Haben trans Frauen im Sport einen Vorteil gegenüber anderen Frauen? Unter anderem darüber haben wir mit Julia Monro, als Vorstandsmitglied im Lesben- und Schwulenverband für den Bereich Sport zuständig, gesprochen.

Ein Interview

Immer wieder gibt es Kritik an der Teilnahme von trans Frauen in Sport-Wettbewerben, zuletzt erst im Darts. Die große Frage: Haben trans Frauen möglicherweise einen körperlichen Vorteil? Das Thema ist komplex und vor allem noch nicht genug erforscht. Wir haben mit Julia Monro, als Vorstandsmitglied im Lesben- und Schwulenverband für den Bereich Sport zuständig, unter anderem über Vorurteile, Grenzüberschreitungen und wichtige Erfolge im Fußball gesprochen.

Mehr News zum Thema Sport

Julia Monro, Sie kämpfen seit Jahren unter anderem für mehr Akzeptanz von trans Athletinnen und Athleten. Wie schwierig ist es heute als trans Person im Sport aus rechtlicher Sicht?

Julia Monro: Der Sport ist grundsätzlich binär aufgebaut, diverse Personen haben dort in der Regel gar keinen Platz. Es gibt immer die große und schwierige Hürde, dass Sportvereine und Sportverbände gerne darauf bestehen, dass erst die offizielle Personenstandsänderung durchgeführt werden muss, damit man das Recht hat, zum Beispiel in einer anderen Mannschaft zu spielen. Daneben gibt es die sonstigen Alltagsdiskriminierungen, die man erlebt. Außerdem ist Sport für viele ein Freizeitausgleich. Und dass man in der Freizeit zusätzlich solche Steine in den Weg gelegt bekommt, ist ein ganz großes Problem.

Wie geht der Sport generell mit trans Athletinnen und Athleten um? Wie inklusiv ist es in der Realität auf menschlicher Ebene?

Es gibt leider sehr viele Vorurteile und die Debatte dreht sich überwiegend um trans Frauen, die bereits ihre Pubertät in der männlichen Rolle durchlebt haben, bei der sich ein bestimmter Körper mit breiten Schultern und eine tiefe Stimme entwickelt haben. Daraus wird häufig abgeleitet, dass trans Frauen angeblich körperliche Vorteile gegenüber anderen Frauen haben. Über dieses Vorurteil wird kontrovers diskutiert und so die Teilnahme am Sport für trans Frauen erschwert. Man setzt sich aber nicht wissenschaftlich mit dem Thema auseinander und man interessiert sich auch nicht dafür, wie es der trans Person dabei geht. Dass sie einen sehr schweren Weg auf sich genommen hat, der großen Leidensdruck erzeugt und dass sie durch eine freiwillige Hormoneinnahme ihre körperliche Kraft massiv reduziert hat. Eine Kiste Wasser zu schleppen wird plötzlich doppelt so schwer wie vorher. Das wird von vielen Menschen unterschätzt.

Transfeindlichkeit im Sport

Noa-Lynn van Leuven spielt als trans Frau im Darts, gewann zuletzt ein Turnier. Teamkolleginnen verkündeten daraufhin, nicht mehr für die Nationalmannschaft spielen zu wollen. Können Sie diese Reaktion nachvollziehen?

Ich verstehe es total, wenn diese Diskussionen um angebliche Vorteile in Sportarten vorgebracht werden, die mit körperlicher Muskulatur zusammenhängen. Beim Laufen zum Beispiel. Doch man erkennt schnell, dass diese ganze Debatte total politisiert und nicht mehr mit logischen Argumenten geführt wird, wenn man sich beispielsweise die Entscheidung des Welt-Schachverbands anschaut, der trans Frauen pauschal von Frauen-Wettbewerben ausschließt. In solchen Sportarten geht es nicht um einen angeblichen körperlichen Vorteil, sondern nur noch darum, trans Personen auszuschließen. Beim Darts sehe ich jetzt auch keine körperlichen Vorteile, die man in irgendeiner Art und Weise vermuten könnte.

Diskussionen können ja fruchtbar sein. Wie schwierig ist es in dem Zusammenhang, eine Grenze zwischen Kritik und dem Bereich der Transfeindlichkeit zu ziehen? Wie schnell und wie oft wird diese Grenze überschritten?

