• Die Netflix-Doku "Drive to Survive" ist vor allem in den USA ein Erfolg, aktuell gibt es bereits die vierte Staffel.
  • Es mehrt sich aber die Kritik, dass sich die Macher zu viele künstlerische Freiheiten gönnen.
  • Auch deshalb hat zum Beispiel Weltmeister Max Verstappen bereits im letzten Jahr beschlossen, für die Doku nicht zur Verfügung zu stehen.

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Den wohl wichtigsten Anruf seiner bisherigen Karriere spielte George Russell nach. Für die Netflix-Doku "Drive to Survive" telefonierte er einfach noch einmal mit Mercedes-Teamchef Toto Wolff, der ihm eröffnete, dass er bei den Silberpfeilen die bis dato größte Chance seiner Formel-1-Karriere erhält und Teamkollege von Lewis Hamilton wird. "Netflix ist so wichtig für uns alle in der Formel 1. Letztlich will man den Sport von seiner besten Seite zeigen, und solange es einen positiven Einfluss auf die Formel 1 hat, sehe ich nicht, wo das Problem liegt", sagte Russell. Und das ist die große Frage: Ist das tatsächlich kein Problem?

Die Zuschauer sehen es offenbar nicht so, sie machen die Doku zu einem Erfolg, vor allem in den USA. Sie lechzen nach dem Blick hinter die Kulissen, der ihnen als normaler Fan lange verwehrt wurde. "Die Formel 1 war so lange paranoid, keine Geheimnisse preiszugeben, dass es nun eine ganz faszinierende Geschichte ist, wenn plötzlich der Vorhang gelüftet wird und die Zuschauer einen Blick hinter die Kulisse werfen können", erklärte Red-Bull-Teamchef Christian Horner im "kicker" ein Erfolgsgeheimnis. Für den US-Journalisten Nathan Baugh ist die Kooperation zwischen der Königsklasse und Netflix "die effektivste Content-Kampagne der Geschichte".

"Drive to Survive": Ein bisschen zu viel Drama?

Eine wichtige Zutat ist natürlich die Dramaturgie. Und auch da greifen die Macher oft in die Trickkiste. Rivalitäten werden extrem überspitzt dargestellt. Funksprüche werden aus dem Kontext gerissen und für andere Szenen genutzt. Wie in der aktuellen vierten Staffel, in der das Verhältnis zwischen den McLaren-Teamkollegen Daniel Ricciardo und Lando Norris an der Wahrheit vorbei dokumentiert worden sein soll.

"Das sind zwei tolle Typen, aber sie haben Lando wie einen kleinen Arsch aussehen lassen, was er aber überhaupt nicht ist", sagte Weltmeister Max Verstappen. Der Niederländer hatte bereits im vergangenen Jahr verkündet, für die Serie nicht zur Verfügung zu stehen. Er fühlt sich bestätigt, denn Norris sei ein toller Kerl, sagte Verstappen: "Und wenn man sich die Folge anschaut, denkt man: 'Was ist mit dem?' Man bekommt einen falschen Eindruck, und genau das ist mir am Anfang passiert."

Formel 1 boomt in den USA

Die Vorteile, mehr Popularität zu erreichen und neue Zielgruppen zu erschließen, liegen auf der Hand, und in den USA erlebt die Formel 1 tatsächlich einen neuen Boom. Eine Folge: 2023 werden insgesamt drei Rennen dort austragen. "Aber für mich hat man jetzt einen Punkt erreicht, wo es mehr 'Keeping up with the Formula 1 World' ist", spielt Verstappen auf die Reality-Serie "Keeping up with the Kardashians" an.

Und merkt an, dass er trotz seines "Boykotts" in der neuen Staffel immer wieder zu hören ist. "Das waren wohl Sachen von 2018, die sie noch einmal verwendet haben. Allein das ist schon nicht richtig", stellte er klar. "Ich konnte hören, dass meine Stimme ein wenig anders ist."

Auch Mick Schumacher geht auf den Zwiespalt zwischen Mega-Erfolg und Fake-Vorwürfen ein. "Die ersten Staffeln sind interessant und dramatisch. Das bringt viele Leute zum Sport", sagte der 23-Jährige. Jetzt sei es aber der Zeitpunkt gekommen, bei einigen Dingen "akkurater" zu werden und "einige Kommentare oder Funksprüche nicht zu vermischen, sondern sie so zu zeigen, wie sie tatsächlich waren".

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Formel 1 will vermitteln

Und wie reagiert die Formel 1? Sie will vermitteln. Serienchef Stefano Domenicali weiß natürlich, wie erfolgreich die Doku ist, ihm ist aber auch klar, dass jemand wie Verstappen unverzichtbar ist. "Um das Interesse eines neuen Publikums zu entfachen, wurde ein Ton eingesetzt, der sich womöglich darauf konzentriert hat, die Story etwas zu dramatisieren", sagte Domenicali bei motorsport.com: "Das ist eine Chance, aber man muss das richtig verstehen."

Zuletzt gab es deshalb Gespräche mit den Teams, mit Netflix will man aber auch reden, "denn es ist notwendig, dass die Story sich nicht von der Realität entfernt. Sonst passt es nicht mehr", so Domenicali. Man werde das gemeinsam mit den Fahrern angehen, kündigte er an, dass ein Projekt mit so positiver Traktion eine Sprache spreche, "die weiterhin begeistert, aber ohne das Image unseres Sports zu beschädigen".

Verwendete Quellen:

  • Pressekonferenzen, kicker-Sonderheft
  • motorsport.com: "Sehr amerikanisch", "sehr fake": Formel 1 reagiert auf Kritik an Netflix
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