Im "ZDF"-Sommerinterview blieb Kanzler Scholz an vielen Stellen eindeutige Antworten schuldig. An einer Stelle widersprach er allerdings vehement. Zugleich positionierte er sich bei der Abschiebedebatte und gab Friedensgesprächen im Ukrainekrieg eine Chance.

Eine Kritik
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Moderator Theo Koll stieg gleich mit zwei Bildern aus der Welt des Sports in das Sommerinterview mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ein, das am Sonntag (13. August) bei "Berlin direkt" ausgestrahlt wurde.

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"Was ist Ihre Rolle im Ruderboot der Regierung?", wollte er gleich zu Beginn wissen. Scholz entgegnete: "Ich bin derjenige, der das Tempo macht." Das betrachte er als seine Aufgabe, er sorge dafür, dass man vorankomme. Daraufhin wechselte der Moderator zu den Misserfolgen des deutschen Fußballs und fragte: "Was ist denn los mit dem ehemaligen Weltmeister Deutschland?"

Alarmglocken in der Wirtschaft läuten

Scholz Antwort: "Es gibt ja viele Fußballexpertinnen und -experten in Deutschland, also zig Millionen. Ich möchte mich aber nicht in die Reihen derjenigen einreihen, die alles besser wissen als diejenigen, die da tatsächlich auf dem Platz stehen." Er sei enttäuscht gewesen, dass es nicht weitergegangen sei und hätte den Frauen mehr Glück und Erfolg gewünscht.

Koll nutzte die Metaphern für eine Überleitung zur Wirtschaft und sprach von Alarmglocken, die fast täglich läuteten. Deutschland habe eine der höchsten Abgabelasten, eine der teuersten Energien, überbordende Bürokratie und Fachkräftemangel. "Aber Sie rechnen mit einem Wachstum wie beim Wirtschaftswunder. Da passen doch Wunsch und Wirklichkeit nicht zusammen", hielt er dem Kanzler vor.

Wirtschaftswunder in Deutschland?

Scholz verteidigte sich: "Ich habe das bezogen auf die Möglichkeiten, die mit all den Investitionen verbunden sind in den Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Stromnetze, der Wasserstoffnetze, der Wasserstoffproduktion." Das stehe alles konkret bevor. Man sorge mit einem ganz neuen Tempo dafür, dass es möglich werde.

"Sie sprechen also von einem partiellen Wirtschaftswunder?", hakte Koll nach. "Nein, ich glaube, dass das eine Wirkung haben wird auf die ganze Wirtschaft", meinte Scholz. Deutschland sei hocherfolgreich als Exportnation. Man dürfe jetzt nicht "das Kind mit dem Bade ausschütten." "Ich plädiere ausdrücklich dafür, dass wir weiter eine erfolgreiche Exportnation sein wollen und dass das so bleibt", sagte er.

Für Koll war das Thema damit noch nicht vom Tisch. Er erinnerte den Kanzler daran, dass Deutschland das einzige Land ist, welches vom Internationalen Währungsfonds ein Minus vorhergesagt bekommen hatte. "Braucht es da nicht eine wirklich einschneidende Reformagenda?", wollte er wissen.

Fachkräftemangel als Riesenproblem

Scholz antwortete zunächst recht nebulös: "Was wir brauchen, ist, dass wir die Probleme lösen, die wir wirklich haben." Dann führte er aus, dazu zähle zum Beispiel der Mangel an Arbeitskräften. Er habe deshalb in dieser Woche das Fachkräfteeinwanderungsgesetz unterschrieben. "Dann werden wir diese eine Voraussetzung für Wachstum in Deutschland besser lösen können als viele andere Länder", zeigte sich der Kanzler zuversichtlich.

Koll kommentierte, das reiche nicht aus, es würden jährlich 400.000 Fachkräfte fehlen. "Mit dem, was wir gemacht haben, kann das auch gelingen", versprach Scholz. Man werde nicht nur dafür sorgen, dass es ein Gesetz gebe, sondern auch dafür, dass Prozesse für Unternehmen vereinfacht würden.

Scholz lobt eigenes Tempo

"Wir haben da ein unglaubliches Tempo vorgelegt und viele Gesetze verändert", sagte der Kanzler selbstsicher. Selbstbewusst trug er auch die Direktinvestitionen vor, die in Deutschland getätigt würden. Deutschland werde zum Standort der Halbleiter-Produktion in Europa. Im Saarland und in Dresden hätten mehrere Unternehmen investiert.

"Sie subventionieren jeden Arbeitsplatz in Dresden momentan mit 2,5 Millionen Euro, das können Sie doch nur sehr begrenzt als Erfolg reklamieren für sich", merkte Koll an. Scholz widersprach entschieden: "Nein, da teile ich Ihre Ansicht überhaupt nicht. Das ist eine bewusste Entscheidung dieser Unternehmen, die sind nicht wegen der Subventionen, die es auch woanders in der Welt gibt, gekommen." Sie hätten sich bewusst für den Wirtschaftsstandort Deutschland entschieden.

Ansehensverlust der Ampel

Koll kam daraufhin auf die hohen Energiekosten zu sprechen und die Forderung nach einem subventionierten Strompreis für energieintensive Unternehmen. "Sie lehnen das bisher als dauerhaft ab", so der Moderator zu Scholz.

Der erklärte: "Wir haben eine Hauptaufgabe, die besteht darin, dass wir die Strompreise runterkriegen – strukturell." Man werde nicht dauerhaft in der Lage sein, Strompreise zu subventionieren.