Die Grenze wird regelmäßig überschritten, weil niemand den Blick dafür hat, dass es hier um eine Minderheitengruppe geht, die sonst kaum Möglichkeiten zur Teilhabe in der Gesellschaft hat. Anstatt mit Empathie nach Lösungswegen zu suchen, diese Minderheit in den gesellschaftlichen Prozess mit einzubeziehen, wird pauschal irgendwas behauptet und kritisiert. Unsere Gesellschaft ist leider oftmals geprägt von Polarisierung und Spaltung. Es gibt häufig sehr viele Diskussionen, die weit über ein normales Maß an Kritik hinausgehen.

Woher kommt denn diese Ablehnung, diese Art, an solche Diskussionen heranzugehen?

In rechtskonservativen Kreisen werden oftmals Behauptungen aufgestellt, die von Medien aufgegriffen und weiter reproduziert werden. Das zeichnet dann ein bestimmtes Bild in der Gesellschaft, und führt dazu, dass eine Minderheit weiterhin in ein negatives Licht gerückt und benachteiligt wird. Die Medien haben hier eine ganz große Verantwortung, wenn es darum geht, sich im Sinne der Demokratie und der Vielfalt um diejenigen zu kümmern, die in der Randgruppe erscheinen.

Ist diese grundsätzliche Kritik an mehr Inklusivität immer noch auf einem hohen Niveau?

Ja, die findet auf einem sehr hohen Niveau statt und ich glaube, dass man sich, wenn man sich mit dem Thema nicht gut auskennt, auch sehr leicht blenden lässt. Ich finde es immer schade, dass über diese Menschen gesprochen wird und nicht mit ihnen. Es geht darum, dass man denjenigen, denen sämtliche Privilegien durch strukturelle Diskriminierung genommen werden, eine Teilhabe ermöglicht. Ich wünsche mir, dass man das sachlich einordnet und unter dem Demokratieaspekt betrachtet.

"Ich hoffe, du fällst tot um" ist einer der Kommentare in den sozialen Medien über Frau van Leuven gewesen. Wie groß ist das Problem Social Media in dem Zusammenhang?

Transfeindlichkeit oder Queerfeindlichkeit ist in Deutschland insgesamt stark angestiegen. Und das spiegelt sich natürlich auch in den sozialen Medien wider. Wenn Menschen aufgrund ihres Seins angegriffen werden, ob nun körperlich oder verbal, dann haben wir genauso ein großes Problem mit Queerfeindlichkeit wie mit Rassismus und mit Antisemitismus.

"Wir brauchen die Solidarität der Mehrheitsgesellschaft, die hier ganz klar sagt, dass Transfeindlichkeit nicht toleriert wird."

Julia Monro

Was kann helfen? Mehr Aufklärung?

Definitiv. Und gerade diejenigen, die Verantwortung tragen, müssen eine klare Haltung zeigen und eingreifen. Es kann nicht sein, dass Minderheiten immer von unten nach oben kämpfen. Es braucht die Unterstützung, die Solidarität von oben, verbunden mit einer Null-Toleranz-Politik. Wir trans Menschen machen 0,6 Prozent der Gesellschaft aus. Und das sind einfach viel zu wenige Menschen, die für sich selbst kämpfen und für sich selbst stehen können.

Wir brauchen die Solidarität der Mehrheitsgesellschaft, die hier ganz klar sagt, dass Transfeindlichkeit nicht toleriert wird. Man merkt, dass ein Prozess in Gang gesetzt wurde, der zu mehr Aufklärung führt, und je mehr das stattfindet, desto mehr Menschen gibt es, die sich zusammentun, um dagegen anzukämpfen. Ein Zitat von Gustav Heinemann ist für mich ein Leitbild der Demokratie: "Man erkennt den Wert einer Gesellschaft daran, wie sie mit den schwächsten ihrer Glieder verfährt."

Über den biologischen Vorteil von Männern

Die frühere Darts-Weltranglistenerste und jetzige Sportpsychologin Linda Duffy hat in ihrer Doktorarbeit geschrieben, dass Männer tatsächlich biologisch im Vorteil seien. Später führte sie aus, dass das Thema komplex sei. Wie komplex ist es denn?

Ich glaube einfach, dass die Gesellschaft dazu neigt, den Menschen normieren zu wollen und dabei verkennt, dass Menschen unterschiedlich gewachsen sind. Es gibt eine Vielfalt auf dem Planeten und dort haargenau ausdifferenzieren und irgendwelche Unfairness ableiten zu wollen, halte ich für den falschen Ansatz. Ich würde mir wünschen, dass wir anerkennen, dass Frauen vielfältig sind und dass sie deshalb mit unterschiedlichen Voraussetzungen starten.

Aber jemand, der vorher durch die Pubertät gegangen ist, der hat dann aber automatisch in gewissen Sportarten Vorteile, das ist ja eigentlich nicht von der Hand zu weisen.

