Der türkische Präsident wirft der deutschen Regierung Nazi-Methoden vor. Sein amerikanischer Amtskollege gibt nicht viel auf diplomatische Etikette. Und Deutschland arbeitet dennoch weiterhin an guten Beziehungen zu diesen Ländern, obwohl viele für eine härtere Gangart plädieren und einen "Kuschelkurs" kritisieren. Trump und Erdogan mal so richtig die Leviten lesen? Ganz so einfach ist es nicht.

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Wie frei sind Politiker im Umgang mit anderen Staaten? Gerade was die deutschen Beziehungen zur Türkei und zu den USA angeht, häufen sich die Stimmen für ein entschiedeneres Auftreten der Bundesregierung.

Aber wäre das sinnvoll? In der Diplomatie gelten manchmal eigene Regeln, erklärt Klaus Brummer, Professor für Internationale Beziehungen an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Herr Brummer, in der Öffentlichkeit gibt es derzeit viele Stimmen, die ein kompromissloses Auftreten gegenüber der Türkei fordern. Realpolitisch ist Deutschland aber auf gute Zusammenarbeit mit der dortigen Regierung angewiesen. Befindet sich die deutsche Außenpolitik da in einer Zwickmühle?

Prof. Klaus Brummer: Zumindest in einem Zwiespalt. Auf der einen Seite muss man gegenüber der Türkei für die eigenen Werte eintreten. Auf der anderen Seite ist Deutschland auf das Land als Kooperationspartner angewiesen, vor allem in der Flüchtlingspolitik.

Gibt es in diesem Zwiespalt überhaupt einen Mittelweg, den die Politik einschlagen kann?

Unbedingt. Es gibt ja eine wechselseitige Abhängigkeit: Auch die Türkei ist auf Deutschland angewiesen, als Kooperations- und Wirtschaftspartner. Insofern hat auch die Regierung in Ankara Anreize, mit Deutschland im Gespräch zu bleiben.

Man darf bei der Einordnung der türkischen Äußerungen zudem nicht vergessen, dass sie nur mittelbar auf Deutschland gerichtet sind. Das vorrangige Zielpublikum ist die Bevölkerung in der Türkei, die demnächst über eine neue Verfassung abstimmen wird.

Ist also das, was sich derzeit zwischen Deutschland und der Türkei abspielt, eine ganz normale diplomatische Krise?

Ich denke eher, es zeigt, wie stark sich beide Seiten voneinander entfernt haben. Ein Beitritt der Türkei zur Europäischen Union ist wohl eher Fiktion geworden – aufgrund der innenpolitischen Entwicklungen dort. Ich glaube, es handelt sich gar nicht unbedingt um ein bilaterales Problem zwischen Deutschland und der Türkei. Der Konflikt ist eher ein generelles Zeichen für eine Entfremdung zwischen der Türkei und dem Westen.

Ist die Politik immer an realpolitische Zwänge gebunden? Lässt sich diplomatisch oft gar nicht durchsetzen, was das Volk will?

Der Bezug zur Wählerschaft muss unbedingt gegeben sein, denn Regierende handeln nicht losgelöst vom Volk, sondern als Repräsentanten des Volkes. Gleichzeitig gibt es in der Diplomatie gewisse Gesetzmäßigkeiten und Regeln.

Außenpolitiker müssen sich auch an langfristigen Beziehungen orientieren. Man muss da sicher unterscheiden: zwischen Wahlkampf-Kalkül, um bestimmte Wählerschichten anzusprechen, und längerfristigen Perspektiven.

Deutschland spielt auf internationaler Ebene inzwischen eine aktivere Rolle als noch vor 20 Jahren. Glauben Sie, dass die Wähler das auch erwarten?

Ich glaube, es liegt im grundsätzlichen Interesse der Wähler, dass Deutschland international Verantwortung unternimmt. Nach meinem Eindruck wächst die Einsicht, dass das Land sich von internationalen Entwicklungen nicht abkoppeln kann.

Das gilt für den wirtschaftlichen Bereich, aber vor allem auch für die Migrationsfrage, die ihre Ursachen ja außerhalb Europas hat. Deswegen ist es geboten und sicher auch ein Auftrag der Wähler, hier tätig zu werden.

Der neue US-Präsident Donald Trump tritt nicht gerade diplomatisch auf. Da würde sich der eine oder andere Wähler vielleicht wünschen, dass die deutsche Regierung ebenfalls klar Stellung bezieht.

Die deutsche Politik ist sicher gut beraten, den rhetorischen Aufwallungen von Trump keine derart markigen Worte entgegenzusetzen. Trump ist für die Umsetzung seiner Ziele ja auch auf Partner angewiesen, innenpolitisch wie außenpolitisch. Und auch wenn er als Präsident jetzt vier oder sogar acht Jahre im Amt sein wird: Danach wird ein neuer Präsident kommen, und dann werden die Beziehungen vielleicht wieder auf eine normalere Bahn gesetzt. Deshalb wäre es nicht zielführend, jetzt Porzellan zu zerschlagen.

Das könnte langfristig für Verstimmungen sorgen. Politiker müssen Wähler einbeziehen. Aber wahlentscheidend sind ja häufig eher Themen, die innenpolitischer Natur sind. Deswegen sind die Entscheidungsträger in der Außenpolitik schon ein Stück weit unabhängiger.

Nicht nur Trump, auch populistische Politiker in Europa fordern eine stärkere Besinnung auf die Interessen des eigenen Landes. Wird das die Außenpolitik verändern?

Grundsätzlich hat jede Regierung das Ziel, die Interessen des eigenen Landes zu befördern. Das ist auch gar nicht unredlich. Um die eigenen Ziele zu erreichen, ist eine Regierung allerdings auf Partner angewiesen und muss Kompromisse eingehen.

Es kann deswegen ein Widerspruch sein, wenn man – wie Trump – das eigene Land so absolut setzt und dabei vergisst, dass man Partner braucht. Innenpolitisch mag das funktionieren. Aber internationale Entwicklungen können selbst große Staaten heute gar nicht mehr alleine beeinflussen.

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