Als nächstes Thema brachte Koll den Ansehensverlust der Ampel auf den Tisch und konfrontierte Scholz mit Zahlen aus dem Politbarometer. Eine große Mehrheit hatte darin gesagt, Scholz könne sich in wichtigen politischen Fragen nicht durchsetzen. "Was folgt für Sie daraus?", fragte Koll.

Scholz: Debatte war "ein bisschen laut"

Die Diagnose treffe nicht zu, meinte Scholz. "Wir haben sehr viele sehr konkrete Entscheidungen getroffen", so der Kanzler. Vieles müsse neu verhandelt werden und er wünsche sich oft einen anderen Ton dabei, gab er allerdings zu. "Ich habe den Eindruck, dass viele sich über den Sommer vorgenommen haben, das genau zu ändern", sagte er.

Es sei bereits besser geworden und dass es Diskussionen gebe, sei auch nicht das Problem.

"Aber wir brauchen schon einen klaren Kurs, der auch erkennbar ist", so Scholz. Er sei überzeugt, dass man das tue, was es für eine gute Zukunft in Deutschland brauche.

Als es um das Heizungsgesetz ging und die damit verbundene Debatte, fragte Koll: "Hätten Sie nicht früher und härter eingreifen müssen?" Scholz wich aus, die Debatte sei "ein bisschen laut" gewesen, sagte er. "Mehr nicht?", setzte Koll nach, aber darauf ging Scholz nicht mehr ein.

Scholz positioniert sich zur Abschiebedebatte

Daraufhin ging es um den Themenbereich Flüchtlinge und illegale Einreisen. "59 Prozent fordern schärfere Regelungen für die Abschiebung ausreisepflichtiger Asylbewerber", leitete der Moderator ein. "Unterstützen Sie eigentlich die Überlegungen Ihrer Innenministerin zur Verschärfung der Abschieberegel?"

"Ja, die habe ich ja den Ländern vorgeschlagen", lautete Scholz Antwort. Ausländerbehörden müssten in kürzester Zeit digitalisiert werden, für die Landesbehörden müsse eine 24-Stunden-Erreichbarkeit organisiert werden. Außerdem müssten Georgien und Moldau als sichere Herkunftsländer anerkannt werden. Er versprach, "dass wir an all den gesetzlichen Regelungen arbeiten, die es schwierig machen, eine durchzusetzende Abschiebung auch durchzusetzen".

Haben Gespräche Chance auf Frieden?

Als letztes Thema ging es um die Friedensgespräche in Saudi-Arabien. "Haben diese Gespräche eine ernsthafte Chance, der Anfang vom Ende des Kriegs zu sein?", fragte Koll. "Sie sind sehr wichtig", sagte Scholz. "Sie sind wirklich erst der Anfang, leider", fuhr er fort.

Trotzdem sei es etwas ganz Besonderes, dass solche Gespräche stattfinden. "Deswegen macht es Sinn, dass wir diese Gespräche fortsetzen, weil sie ganz konkret Druck darauf erhöhen, dass Russland einsieht, dass es einen falschen Weg eingeschlagen hat", sagte er.

Als es um die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern ging, blieb Scholz eine eindeutige Antwort schuldig. "Die Franzosen und Briten liefern schon ähnliche Waffen. Warum wir nicht?", wollte Koll wissen. Die Antwort des Kanzlers lautete: "Wir sind das Land, das nach den USA die Ukraine am meisten unterstützt. Wir machen das vor allem mit Panzern, mit Artillerie, wir haben das gemacht mit sehr viel Luftverteidigung."

Keine klare Antwort zur Taurus-Lieferung

So wie in der Vergangenheit werde man jede einzelne Entscheidung sehr sorgfältig überprüfen. "Was geht, was Sinn macht, was unser Beitrag sein kann", so Scholz. Sein Eindruck sei, dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger das auch sehr richtig finde. "Wir werden es uns weiter schwermachen", kündigte er an.

"Das war jetzt eben eine Scholz-typische Antwort", sagte der Moderator. Scholz blieb bei Allgemeinplätzen, auch als Koll nachsetzte: "Wenn die Reichweite begrenzt werden kann, werden sie dann liefern?" Er sagte: "Wir beschäftigen uns mit allen Fragen, die an uns herangetragen werden und werden dann etwas dazu sagen, wenn es etwas zu sagen gibt."

Putin die Hand geben?

Wie er als Mensch damit umgehe, einen solchen Schlächter wie Putin beim G20-Gipfel in Indien zu treffen, fragte Koll gegen Ende des etwa 20-minütigen Gesprächs. "Das ist wirklich sehr bedrückend zu wissen, dass der russische Präsident derjenige ist, der den Krieg verursacht hat und deshalb die Verantwortung dafür trägt, dass sehr viele Menschen gestorben sind in der Ukraine, ukrainische Soldatinnen und Soldaten, russische Soldatinnen und Soldaten", sagte Scholz. Das könne man nicht aus dem Kopf kriegen, wenn man so jemandem spreche.

"Geben Sie ihm dann beispielsweise die Hand?", fragte Koll. "Das ist etwas, was man sich dann mal überlegen muss", meinte Scholz. Für ihn gehe es nicht darum, ob er jemandem die Hand gebe oder nicht, sondern ob er klare Worte finde und klare Forderungen habe. "Und das ist der Fall", versprach er.

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