Man muss differenzieren, um welche Sportart es geht. Geht es um Kraftsport, geht es um Ausdauersport oder geht es um Schach? Dann müssen wir schauen, ob es um eine Einzeldisziplin oder eine Mannschaftssportart geht. Das Problem ist auch: Wir haben noch keine genauen Studien darüber. Es gibt viel zu wenig trans Personen, die überhaupt Sport machen. Dann gibt es noch weniger, die im Leistungssport aktiv sind. So gibt es kaum Möglichkeiten, Auswirkungen in Studien zu erforschen. Und daher kann man es gar nicht genau sagen, ob es wirklich Vorteile gibt. Ich kann von anderen trans Frauen berichten, die massive Leistungsverluste hinnehmen müssen durch eine Hormontherapie, dass sie oftmals eine Gewichtszunahme erleben. Sie müssen mit weniger Muskelmasse mehr Körpergewicht bewegen, und das sehe ich nicht als Vorteil. Diese Perspektive wird oftmals einfach nicht berücksichtigt.

Eine ganz neue IOC-Studie widerspricht nun der Kritik, dass trans Frauen generell Vorteile hätten, teilweise hätten sie sogar Nachteile, so das Ergebnis. Wie bewerten Sie die Studie, auch angesichts der Einschränkungen wie zum Beispiel der Stichprobengröße von 75 Teilnehmenden?

In der Studie spiegelt sich ja wider, dass diese pauschalen Vorurteile nicht der Lebenswirklichkeit entsprechen und die Erfahrungen, die ich bisher aus der sporttreibenden trans Community mitbekommen habe, finden sich darin wieder. Aber dass hier lediglich eine Querschnittsstudie aus unterschiedlichen Sportarten mit ein paar Stichproben möglich war, zeigt ja auch, wie schwierig dieses Themenfeld überhaupt zu erforschen ist. Man muss genügend Personen aus einer jeweiligen Sportart finden, diese müssen ihre Werte sowohl vor als auch nach der Hormontherapie erfassen, um sie dann mit einer Referenzgruppe zu vergleichen. Diese Referenzgruppe sollte dann auch noch annähernd gleichaltrig sein, ähnliche Körpergröße besitzen, ähnlich häufig trainieren und den Sport seit genau so vielen Jahren betreiben. An dieser Aufzählung erkennt man ja schon, wie viele Kriterien es gibt, um eine Studie auf eine valide Datenbasis zu stellen. Diese Studie sollte uns aber auf jeden Fall als ein erstes Warnsignal dienen, dass Pauschalausschlüsse nicht die Lösung für so ein hochkomplexes Thema sein können.

Uneinheitliches Umgehen mit trans Menschen im Sport

Die Verbände sollen selbst entscheiden, wie sie damit umgehen, hat das IOC festgelegt. Ist das der richtige Weg?

Ich würde mir eine Koordinierungsstelle wünschen. Das wäre in Deutschland beispielsweise der Deutsche Olympische Sportbund, der eine Koordinierungsstelle schafft und diese Prozesse innerhalb der eigenen Verbände mit begleitet. Vielleicht schafft man es tatsächlich, Studien anzustoßen. Viele sagen mir zwar, dass es nicht relevant sei, denn es seien zu wenige trans Menschen, für die das gebraucht wird. Aber da ich selber schon ähnliche Prozesse begleitet habe, bin ich mir sehr sicher, dass das eine Vollzeitstelle ausfüllen würde.

Der Welt-Schwimmverband FINA hat entschieden, dass trans Frauen bei internationalen Wettbewerben nur in der Frauen-Klasse starten dürfen, wenn die Geschlechtsangleichung bis zum zwölften Lebensjahr abgeschlossen ist. Die International Rugby League (IRL) hat alle trans Athletinnen und Athleten von internationalen Frauen-Wettbewerben ausgeschlossen. Beim DFB können trans und intergeschlechtliche sowie nicht-binäre Menschen im Amateurbereich selbst entscheiden, ob sie in einem Frauen- oder einem Männerteam spielen. Wie groß ist das Chaos, zu dem das führt?

Dadurch, dass jeder Verband jetzt macht, was er will, entsteht eine Art Wildwuchs und ich weiß nicht, ob das der Sache gerecht wird. Im Fußball gab es in jedem Landesverband mindestens eine trans Person und die Verbände standen vor der Herausforderung, wie man damit umgeht. Deshalb haben wir in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) die Spielordnung entwickelt. Die Verbände haben jetzt jeweils eine Vertrauensperson eingerichtet, an die man sich wenden kann und die diesen Prozess entsprechend begleitet. So ähnlich würde ich mir die Vorgehensweise bei anderen Verbänden auch wünschen. Aber wenn jeder Verband macht, was er will - die einen sind dabei progressiv, die anderen ausschließend diskriminierend - kann das nicht die Lösung sein.

