• Der Sturm des US-Kapitols durch Donald Trumps Anhänger sorgt für blankes Entsetzen.
  • Rufe nach Amtsenthebung werden laut - auch bei Republikanern
  • Pence verkündet Bidens Wahlsieg.

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Die Amtszeit des abgewählten US-Präsidenten Donald Trump war von Chaos geprägt, was aber am Mittwoch passierte, hätten sich die allermeisten Amerikaner in ihren schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen können: Aufgestachelt vom amtierenden Präsidenten marschierten Tausende seiner Unterstützer von einer Trump-Kundgebung in der Nähe des Weißen Hauses zum Kapitol, dem Sitz des Kongresses. Sie überwanden Barrikaden und Polizeisperren, dann drangen Randalierer gewaltsam in das weltweit bekannte Kuppelgebäude ein.

Politiker ergreifen die Flucht

Senatoren und Abgeordnete mussten in Sicherheit gebracht werden, auf Bildern waren mitten im Parlament Polizisten mit gezogenen Waffen zu sehen. Eine Frau wurde angeschossen und starb danach. Drei weitere Menschen kamen nach Polizeiangaben infolge von "medizinischen Notfällen" ums Leben. Mehr als 50 Polizisten wurden verletzt. Manche aus dem Mob machten aus ihrer Gewaltbereitschaft keinen Hehl. "Es ist eine Schande, dass wir nicht das ganze Gebäude niedergebrannt haben", sagte einer von ihnen einem dpa-Reporter. Ein anderer meinte, man habe das Kapitol gestürmt, "um die Verräter zu hängen".

Trump erkennt Niederlage nicht an

Die "Verräter" sind aus Sicht dieser Hardcore-Trump-Fans Senatoren und Abgeordneten, die am Mittwoch zusammengekommen waren, um das Ergebnis bei der Wahl vom 3. November formell zu bestätigen. Klarer Sieger dieser Wahl ist der Demokrat Joe Biden. Donald Trump weigert sich aber standhaft, seine Niederlage einzugestehen.

Der Republikaner sieht sich durch massiven Wahlbetrug um den Erfolg gebracht. Seine Argumente scheinen dabei immer weniger in der Realität verwurzelt zu sein. Eines davon geht so: Weil er Millionen mehr Stimmen bekommen hat als bei seinem Sieg 2016, könne er gar nicht verloren haben. Dass Biden auf noch mehr Stimmen gekommen ist, liegt aus Trumps Sicht nur an Manipulationen. Ein anderes Argument: Weil er am Anfang des Wahlabends in wichtigen Bundesstaaten einen Vorsprung hatte, könne er am Ende nicht hinten gelegen haben - beziehungsweise nur deswegen, weil die Demokraten manipuliert haben.

Bereits über 360.000 Corona-Tote in den USA

Seit gut zwei Monaten versucht Trump immer verzweifelter, das Wahlergebnis doch noch zu kippen. Seine Amtsgeschäfte oder drängende Probleme wie der Kampf gegen die Corona-Pandemie, die mehr als 360.000 Amerikaner das Leben gekostet hat, spielen kaum noch eine Rolle. Sein öffentlicher Terminkalender wirkt absurd, seit Tagen steht dort nur: "Präsident Trump wird von frühmorgens bis spätabends arbeiten. Er wird viele Anrufe tätigen und viele Meetings haben."

Dutzende Klagen des Trump-Lagers gegen das Wahlergebnis wurden abgeschmettert. Bis zum Obersten Gericht zog Trump, und obwohl er beim Supreme Court mit der Ernennung von drei Richtern für eine konservative Mehrheit gesorgt hat, bekam er auch dort eine Abfuhr.

Offizieller in Georgia soll Stimmen für Trump finden

Am Wochenende versuchte Trump dann in einem Telefonat, Druck auf die republikanischen Wahlverantwortlichen im Bundesstaat Georgia auszüben - erfolglos drängte er sie, nachträglich Stimmen für ihn zu "finden". Als allerletzte Chance rechnete er sich dann aus, die offizielle Bestätigung von Bidens Sieg bei der Auszählung der Stimmen der Wahlleute aus den Bundesstaaten durch den Kongress zu verhindern, auch wenn das Vorhaben von vornherein zum Scheitern verurteilt war.

Seinen überaus loyalen Vizepräsidenten Mike Pence - der Sätze gerne mit den Worten "Dank Ihrer Führung, Herr Präsident" einleitet - forderte er öffentlich dazu auf, "betrügerische" Stimmen von Wahlleuten schlicht abzuweisen. Pence - der der Sitzung als Senatspräsident vorstand - weigerte sich unter Verweis auf die Verfassung, dem Folge zu leisten. Während es am Kapitol zu Ausschreitungen kam, schrieb Trump auf Twitter: "Mike Pence hatte nicht den Mut, das zu tun, was getan hätte werden sollen, um unser Land und unsere Verfassung zu schützen."

