Die deutsche U21-Nationalmannschaft hat zum zweiten Mal in Folge das Finale der EM-Endrunde erreicht. Die Mannschaft von Stefan Kuntz hat sich die Chance auf die Titelverteidigung verdient - weil es auf allen Ebenen einfach passt.

Eine Analyse

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Mit so genannten Hitzeschlachten kennen sich deutsche Nationalmannschaft nicht nur bestens aus, sie laufen dann offenbar stets zur Höchstform auf. Legendär sind die Partien der A-Nationalmannschaft in den Glutöfen von Leon und Mexiko-Stadt bei den Weltmeisterschaften 1970 und 1986 mit den historischen Siegen gegen England, Italien, Mexiko und Frankreich.

Oder dazwischen das sagenhafte Halbfinale von Sevilla gegen Frankreich 1982. Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius hieß es da zu trotzen - dagegen nahmen sich die rund 40 Grad im Stadio Renato Dall‘Ara von Bologna fast schon angenehm aus.

Das Halbfinale der deutschen U21 gegen Rumänien wurde im Backofen wenig überraschend zu einer schweißtreibenden Angelegenheit, der 4:2-Sieg am Ende hart erkämpft.

Stefan Kuntz vertraut auf Stammformation

Deutschland steht damit zum zweiten Mal in Folge im Finale und hat tatsächlich die Chance, seinen vor zwei Jahren errungenen Titel zu verteidigen. Damit war im Vorfeld nicht unbedingt zu rechnen, Trainer Stefan Kuntz ist es aber erneut gelungen, trotz des Verzichts auf spielberechtigte Hochkaräter wie Leroy Sane, Kai Havertz oder Julian Brandt nicht nur eine prominent besetzte Truppe zusammenzustellen, sondern innerhalb der Gruppe auch einen Geist zu entwickeln, der Großes entstehen lässt.

Es gibt aber noch ein paar Gründe mehr für den erneuten Höhenflug der wichtigsten deutschen Männer-Mannschaft nach der A-Nationalmannschaft.

Die Tiefe im Kader:

Kuntz hat sich früh darauf festgelegt, im Gros auf die Spieler zu vertrauen, die auch in der Qualifikationsphase so erfolgreich waren. Sprich: Ohne die längst zu Joachim Löw abgestellten Spieler.

Ausnahmen bilden Kapitän Jonathan Tah und Lukas Klostermann. Mit Cedric Teuchert ließ Kuntz dazu den besten Torschützen der Qualifikation zu Hause, der Trainer wollte im Angriff einen anderen Typ Spieler haben als den Schalker.

Kuntz gönnt sich den Luxus, bisher auf eine eindeutige Stammformation zu vertrauen. Abgesehen von kleinerer Korrekturen starten stets dieselben neun oder zehn Feldspieler - und muss der Coach dann doch mal rotieren, schlagen die Ergänzungsspieler voll ein.

Den Augsburger Marco Richter hatte wohl kaum einer auf dem Zettel, Richter rutschte dann nur wegen Nadiem Amiris Verletzung in die Mannschaft - und schoss Deutschland in den ersten beiden Spielen fast im Alleingang zu zwei souveränen Siegen.

Keine Leistungseinbrüche nach Einwechslungen

Die Kadertiefe ist beeindruckend, auch nach Wechseln innerhalb der Spiele gibt es keine Qualitäts- oder Leistungseinbrüche. Die Positionen von der Nummer eins bis zur Nummer 15 sind in ihrer Leistungsdichte sehr eng beieinander, Ausfälle wie der von Amiri oder jüngst der von Benjamin Henrichs werden so fast perfekt aufgefangen.

Die Shooting Stars und Sternchen:

Um Richter ist es ein wenig stiller geworden, dafür ballert Luca Waldschmidt weiterhin fast nach Belieben. Der Freiburger entschied auch das Spiel gegen Rumänien und steht jetzt schon bei sieben Turniertoren in nur vier Spielen. Damit hat er den deutschen Uralt-Rekord von Pierre Littbarski gebrochen (sechs Tore) und den von Schwedens Marcus Berg eingestellt.