Gesonderte Kategorie ist keine Lösung

Beim Schwimmen sollte beim Weltcup in Berlin die eigene Klasse eingeführt werden. Angemeldet hat sich niemand. Was ist das für ein Zeichen?

Genauso wie man keine dritte Kategorie bei den Toiletten haben möchte, möchte man das auch im Sport nicht. Man kämpft um Teilhabe und das, was dort gemacht wurde, ist eine Absonderung von der Normalität, eine Ausgrenzung. Es wundert mich überhaupt nicht, dass sich da niemand angemeldet hat. Es geht doch darum, dass man inkludiert wird und nicht in einer Sonderkategorie irgendwelche Sonderbehandlungen bekommt. Wir wollen am normalen gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Eine Zusatzkategorie aufzumachen, ist nicht zielführend.

Lia Thomas, die von Schwimm-Wettbewerben ausgeschlossen wurde, zieht vor den CAS. Was erhoffen Sie sich konkret von dem Verfahren?

Das finde ich sehr stark. Ich wünsche ihr auf jeden Fall viel Kraft, dass sie das durchhält. Wir haben gesehen, wie lange Caster Semenya schon vor diversen Gerichten kämpft. Ich hoffe, dass es zu einer weltweiten Regelung kommt, die nicht diskriminierend ist.

Wo gibt es noch eigene "Klassen" für trans Menschen?

Die gibt es im Leistungssport meines Wissens nach nicht. Ich weiß, dass es verschiedene Verbände gibt, die dafür gesorgt haben, dass trans Personen besser am Sport teilnehmen können. Der DFB zum Beispiel, oder auch der Deutsche Hockey-Bund. Es gibt auch einen queeren Sportverein in Deutschland, das ist der SC Janus in Köln. Da werden zum Beispiel Turniere organisiert, an denen Menschen jeglicher Couleur, jeglicher Geschlechtsidentität, jeglicher sexueller Orientierung, gemeinsam gegeneinander spielen. Auf der einen Seite finde ich es schade, dass es solche Parallelstrukturen braucht, auf der anderen Seite bieten sie aber auch einen Safe Space für Minderheiten, die woanders keinen Platz finden.

Wo spielen trans Frauen wie im Darts in der Frauenklasse und wo gibt es wie auch dort Kritik?

Es gab bei den letzten Olympischen Spielen eine neuseeländische Gewichtheberin, die am Wettbewerb teilgenommen hat. Im Vorfeld haben unzählige Proteste stattgefunden, sie dürfe nicht bei den Frauen antreten, weil sie die männliche Pubertät durchlaufen habe und deshalb angeblich stärker sei. Obwohl sie sämtliche Vorgaben des IOC bezüglich der Hormongrenzen eingehalten hat, begann in den Medien und in rechtskonservativen Kreisen eine Hetzjagd gegen sie. Als der Wettkampf schließlich anfing, sah man nichts von den befürchteten körperlichen Vorteilen. Sie ist in der ersten Runde bereits ausgeschieden. Kaum jemand berichtet darüber. Hätte sie den Wettbewerb gewonnen, würde jede zweite Schlagzeile das Wort "unfair" beinhalten. Deshalb sollten wir dringend auf unsere Diskussionskultur achten und sachlich bleiben.

Sie hatten auf Strahlkraft durch die DFB-Entscheidung gehofft. Wie lautet ihr aktuelles Fazit?

Diese Spielordnung wird immer wieder in verschiedenen Kontexten aufgegriffen und es wird darauf hingewiesen, dass es diese Spielordnung gibt. In der Zwischenzeit sind weitere Sportverbände auf mich zugekommen und wollen ähnliche Regelungen schaffen. Aber so lange es nichts Offizielles gibt, bitte ich um Verständnis, dass ich noch nicht darüber sprechen möchte. Ich freue mich also, dass es Bewegung gibt. Die Strahlkraft ist schon da. Aber ich würde mir schon noch ein bisschen mehr Strahlung wünschen.

Über die Gesprächspartnerin

  • Julia Monro wurde 1981 in Andernach am Rhein geboren. Nach zwei technischen Berufsausbildungen studierte sie Theologie in Bonn. Nach ihrem Outing ist sie unter anderem als Aktivistin, Autorin, Beraterin und Speakerin tätig, dazu auch im Lesben- und Schwulenverband als Vorstandsmitglied für den Bereich Sport zuständig.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.