Nach den Fan-Ausschreitungen beim Heimspiel von Eintracht Frankfurt meldet die Polizei über einhundert Verletzte. Noch immer streiten sich beide Seiten über die Schuldfrage – und eskalieren weiter.

Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Pit Gottschalk dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Wenn ich – privat – ins Fußballstadion gehe, möchte ich zuallererst eines: guten Fußball sehen. Es spricht natürlich nichts dagegen, seine Freude über gelungene Spielzüge zu teilen und hörbar kundzutun. Oder im Gegenteil: seinen Ärger über eine verkümmerte Spielweise lautstark und sogar im Chor auszudrücken. Aber Fußball stand und steht immer im Mittelpunkt meines Stadionbesuchs.

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Was ich nicht brauche: Häme gegen den Gegner, Pyrotechnik aus dem Block, Schlägereien mit der Polizei, politische Parolen in Bannergröße, willkürlicher Singsang wie bei den Fischer-Chören. Denn das alles hat wenig mit dem zu tun, was auf dem Rasen passiert. Schlimmer noch: In vielen Fällen stören Aktionen das Spiel und machen unseren Fußball kaputt. Zu vielen Ultra-Fans ist das egal.

Die Strafgelder, die der DFB einfordert, zahlt ihr Verein stillschweigend. Das führt zur absurden Situation, dass ausgerechnet diejenigen Fans, die sich selbst als die einzig wahren Fans verstehen und definieren und Unterstützung versprechen, ihrem Verein finanziell schaden. Die Klubs haben das Fehlverhalten dieser sogenannten Fans längst eingepreist und Strafgelder im Budget berücksichtigt.

Stattdessen führen wir Diskussionen, ob die Schutzmaßnahmen der Polizei zu offensiv, womöglich provokant oder sogar Auslöser für Auseinandersetzungen sind. Sowas kann in Einzelfällen tatsächlich vorkommen. In aller Regel ist die Täter-Opfer-Umkehr aber unangebracht, weil die Polizei ganz grundsätzlich eben nicht auf Krawall aus ist. Wer das glaubt, trägt ein schiefes Weltbild in sich.

Über 100 Verletzte beim Spiel zwischen Frankfurt und Stuttgart

Meistens passiert genau das Gegenteil: Die Polizei schaut zu häufig zu, wie das Stadion zu einem rechtsfreien Raum verkommt, weil jedes Einschreiten – zum Beispiel gegen Pyrotechnik – zu einer Eskalation der Situation auf den Rängen führen könnte. Schadensbegrenzung nennt man das. Taktisch ist das Verhalten klug. Leider führt Zurückhaltung nicht zur Selbstreflexion auf der Gegenseite.

Zuletzt bei Eintracht Frankfurt. Nach dem Heimspiel gegen VfB Stuttgart (1:2) zählte die Polizei in Summe über 100 verletzte Personen: 59 Ordner und 57 Beamte, wie "Bild" schreibt: "Es geht um Hämatome, Stauchungen, Prellungen, Augen- und Atemwegsreizungen bis hin zu einem Sehnenabriss und mindestens eine Fraktur." Acht Polizisten mussten ins Krankenhaus.

Die Frankfurter Fanhilfe "13. Mann" sah das Problem nicht in der Randale, die Fans auf der Tribüne bei einer Personenkontrolle ausgelöst hatten, sondern beim "unverhältnismäßigen Polizei-Einsatz". So geht das jetzt seit Jahren: Die eine Seite beschuldigt die andere, Ursache des gemeinsamen Problems zu sein. Verein und Verband halten die Füße still. Oder tun nur was, wenn's nicht anders geht.

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Kollektivstrafen lehnt der DFB ab

Die Untätigkeit beruhigt nicht, sondern schafft Unsicherheit. Noch ein Beispiel: Die Fanhilfe fordert nach den Fan-Ausschreitungen bei Eintracht Frankfurt das Verbot von Pfefferspray, wenn die Polizei im Stadion tätig wird – und schiebt die Schuldfrage damit weit von sich. Das ist ungefähr so, als ob man der Radarfalle die Schuld gibt, wenn man zu schnell mit seinem Auto durch die Fußgängerzone rast.

Kollektivstrafen lehnt der DFB ab, zuletzt vorige Woche: Man möchte keine leeren Stadien bei Geisterspielen, weil sonst auch diejenigen Zuschauer bestraft werden würden, die sich an Recht und Gesetz halten. Also muss die Polizei aus der Masse vermummter Fans diejenigen rausfischen, denen man konkret eine Straftat nachweisen kann. Das ist mühsam und selten zielführend.

Der DFB muss handeln

Aber der DFB darf sich nicht wegducken. Nicht mal aus der gestern Abend veröffentlichten Eintracht-Stellungnahme geht hervor, wie man den Vorfällen konkret begegnen will. Absichtserklärungen gab's in der Vergangenheit genügend – aber nicht mal einen Runden Tisch, der verbindliche Verabredungen produzierte. Das gegenseitige Misstrauen war und ist zu groß. Der DFB muss was tun!

Was alle Beteiligten nämlich vergessen: So geht der Fußball vor die Hunde. Wenn man nicht mehr guten Gewissens zu brisanten Duellen ins Stadion gehen mag (zum Beispiel am Freitag zu FC St. Pauli gegen den Hamburger SV), weil man die Gefahr wittern kann, verliert dieser Sport seine Basis. Es soll sich dann nur niemand wundern, wenn es doch irgendwann Geisterspiele gibt.

Über den Autor:

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