Neben Richter und Waldschmidt hat sich nun auch Amiri mit einem Doppelpack eindrucksvoll im Turnier angemeldet. Mo Dahoud, der im Klub noch immer auf den ganz großen Durchbruch wartet, spielt eine starke EM, Tah seinen Part ruhig, aber eben auch absolut zuverlässig und souverän.

Und Torhüter Alexander Nübel hatte zwar auch den einen oder anderen schwächeren Moment, rettete die Mannschaft gegen Österreich und Rumänien mit Weltklasseparaden auch schon vor möglichen Niederlagen.

Der Trainer und sein Näschen:

Kuntz ist keiner der derzeit in der Bundesliga besonders angesagten Wissenschaftler als Trainer. Als ehemaliger Spieler verfolgt er einen anderen Ansatz, ist dabei aber schlau genug, sich mit den richtigen Mitstreitern zu umgeben und Dinge auch gut zu delegieren. Kuntz mag kein taktisches Mastermind sein, aber er hat offenbar ein untrügliches Gespür dafür, was diese Mannschaft in bestimmten Momenten braucht.

Kuntz vertraut auch mal auf "so ein Bauchgefühl"

Das erinnert ein wenig an Jürgen Klinsmann bei der A-Nationalmannschaft oder an Horst Hrubesch bei der U21. Auch der war eher Vaterfigur als Technokrat, ein Spielerversteher mit einer natürlichen Aura und Autorität. Das scheint auch bei Kuntz so, zumindest vermitteln die Spieler diesen Eindruck. Und der Trainer beweist ein überragendes Händchen bei seinen Personalentscheidungen: Richter war ein Glücksgriff, Florian Neuhaus für den im ersten Spiel noch nominierten Arne Maier ebenfalls.

Gegen Rumänien hatte Kuntz dann "so ein Bauchgefühl", wie er im "ZDF" verriet - und setzte Richter auf die Bank und stattdessen Amiri als Angreifer in die Startelf. Der bedankte sich mit zwei Toren.

Die Taktik und das Drumherum:

Deutschland spielt in einem sehr offensiv ausgerichteten 4-3-3 mit viel Dampf über die Außen und Angreifern, die schwer zu greifen sind. Die Idee, auf einen Keilstürmer zu verzichten und stattdessen Waldschmidt in einer Art Max-Kruse-Rolle als Freigeist aufzubieten, geht komplett auf.

Das hat auch ein paar Schwächen, vier Elfmeterpfiffe und entsprechend dann auch Gegentore in vier Spielen sind kein Zufall und ebenfalls ein neuer Rekord. In der Defensive gibt es durchaus das eine oder andere Problem, aber bei 14 Toren in vier Spielen fängt die Offensive die Probleme bisher sehr gut auf.

Die Chemie in der Mannschaft stimmt

Bis zur Partie gegen die Rumänen waren die deutschen Offensiv-Standards ein weiteres Ärgernis - bis die Mannschaft in einer Halbzeit dann drei Tore nach einem ruhenden Ball folgen ließ und diese Debatten erstickte.

Nicht erst die Siege und die Aussicht auf den großen Wurf beim Finale gegen Spanien sorgen für einen perfekten Mix aus Anspannung und Lockerheit innerhalb der Mannschaft.

Die Chemie untereinander stimmt - was durchaus ein bisschen erstaunlich ist: Die 23 Spieler im Kader rekrutieren sich aus 18 verschiedenen Klubs. Es gibt keine Blockbildung auf dem Platz und keine Grüppchenbildung abseits des Platzes. Aus der Bundesliga stellen übrigens nur drei Klubs keinen Spieler im Kader: Fortuna Düsseldorf, Eintracht Frankfurt - und der große FC Bayern.

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