• Corona-Ausbrüche an Schulen haben ein Höchstniveau erreicht.
  • Für Familien bedeutet das: Sorgen um die Gesundheit, aber auch ein Rattenschwanz an Organisation.
  • Das gilt für infizierte Kinder und Kontaktpersonen wie Sitznachbarn. Quarantäne, Homeschooling und Stress sind die Folgen.

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Es ist eine Situation, vor der sich wahrscheinlich gerade viele Eltern fürchten. Ein Anruf aus der Schule: "Holen Sie bitte Ihren Sohn/Ihre Tochter sofort ab, der Corona-Schnelltest war positiv." Auf den Schnelltest folgt ein PCR-Test. Ist auch der positiv, folgen 14 Tage Quarantäne für das Kind - bei einem hoffentlich milden Verlauf. Corona sei für Kinder ja in der Regel nicht gefährlich, oft symptomfrei oder nur eine Erkältung, ist oft zu hören. Dabei wird übersehen, was ein einziger Fall an Stress und Belastung für Familien - auch die im Umfeld - bedeutet.

Zunächst einmal der Fall, das eigene Kind wird plötzlich positiv getestet: Für die Eltern heißt das zwei Wochen Betreuung zu Hause und für das Kind wieder einmal: keine sozialen Kontakte, kein Vereinssport oder andere Außer-Haus-Freizeitbeschäftigungen.

Gleichzeitig beginnt die Suche nach Kontaktpersonen: Wer hat mit dem betroffenen Jungen oder Mädchen mehr als zehn Minuten bei geringem Abstand ohne Maske verbracht? Ist der- oder diejenige geimpft oder genesen? In vielen Schulen gibt es auch Lüftungsprotokolle, die Aufschluss über mögliche Ansteckungen geben sollen. Enge Kontaktpersonen müssen zunächst ebenfalls in Quarantäne, können sich aber unter Umständen vor Ablauf der 14 Tage freitesten. Es bedeutet aber auch hier: zu Hause bleiben, Homeschooling, erneut abgesagte Fußballtrainings und Kindergeburtstage - wie zu Zeiten des Lockdowns. Nur, dass es diesmal nicht alle auf einmal trifft und die betroffenen Familien sich ganz spontan organisieren müssen.

Schulausbrüche auf "Höchstniveau"

Es sind Umstände, die alle für diesen Herbst/Winter hinter sich zu haben hofften, und nun kommen diese Fälle immer häufiger vor. Bei einer stagnierenden Impfquote von rund 66 Prozent überrascht es nicht, dass die Inzidenzen derzeit wieder steigen. Die Zahl der Corona-Ausbrüche an Schulen hat laut Robert Koch-Institut (RKI) ein "Höchstniveau“ erreicht, während die Zahl der Kita-Ausbrüche "noch deutlich unter dem Niveau der zweiten und dritten Welle" liege. Mit am höchsten ist die Sieben-Tages-Inzidenz bei den Zehn- bis 14-Jährigen.

Gerade für Eltern von unter Zwölfjährigen, für die noch kein Impfstoff zugelassen wurde, stellt sich derzeit wieder einmal nicht nur die Frage "Wie schütze ich mein Kind?", sondern auch "Wie schütze ich die über 80 Jahre alten Großeltern, die eine Booster-Impfung brauchen, aber noch keine haben?". Kinder vorsorglich aus der Schule herauszulassen, geht dabei nicht. Abgesehen von der Frage, ob der Arbeitgeber beim Homeoffice noch mitspielt, ist das eine rechtliche Frage. "In Berlin gilt das als unerlaubtes Fehlen", sagt Norman Heise, Vorsitzender des Landeselternausschusses in Berlin.

Andernorts ist das auch so, etwa in Bayern. Allerdings gilt es dort bald ebenso als Schwänzen, wenn Kinder nicht zum Testen kommen. Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Simone Fleischmann, hat es sehr begrüßt, dass diese Regelung zum November eingeführt wird. "Zumindest hier haben wir nun etwas Sicherheit", sagte sie unserer Redaktion am Telefon.

Balanceakt zwischen Schulstoff und Vorsicht

"Zumindest etwas Sicherheit" ist für Simone Fleischmann gerade wichtig, denn das Plädoyer von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die "epidemische Notlage von nationaler Tragweite" im November auslaufen zu lassen, hat sie und die Kollegen in "Habachtstellung" gebracht, wie sie sagt. "Denn das würde ja bedeuten, dass man von einem auf den anderen Tag keine Tests, keine Masken, keine Hygienemaßnahmen mehr hätte - oder zumindest nicht mehr haben müsste." Mittlerweile hat sich auch die potenzielle Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP auf ein Ende der Notlage verständigt, es soll aber Übergangsregeln für die Zeit danach geben.