Ausnahmezustand in Washington

Stundenlang herrschte im Kapitol und außerhalb des Gebäudes Ausnahmezustand. Trump rief seine Anhänger auf Twitter - und parallel auf Facebook - zwar zur Gewaltlosigkeit auf, verurteilte den Angriff auf das Parlament aber nicht. Und er ließ sich viel Zeit für den Appell an seine Anhänger im und vor dem Kapitol abzuziehen. "Ich weiß, wie Ihr Euch fühlt, aber geht nach Hause", sagte Trump in einem Video, das er am späten Nachmittag verbreitete. Dann lobte er die Demonstranten: "Wir lieben Euch, Ihr seid sehr besonders." Und er behauptete wieder, dass die Wahl "gestohlen" worden sei.

Trumps Social-Media-Konten gesperrt

Twitter sperrte Trumps Konto daraufhin zunächst für zwölf Stunden und drohte mit einem kompletten Rauswurf. Auch Facebook blockierte den Account des Präsidenten - in einem ersten Schritt für 24 Stunden, dann aber bis auf Weiteres, mindestens aber bis zum Ende seiner Amtszeit in zwei Wochen. Um nicht weiter für die Anstiftung zur gewaltsamen Aufruhr missbraucht zu werden, hieß es.

Schon vor der Wahl hatte Trump gesagt, er könne nur verlieren, wenn die Demokraten betrügen. Und er hatte sich geweigert, eine friedliche Machtübergabe zu garantieren. Damit legte er den Grundstock für den Konflikt, der nun am Mittwoch einen bitteren Höhepunkt fand.

Erst nach Stunden voller Chaos kehrt Ruhe ein

Erst am frühen Abend konnte die Polizei melden, das Kongressgebäude sei wieder unter Kontrolle. Als Signal dafür, dass sie sich nicht einschüchtern lassen, kamen die Abgeordneten und Senatoren danach wieder zusammen, um ihre Sitzung fortzusetzen. Auch Unterstützer Trumps waren sichtlich schockiert - und zogen Konsequenzen.

Mehrere Senatoren, die auf Betreiben Trumps Einspruch gegen Ergebnisse aus bestimmten Bundesstaaten einlegen wollten, überlegten es sich nach dem Angriff anders. Die Ereignisse vom Mittwoch hätten sie dazu gezwungen, ihre Haltung zu überdenken, sagte etwa Kelly Loeffler, die noch am Montagabend mit Trump auf der Bühne gestanden hatte. Demokraten, aber auch Republikaner machten den Präsidenten öffentlich mitverantwortlich für die den Sturm auf den Kongress.

Umdenken bei vielen Republikanern

"Dieser Mob war zu einem guten Teil Präsident Trumps Werk, aufgehetzt durch seine Worte, seine Lügen", sagte der Minderheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer. "Diese Gewalt war zu einem guten Teil seine Verantwortung, seine immerwährende Schande." Der republikanische Senator Mitt Romney, ein parteiinterner Kritiker Trumps, meinte: "Was hier heute passiert ist, war Aufruhr, der vom Präsidenten der Vereinigten Staaten angezettelt wurde."

Öffentlich werden nun Rufe laut, den Präsidenten mit Hilfe des 25. Verfassungszusatzes des Amtes zu entheben. Selbst aus den Reihen der Republikaner kommen solche Ideen. Ehemals Getreue stellen sich offen gegen Trump, Mitglieder seiner Regierungsmannschaft schmeißen hin.

Pence verkündet Bidens Wahlsieg

Und auch im Kongress passiert das Unvermeidliche, gegen das sich Trump so lange gewehrt hat - allem Widerstand, allen Finten des Republikaners zum Trotz: Um 3.40 Uhr am Donnerstagmorgen ist es amtlich. Pence verkündet, dass Biden die Wahl gewonnen hat. Der 46. US-Präsident wird am 20. Januar vor dem Kapitol vereidigt werden.

Trump lässt kurz darauf über seinen stellvertretenden Stabschef Dan Scavino mitteilen, er werde sich nicht gegen eine geordnete Amtsübergabe sperren - "auch wenn ich dem Ergebnis der Wahl absolut widerspreche und die Fakten mir Recht geben". Weiter heißt es: "Während dies das Ende der großartigsten ersten Amtszeit in der präsidialen Geschichte darstellt, ist es nur der Anfang unseres Kampfes, Amerika wieder groß zu machen!"

Und Trumps politische Bilanz? Sie fällt verheerend aus. Bei seinen Massenkundgebungen fragte er seine Unterstützer immer mal wieder, ob sie des Siegens schon überdrüssig seien. Nun haben seine Republikaner in nur einer Amtszeit Trumps alles an die Demokraten verloren: Die Kontrolle über das Repräsentantenhaus schon 2018, das Weiße Haus bei der Wahl im November, die Mehrheit im Senat bei zwei Stichwahlen erst am Dienstag. Ein solches Debakel hatte nach Angaben der "Washington Post" zuletzt Präsident Herbert Hoover erlitten - im Jahr 1932. (mss/dpa)

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