsschanze" am Bergisel ohne größere Probleme überwunden hat. Hier, an der Olympiaschanze von 1976, erlebte schon so manch deutscher Skispringer eine brutale Enttäuschung.

Nun geht es zum Abschluss der Vierschanzentournee nach Bischofshofen, wo mit der Paul-Außerleitner-Schanze eine der Lieblingsschanzen von Wellinger wartet. "Ich mag Bischofshofen extrem gerne. Ich hoffe, dass da die Bedingungen wieder mitspielen und dann sind zweieinhalb Meter nichts auf der großen Schanze", sagte Wellinger nach dem Springen in Innsbruck.

In Bischofshofen hat der Skispringer ein gefühltes Heimspiel: "Auf keiner anderen Schanze mache ich so viele Sprünge. Ich bin von daheim in einer Stunde da, schon als Schüler bin ich oft von Berchtesgaden dorthin zum Training gefahren", erklärte Wellinger. Dass ihm Bischofshofen liegt, machte Wellinger bereits in der Vergangenheit deutlich: 2017 hatte er die Qualifikation mit dem damaligen Schanzenrekord von 144,5 Metern gewonnen.

Auch DSV-Trainer Stefan Horngacher schätzt den 28-jährigen Traunsteiner auf der Schluss-Station der Tournee stark ein: "Der Andi springt sehr gerne in Bischofshofen und ich denke, dass er auch mit dem Geschwindigkeitsvorteil einiges rausholen kann." Die Anlaufgeschwindigkeit ist einer der wichtigsten Faktoren beim Skispringen. Auch in Innsbruck war Wellinger hier ganz vorne mit dabei. Die Chancen stehen gut, dass das auch in Bischofshofen der Fall sein wird.

Zudem sieht Horngacher ebenfalls eine Art Heimvorteil für seinen Schützling. "Bischofshofen ist ein bisschen seine Heimschanze, wo er im Sommer viel trainiert und ganz gut springt. Er hat alle Möglichkeiten", erklärte der DSV-Trainer nach dem Springen ins Innsbruck.

Vor Showdown bei der Vierschanzentournee: Pause für Wellinger und Co.

Nach einem vollgestopften Programm haben die Sportler jetzt eine kurze Ruhepause. Am Freitag findet die Qualifikation statt, der Wettbewerb startet dann am Samstag.

Für Horngacher kommt die Pause gerade zur richtigen Zeit. "Der Ruhetag ist für uns definitiv sehr gut", sagte der Skisprung-Trainer zum wettkampffreien Donnerstag. "Speziell für die Leute, die vorne mitspringen, ist der Trubel natürlich schon sehr viel. Jetzt war vier Tage hintereinander voll Zündung. Es bringt schon etwas, nochmal herunterzufahren."

Wellinger will den freien Tag zum Ausschlafen nutzen, erklärte er kürzlich. Auch ein Athletiktraining sowie Physiotherapie seien geplant.

Kompletter Fokus in den entscheidenden Momenten

Dass sich Wellinger komplett auf seine Aufgabe fokussieren kann, wenn es darauf ankommt, machte er auch bei der "Windlotterie" in Innsbruck deutlich. In der Qualifikation landete der deutsche Skisprung-Star lediglich auf Platz 15, es war ein erster kleinerer Dämpfer vor dem Wettkampf am Folgetag. Auch der Probedurchgang vor dem eigentlichen Springen lief nicht optimal. "Aber danach habe ich mich von Sprung zu Sprung gesteigert", sagte Wellinger nach dem Springen.

Denn im Wettkampf ließ er sich von den vorherigen Problemen nichts mehr anmerken. "Wenn man ihn schon länger kennt, weiß man genau, dass er für solche Situationen geboren ist", sagte Stephan Leyhe zum Druck, der auf seinem Zimmerkollegen lastet.

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Neue Rolle bringt volle Motivation für Wellinger

Nach den ersten beiden Springen (1. Platz in Oberstdorf, 3. Platz in Garmisch-Partenkirchen) war Wellinger Spitzenreiter. Das hat sich durch seinen fünften Platz in Innsbruck geändert. "Jetzt bin ich nicht mehr der Gejagte, sondern der Jäger", sagte der Skispringer und stellte klar: "Ich werde voll angreifen."

Die Hoffnungen auf einen deutschen Gesamtsieg bei der Tournee sind riesig, entsprechend groß dürfte auch die Motivation Wellingers sein. Denn gerade in Deutschland hat ein Tourneesieg einen besonders hohen Stellenwert. Große internationale Erfolge kann der Skisprung-Olympiasieger von 2014 (Mannschaft) und 2018 bereits vorweisen.

Der Gesamtsieg bei der prestigeträchtigen Vierschanzentournee fehlt ihm allerdings noch. Anlass genug, in Bischofshofen "voll aufs Pedal zu steigen und mit Selbstvertrauen das Ding rauszuhämmern", wie Wellinger in Innsbruck betonte.

Großer Teamgeist im deutschen Lager

Wellingers DSV-Kollegen spielen bei der Vierschanzentournee keine große Rolle (mehr). Sämtliche Hoffnungen liegen beim 28-Jährigen. Für den deutschen Erfolg wollen auch die anderen deutschen Springer ihren Teil beitragen.

In Innsbruck warteten Wellingers Teamkollegen im Auslauf auf ihn. "Ich habe ihm gesagt, dass das echt was wert ist", sagte etwa Karl Geiger, der nach dem Springen am Bergisel versprach, fast alles zu tun, um Wellinger zu unterstützen: "Wir werden Cheerleader sein", erklärte der 30-Jährige, der gleich noch einige mögliche Aufgaben zur Unterstützung nannte: "Wenn es etwas zu tun gibt, sei es die Tasche tragen bei der Dopingprobe oder was auch immer, dann machen wir das. Und ansonsten sind wir zum Daumendrücken da."

Die Daumen sind also schonmal gedrückt, die Entscheidung fällt dann am Samstag an der Paul-Außerleitner-Schanze in Bischofshofen. Ryoyu Kobayashi gegen Andreas Wellinger: Am Ende kann es nur einen geben.

Verwendete Quellen

  • Mit Material der dpa
  • Mit Material des sid
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