Derzeit wird in Bayerns Schulen, wie auch in Berlin, dreimal pro Woche getestet. Schon bei der Maskenpflicht gibt es aber Unterschiede. Dass ein Großteil der Eltern ihre Kinder wegen der steigenden Zahlen lieber vorsorglich zu Hause lassen würde, den Eindruck hat Simone Fleischmann nicht. "Aber es gibt schon auch Eltern, die sagen: Es gab einen positiven Fall und mein Kind soll jetzt zur Schule gehen, nur weil das Gesundheitsamt sagt, es ist nicht Kontaktperson?"

Dann stellt sich aber wieder die Frage: Wie viel versäumt das Kind vom Schulstoff? "In Berlin werden die Kinder, die wegen einer Quarantäne fehlen, von der Schule mit Arbeitsblättern versorgt. Ein Homeschooling wie zum Lockdown parallel zu betreiben, können die meisten Schulen nicht leisten", sagt Elternsprecher Heise. Was die Schulen im Moment offenbar auch nicht leisten können: die Folgen des Lockdowns aufzuarbeiten. "Es wäre so wichtig, mit den Kindern über die Pandemie insgesamt zu sprechen, aber wir kommen überhaupt nicht dazu", sagt Simone Fleischmann.

Kinder kämpfen mit Lockdown-Folgen

Das merkt auch Manuela Heckmann von der Psychologischen Beratungsstelle der Caritas in Mannheim. Zwar hat sie, wie sie uns am Telefon erzählt, eher wenige Anfragen von Eltern, die sich um die Betreuung von Schulkindern zu Hause drehen - zumindest im Vergleich zu den Wellen im Frühjahr und im letzten Winter, wo das Stresslevel in vielen Familien sehr hoch gewesen sei. "Jetzt beraten wir mehr zu den Folgeerscheinungen der Lockdowns. Denn manche Schüler haben große Probleme damit, wieder in die Schule zu gehen: Das sind die Lernlücken, die gestiegenen Anforderungen und vor allem sind es soziale Ängste, mit denen viele Kinder kämpfen."

Die Sozialpädagogin und systemische Therapeutin appelliert hier auch an die Lehrer, aufmerksam zu sein, "zum Beispiel, wenn ein Kind dauernd zu spät kommt oder viele Fehlzeiten hat. Dahinter können soziale Ängste oder sogar eine Depression stecken." Einer, der mit den Folgeerscheinungen ebenfalls viel zu tun hat, ist der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut Michael Schroiff. Zwar sieht auch er, dass die Belastung der Eltern derzeit punktuell wieder zunimmt, trotzdem sieht er es vor allem als ihre Aufgabe an, "den Kindern zu helfen, das zu ertragen", wie er uns am Telefon sagte.

Impfen: Kinder übernehmen meist Haltung der Eltern

Um eine Art "inneres Bild" der Krise zu entwickeln, brauchten Kinder Antworten auf Fragen wie: Wie lange wird das noch dauern? Wozu sind all diese Hygienemaßnahmen gut, die mich so stören, weil ich mit meinen Freunden nicht so spielen kann, wie ich das möchte? "Dieses Bild könnte sich aus folgenden Botschaften formen: Diese Krise ist zwar schlimm, aber bewältigbar. Hygienemaßnahmen sind unangenehm, aber sie helfen, dass weniger Menschen krank werden. Und: Beziehungen überdauern diese Krise - und zwar nicht nur die mit den Eltern, sondern auch mit den Freunden, mit Oma und Opa und anderen nahestehenden Menschen", sagt Schroiff, der auch Vorsitzender des Bundesverbandes seiner Berufsgruppe ist.

Was die unter Zwölfjährigen davon halten, dass sie die einzigen sind, für die es noch keinen zugelassenen Impfstoff gibt, ist aus Schroiffs Sicht schwer zu sagen. "Jugendliche fühlten sich da schon eher ungerecht behandelt, aber die unter Zwölfjährigen übernehmen bei dem Thema eher die Haltung ihrer Eltern, als selbst einen Wunsch nach Impfung zu haben oder sie abzulehnen."

Verwendete Quellen:

  • Telefoninterview mit Norman Heise, dem Vorsitzenden des Landeselternausschusses in Berlin und Ländervertreter für Berlin im Bundeselternrat,
  • Telefoninterview mit der Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Simone Fleischmann,
  • Telefoninterview mit dem Vorsitzenden des Bundesverbandes der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutinnen und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (BKJ), Michael Schroiff, und
  • Telefoninterview mit der Diplomsozialpädagogin und systemischen Therapeutin Manuela Heckmann von der Psychologischen Beratungsstelle der Caritas in Mannheim
  • Wochenbericht des Robert Koch-Instituts vom 21. Oktober 2021

Deutlicher Anstieg der Sieben-Tage-Inzidenz: RKI-Lagebericht vom 27. Oktober

Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche am Mittwochmorgen mit 118,0 an.
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