Klub-Legende Xavi sollte beim FC Barcelona als Trainer eine Ära prägen. Im Sommer wird der 44-Jähre sein Amt aber bereits niederlegen - und die Medien sind daran nicht ganz unschuldig.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Daniel Kugler sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Im Oktober 2021 übernahm Xavi den Trainerposten beim FC Barcelona, nachdem er zuvor Al-Sadd in Katar trainiert hatte. Unter der Führung der Klub-Ikone sollte eine Ära anbrechen, die dem seit Jahren von finanziellen Problemen arg gebeutelten Schwergewicht des europäischen Fußballs wieder zu altem Glanz verhelfen sollte.

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Mit dem Gewinn der Supercopa de España Anfang 2023 gegen Erzrivale Real Madrid und nur wenige Monate darauf mit der ersten Meisterschaft in La Liga seit der Saison 2018/19 sollte die neue Zeitrechnung verheißungsvoll beginnen. Die Weichen waren gestellt für den Weg in die Zukunft und zurück an die Spitze.

Keine zweieinhalb Jahre später dann der große Schock. Unmittelbar nach der 3:5-Heimniederlage gegen den FC Villarreal ließ Xavi vor den anwesenden Medienvertretern die Bombe platzen: "Ich möchte bekannt geben, dass ich ab dem 30. Juni nicht mehr Trainer des Klubs sein werde. Wir haben darüber geredet. Ich glaube, dass diese Situation einen Kurswechsel verdient, und als Culer (Spitzname für Barcelona-Anhänger, culer spanisch für Hintern, Anm.d.Red.) kann ich nicht zulassen, dass es so weitergeht. Die Entscheidung wurde vor ein paar Tagen getroffen. Nach diesem Ergebnis zu urteilen, glaube ich, dass es der richtige Moment ist, dies zu verkünden."

Der Schritt erfolge für den Coach nach reichlicher Überlegung, wäre mittlerweile aber unausweichlich.

Xavi sieht fehlende Wertschätzung für seine Arbeit in den spanischen Medien

Bei seiner Abschiedsankündigung deutete Xavi nicht mit dem Finger auf Präsident Joan Laporta. Vielmehr betonte der Welt- und zweimalige Europameister, dass dieser ein guter Präsident für den Klub sei und dass er intern von ihm stets die nötige Unterstützung gespürt habe: "Ich habe mich vom Vorstand immer wertgeschätzt gefühlt. Ich sage das mit der Hand auf meinem Herzen."

Danach wurde das einstige Eigengewächs der Katalanen aber deutlich. Die mangelnde Wertschätzung seiner Arbeit liege nicht am Verein selbst, sondern an dessen Umfeld. "Das Gefühl, Barça-Trainer zu sein, ist unangenehm, es ist grausam. Man hat oft das Gefühl, respektlos behandelt zu werden, dass die eigene Arbeit nicht wertgeschätzt wird", konstatierte der sichtlich verletzte frühere Mittelfeldlenker.

Eine verbale Breitseite in Richtung der spanischen Medien, die die Legende der "Blaugrana", die nach 22 Spieltagen mit acht Punkten Rückstand auf Tabellenführer FC Girona nur auf Platz drei der Liga stehen, seit Monaten regelrecht demontieren. Von rein sportlicher Kritik konnte längst keine Rede mehr sein. Vielmehr wurde der ehemalige Weltstar auf Wochenbasis von den nationalen Gazetten im wahrsten Sinne des Wortes vorgeführt. Es wirkte zeitweise, als liefe seit Monaten eine mediale Hetzjagd gegen den Barcelona-Trainer.

Sich diesem Dauerfeuer gegen seine Person auszusetzen, hätte viel Kraft gekostet und wäre längst nicht mehr gesund gewesen. "Das ist eine schreckliche Belastung für die geistige Gesundheit und die Stimmung. Ich bin ein positiver Typ, aber wenn die Energie immer weniger und weniger und weniger wird, kommt der Punkt, wo du dir sagst, es macht keinen Sinn mehr."

Damit sei nun Schluss. Und dem Trainer fiel mit der Verkündung seines Abschieds offenbar ein gewaltiger Stein vom Herzen. "Xavi hat heute Nacht so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr", wird eine ihm nahestehende Personen vom gut informierten Medium "The Athletic" zitiert.

Das toxische Umfeld hätte nicht nur ihm persönlich den Wind aus den Segeln genommen, sondern mittlerweile auch seine Angehörigen eingeholt. "In den letzten Wochen konnte man sehen, dass es ihm nicht gut ging", wird eine anonyme Quelle aus dem Vereinsumfeld zitiert. "Er hatte keinen Spaß mehr an seiner Arbeit und war besonders betroffen von der Tatsache, dass der ganze Druck nicht nur auf ihm lastete, sondern auch auf seiner Familie."

