Russland hat eine Initiative zur möglichen Änderung seiner Seegrenzen gestartet und ist wenig später anscheinend zurückgerudert. Bei diversen Nachbarstaaten ist die Aufregung dennoch groß. Schwedens Armeechef ist besorgt und warnt vor Putins angeblichem Ziel in der Ostsee – und auch Boris Pistorius findet deutliche Worte.

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Ein russisches Gesetzesprojekt zur möglichen Neubestimmung seiner Seegrenzen in der Ostsee hat Verwirrung und große Aufregung bei Nachbarländern hervorgerufen. "Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass Russlands aggressive und revisionistische Politik eine Bedrohung für die Sicherheit der Nachbarländer und ganz Europas darstellt", hieß es am Mittwoch aus dem litauischen Außenministerium.

Hintergrund ist eine am Dienstagabend in der Gesetzesdatenbank der russischen Regierung veröffentlichte Initiative des Verteidigungsministeriums zur "Bestimmung geografischer Koordinaten" zur Festlegung der Grenzlinien in verschiedenen Teilen der Ostsee.

Begründet wurde das Vorhaben damit, dass die alten noch zu Sowjetzeiten festgelegten Koordinaten ungenau seien und es nicht erlaubten, eine durchgehende Grenzlinie zu ziehen.

Nachbarstaaten sehen Russlands Initiative als Provokation

Das Verteidigungsministerium verwies konkret auf ein Seegebiet südlich der russischen Inseln im Finnischen Meerbusen und auf Abschnitte bei den Städten Baltijsk und Selenogradsk im Gebiet Kaliningrad. Das Vorgehen erlaube es, "das entsprechende Seegebiet als russisches Binnenmeer zu nutzen", heißt es im Dokument.

Am Mittwoch meldeten dagegen mehrere russische Agenturen unter Berufung auf eine Quelle in militärisch-diplomatischen Kreisen, dass es bei dem Gesetzesprojekt doch nicht um eine Ausweitung russischen Gebietes gehe. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, das Vorhaben habe keinen politischen Hintergrund. Am Nachmittag war die Initiative schließlich ohne Angabe von Gründen aus der Gesetzesdatenbank verschwunden. Welche Bedeutung das haben könnte, war zunächst unklar.

Bei den Nachbarstaaten schrillten dennoch die Alarmglocken. Russlands Vorgehen könne als "bewusste, gezielte und eskalierende Provokation" angesehen werden, mit der die Nachbarländer und ihre Gesellschaften eingeschüchtert werden sollen, hieß es aus dem litauischen Außenministerium. Demnach soll der russische Gesandte zu einer ausführlichen Erklärung einbestellt werden. Eine Reaktion will Litauen mit seinen Partnern koordinieren.

Pistorius: Beispiel für Putins "perfide Art der hybriden Kriegsführung"

Etwas zurückhaltender fiel die Einschätzung in Finnland aus. Dort wollen die Behörden zunächst die Informationen aus russischen Medien prüfen. "Russland hat in dieser Angelegenheit keinen Kontakt mit Finnland aufgenommen. Finnland handelt wie immer: ruhig und auf der Grundlage von Fakten", schrieb der Präsident Alexander Stubb auf X.

Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius hat die Verwirrung über das russische Gesetzesprojekt als Teil der hybriden Kriegführung von Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnet.

"Wie auch immer das jetzt war oder tatsächlich ist, es scheint ein weiteres Beispiel zu sein für die durchaus perfide Art der hybriden Kriegsführung, die Putin betreibt. Verunsicherung, Provokation, Rücknahme, Relativierung, den Spalt dazwischentreiben, Drohen - also immer das ganze Repertoire", sagte der SPD-Politiker bei einem Besuch in Litauen. "Das wird ja auch hier wieder sichtbar oder zumindest angedeutet. Von daher warten wir mal ab, was passiert."

Klare Warnung von Schwedens Armeechef Byden

Am deutlichsten wurde Schwedens Armeechef Micael Byden. Er warnte vor Moskaus Ambitionen in der Ostsee - insbesondere mit Blick auf die schwedische Insel Gotland. "Ich bin sicher, dass Putin sogar beide Augen auf Gotland geworfen hat. Putins Ziel ist es, die Kontrolle über die Ostsee zu erlangen", sagte der Armeechef den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND).

"Wenn Russland die Kontrolle übernimmt und die Ostsee abriegelt, hätte das enorme Auswirkungen auf unser Leben - in Schweden und allen anderen Ostseeanrainerstaaten. Das dürfen wir nicht zulassen", sagte Byden. "Die Ostsee darf nicht zu Putins Spielwiese werden, auf der er die Nato-Mitglieder in Angst und Schrecken versetzt." Von Gotland aus könne Schweden anderen Nato-Staaten an der Ostsee helfen, in Sicherheit zu leben. "Wenn Putin aber in Gotland einmarschiert, kann er die Nato-Länder vom Meer aus bedrohen. Das wäre das Ende von Frieden und Stabilität in den nordischen und baltischen Regionen", sagte Byden.

Er warnte zudem vor einer schwerwiegenden Katastrophe durch alte russische Öltanker in der Ostsee. "Russland könnte eine Umweltkatastrophe direkt vor unserer Haustür verursachen und es wie einen Unfall aussehen lassen. Die Folgen für die Umwelt wären verheerend", sagte Byden den RND-Zeitungen. Die russischen Öltanker seien eine "echte Gefahr für die Umwelt in Europa".

Russland könne diese Schiffe aber auch auf andere Weise zur Kriegsführung gegen die Nato einsetzen, sagte Byden. "Es gibt keine bessere Möglichkeit für Russland, sich an uns heranzuschleichen, als sich als alter Öltanker zu tarnen. Mit den Schiffen können sie unsere Kommunikation abhören, heimlich irgendetwas transportieren oder sie für Unterwasser-Sabotage einsetzen." (dpa/afp/fte)

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