Mit seinen Agenda-Plänen hat SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz für viel Aufsehen gesorgt. Steuert die Partei nun wirklich nach links, wie es im Moment den Anschein hat? Wir wagen einen Ausblick.

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Die SPD und Martin Schulz. Knapp einen Monat ist der ehemalige Präsident des EU-Parlaments nun Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten - und es läuft besser denn je: Schulz punktet in Umfragen, hat in jüngster Zeit sogar die CDU überholt - und das, obwohl er bisher kaum Inhalte präsentiert hat.

Nun will Schulz entscheidende Reformen an der Agenda 2010 in Angriff nehmen. So soll unter anderem die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I ausgedehnt werden. Dieser Vorstoß brachte ihm erstmals Kritik ein. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) kritisierte beispielsweise, dass Schulz falsche Zahlen in dem "Bild"-Interview genannt hätte. Eine Verlängerung des Arbeitslosengeld-I-Bezugs würde zudem "eine schnelle Wiederaufnahme von Arbeit erschweren".

Doch Schulz verteidigt sein Konzept: "Menschen, die viele Jahrzehnte hart arbeiten und ihre Beiträge gezahlt haben und zahlen, haben ein Recht auf entsprechenden Schutz und Unterstützung, wenn sie - oft unverschuldet - in große Probleme geraten", sagte der 61-Jährige am Montag in Bielefeld bei einer Arbeitnehmerkonferenz seiner Partei.

Soziale Gerechtigkeit als Kernthema im SPD-Wahlkampf

Mit seinen ersten konkreten Wahlkampfthema nähert sich Schulz dem linken Flügel seiner Partei an. Heißt das im Umkehrschluss auch, dass er überwiegend linkslastigen Wahlkampf betreiben wird?

"Das Generalthema des Wahlkampfs von Martin Schulz ist die soziale Gerechtigkeit", sagt Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer von der Fakultät für Politik und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin im Gespräch mit unserer Redaktion. Insofern mache es Sinn, dieses jetzt auch mit konkreten Inhalten zu füllen.

Für den Politologen Werner Patzelt, Professor am Dresdner Institut für Politikwissenschaft, ist es zu früh, über eine mögliche Ausrichtung des Wahlkampfs von Schulz zu spekulieren. "Wir wissen noch nicht, mit welchen Positionen Schulz in den Wahlkampf gehen wird. Wenig mobilisierend dürfte die Aussage sein, man wolle wieder Juniorpartner der CDU werden", sagt Patzelt unserer Redaktion und fügte an: "Also bietet es sich an, klassische SPD-Rhetorik zu betreiben und 'mehr soziale Gerechtigkeit' in Aussicht zu stellen - selbst wenn das der staatspolitisch großen SPD-Leistung der Agenda 2010 zuwiderläuft."

Schulz entstammt ursprünglich dem rechten Parteiflügel der SPD. Mit seiner aktuellen Ausrichtung will er aber vor allem bei den linksabtrünnigen SPD-Anhängern punkten. "Er muss versuchen, Leute zurückzugewinnen, die noch nicht fest bei einer anderen Partei sind oder aus Frust gar nicht gewählt haben", erklärt Niedermayer.

Durch Reformpläne zu Rot-Rot-Grün?

Die Reformpläne des Spitzenkandidaten der SPD könnten aber auch einen anderen Hintergrund haben. Der Plan von Schulz, im September Bundeskanzler zu werden, ließe sich wahrscheinlich am ehesten mit einer Rot-Rot-Grünen Koalition verwirklichen.

Doch diese Haltung birgt Gefahren: "Rot-Rot-Grün ist nicht die vom Wahlvolk bevorzugte Koalition; es gibt z.B. bei der Außenpolitik große Unverträglichkeiten mit der Linken; und ein Lagerwahlkampf würde vor allem der Union nützen", erklärt Patzelt.

Diese Gefahr sieht auch Niedermayer: "Er muss eine Gratwanderung vollziehen. Er muss soziale Gerechtigkeit auch im Sinne des linken Flügels der SPD definieren, darf aber bei den Wählern die Mitte nicht außer Acht lassen und aus den Augen verlieren."

Die SPD scheint jedenfalls geschlossen hinter den Agenda-Plänen ihres Kanzlerkandidaten zu stehen, denn auch vom konservativen Flügel "Seeheimer Kreis" gab es Unterstützung und damit einen Konter auf die Kritik von Arbeitgeber und Wirtschaftsexperten. So sagte Seeheimer-Chef Johannes Kahrs der "Rheinischen Post": Das sind Reparaturmaßnahmen, wo die Agenda 2010 nicht so gewirkt hat, wie wir uns das vorgestellt haben, wo es Fehlentwicklungen und Missbrauch gab."

Kaum Rückschlüsse auf Restwahlkampf möglich

Mit der aktuellen Agenda-Politik schafft es Schulz also, sowohl linkes als auch rechtes Lager der Partei unter einen Hut zu bringen. Doch trotz dieser positiven Nachricht lassen sich noch keine Rückschlüsse auf seinen restlichen Wahlkampf ziehen. "Nachdem nichts Klares über mögliche Pläne von Schulz bekannt ist, lassen sich auch keinerlei Konsequenzen für die SPD abschätzen", sagt Patzelt.

Denn allen Agenda-Plänen zum trotz - in anderen heiklen Punkten hat sich sich Schulz noch nicht offiziell positioniert. Bei den Themen, die die Bevölkerung als wichtig ansehe, wie zum Beispiel Flüchtlingskrise oder innere Sicherheit, werde es ihm deutlich schwerer fallen, die Wähler zu überzeugen, als mit sozialer Gerechtigkeit, ist sich Politikwissenschaftler Niedermayer sicher. "Da wird er dann auch Gegner bekommen".

Was einen möglichen Wahlausgang und damit Koalitionsmöglichkeiten von der Schulz-SPD angeht, so sind für Patzelt noch keine seriösen Prognosen möglich.

Die große Koalition ist für seinen Kollegen Niedermayer eine mögliche Option, allerdings dann nicht mit einem Kanzler Schulz: "Sogar momentan mit dem extrem starken Medienhype um den 'neuen' Mann Martin Schulz liegt die Union in den meisten Umfragen vorne", sagt er.

Erneut verweist Niedermayer auch auf die für den Wahlkampf wichtigen Themen der inneren Sicherheit und der Flüchtlingsfrage. "Man muss jetzt noch einmal zwei, drei Monate abwarten, bis klar ist, wo er bei diesen Themen steht. Erst dann lässt sich abschätzen, ob der Hype tatsächlich bis zur Bundestagswahl anhalten kann."

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