Barcelona hat sich Probleme mit jahrelanger Misswirtschaft selbst geschaffen

Dass es überhaupt so weit kommen musste, ist schlimm genug. Zu rosig waren die Vorzeichen, dass einer der prägendsten Spieler der jüngeren Vergangenheit nun das Geschick seiner sportlichen Liebe von der Seitenlinie lenkt. Allein kann es aber auch der Trainer nicht richten. Die Gründe für die Talfahrt der Katalanen sind vielschichtig - und liegen längst nicht nur am Trainer.

Blickt man auf den aktuellen Kader, betrachtet die Transfers der letzten Jahre und vergleicht dies mit den länger zurückliegenden glorreichen Jahren, wird schnell deutlich, dass auch ein Xavi kein Wunderheiler sein kann. Seit Jahren hat der Klub unter der krassen Misswirtschaft des Managements unter der Führung der Laporta-Vorgänger zu kämpfen. Die kostspieligen Megatransfers jenseits der Schallmauer von 100 Millionen Euro Ablöse für Antoine Griezmann oder Philippe Coutinho belasten den Klub noch immer.

Und dies führte unweigerlich zu den strikten Sanktionen durch den Ligaverband, der entsprechend die Gehaltsobergrenze in den vergangenen Jahren immer wieder massiv herabgesetzt und die Verantwortlichen zum Verkauf von Stars sowie weiteren Maßnahmen zur Kostenreduzierung gezwungen hat, um überhaupt weitermachen zu dürfen.

Entsprechend ist die aktuelle Rückbesinnung und stärkere Förderung der eigenen Jugend aus der sagenumwobenen Talentschmiede La Masia zwar vollkommen richtig, dieser Schritt war aber eben auch die einzige Hoffnung. Denn die ganz teuren Neuverpflichtungen waren und sind seit einigen Jahren nicht möglich. Entsprechend müssen die Katalanen zwangsläufig eigene Nachwuchsstars wie Lamine Yamal früh in der ersten Mannschaft einbauen.

Den ganz großen Sprung kann man von den Youngstern aber nicht über Nacht erwarten. Das wissen Xavi, der selbst viermal die Champions League gewonnen hat, und die Klub-Führung. Aber den Medien war die Entwicklung augenscheinlich wohl nicht genug. Die Anschuldigungen entbehren jedoch jeglicher Grundlage, denn mit den derzeit zur Verfügung stehenden Mitteln wird Barcelona es nicht zurück an Europas Spitze schaffen.

Barcelona will zurück an Europas Spitze: Ohne Star-Transfers ist es fast unmöglich

Ohne frisches Blut von außen und hochkarätige Transfers kann "Barça" nicht mit den internationalen Top-Klubs mithalten - weder heute, noch hätte es das früher gekonnt.

Denn auch in den goldenen Zeiten, als Eigengewächse wie eben Xavi, Andrés Iniesta, Carles Puyol oder Lionel Messi eine Erfolgsachse bildeten, brauchte es über die Jahre immer wieder teure, aber für den Erfolg des Teams essenzielle externe Verstärkungen: Samuel Eto'o, Dani Alves, Cesc Fàbregas, Neymar, Luis Suárez – man könnte diese Liste allein zwischen 2005 und 2015 problemlos ausbauen.

Ohne diese Star-Neuzugänge wäre die Mannschaft nicht zu diesem begeisternden und dominanten Team geworden, welches über Jahre um alle Titel mitspielte und den Trophäenschrank reichlich füllte. Dies hat man im chronisch erfolgsverwöhnten Barcelona aber schnell vergessen und verliert dadurch aktuell die Realität aus den Augen.

Weder national noch international sind die Katalanen derzeit mehr das Maß aller Dinge. Während die Beletage des europäischen Fußballs um die Madrilenen, Manchester City oder den FC Bayern München munter personell aufrüstet, muss das katalanische Umfeld einfach realistisch sein. Man muss endlich anerkennen, dass mit den aktuell zur Verfügung stehenden Mitteln eben keine gewaltigen Sprünge möglich sind und die Konkurrenz immer weiter enteilt.

Xavi für diese offensichtlich weit über den Trainer hinausgehenden Probleme medial verantwortlich zu machen und die eigene Legende nun zum Schlussstrich zu zwingen, ist traurig, aber eben auch bezeichnend.

Hier siegt die Vernunft über das Herz, da Xavi andeutete, immer weiter auszubrennen. Er macht schweren Herzens alles richtig, aber den Schritt überhaupt unternehmen zu müssen und dafür gewiss wieder Kritik einstecken zu müssen, passt zum turbulenten Vereinsumfeld, das die Zeichen der Zeit verkennt.

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