Nach den lebensgefährlichen Schüssen auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico werden immer mehr Details zum mutmaßlichen Attentäter bekannt. Demnach handelt es sich um den Gründer eines Literaturclubs.
Nach dem Mordanschlag auf den slowakischen Regierungschef Robert Fico hat der slowakische Innenminister Medienberichte zur Identität des mutmaßlichen Attentäters bestätigt. Auf die Frage, ob es sich um einen 71-jährigen Schriftsteller aus dem Zentrum der Slowakei handle, sagte Innenminister Matus Sutaj Estok am Mittwoch: "Ich denke, ich kann das bestätigen, ja."
Der Mann soll den Medienberichten zufolge aus der Stadt Levice rund 150 Kilometer östlich von Bratislava kommen und Gründer eines Literaturclubs sein. Demnach ist er zudem Mitglied der offiziellen slowakischen Schriftstellervereinigung, was diese später im Onlinedienst Facebook bestätigte. Sollte bestätigt werden, dass es sich um den mutmaßlichen Attentäter handelt, werde die Mitgliedschaft "dieser abscheulichen Person" aufgekündigt.
Der Sohn des Mannes erklärte gegenüber dem slowakischen Nachrichtenportal aktuality.sk, sein Vater besitze legal eine Waffe. Auf die Frage, ob sein Vater Hass auf Regierungschef Fico verspüre, antwortete er: "Er hat ihn nicht gewählt, mehr kann ich dazu nicht sagen."
Nach AFP-Recherchen veröffentlichte der Mann mehrere politische Statements in Online-Netzwerken. Vor acht Jahren sagte er in einem davon, die Welt sei "voller Gewalt und Waffen" und die Menschen schienen "verrückt zu werden". Zudem sprach er über seine Sorgen über Immigration und "Hass und Extremismus". Er selbst habe eine "Bewegung gegen Gewalt" gegründet.
Fico war nach einer Kabinettssitzung in der Stadt Handlova angeschossen und verletzt worden. Er sei daraufhin in ein Krankenhaus gebracht worden, berichtete die slowakische Nachrichtenagentur TASR unter Berufung auf den Vizechef von Ficos Partei Smer, Lubos Blaha, am Mittwoch. Fico sei bei dem Angriff lebensgefährlich verletzt worden, teilte das Regierungsamt in Bratislava mit, und schwebe weiterhin in Lebensgefahr.
Nach Informationen des TV-Senders TA3 hab es eine Videoaufnahme aus der Polizeistation gegeben. Darin sagt der benommen wirkende mutmaßliche Attentäter: "Ich stimme der Regierungspolitik nicht zu." Als konkretes Beispiel nannte er mit undeutlicher Stimme die von der Regierung geplante Auflösung des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens RTVS, gegen die seit Wochen Tausende Menschen demonstrieren.
Augenzeugen hatten dem TV-Nachrichtensender TA3 berichtet, vor dem Kulturhaus in Handlova seien fünf Schüsse zu hören gewesen, als Fico nach der Kabinettssitzung ins Freie ging, um sich unter die Bevölkerung zu mischen und Hände zu schütteln. Ein Schuss habe ihn in die Brust getroffen. Der Ministerpräsident sei daraufhin zu Boden gestürzt.
Der Rettungsdienst teilte TASR mit, ein Hubschrauber mit einem Notarzt sei nach dem Vorfall zu Fico geschickt worden. Auf Ficos Facebook-Seite hieß es, er werde mit dem Hubschrauber nach Banská Bystrica gebracht, "weil es nach Bratislava zu lange dauern würde" und ein akuter Eingriff unumgänglich sei. "Die kommenden Stunden werden entscheiden."
Begleiter brachten Fico in Auto in Sicherheit
Ein von mehreren Online-Medien veröffentlichtes Video zeigte, wie Begleiter den Verletzten eilig in ein Auto bringen, um ihn vorläufig in Sicherheit zu bringen. Auf der anderen Seite einer Absperrung soll auf dem Video die Festnahme des mutmaßlichen Angreifers zu sehen sein.
Die Stadt Handlova mit knapp 20.000 Einwohnern liegt etwa 150 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Bratislava. Die Slowakei grenzt an die Ukraine und ist EU- und Nato-Mitglied.
Augenzeugin: Schütze hat auf Fico gewartet
Augenzeugen berichteten nach dem Angriff auf Fico von dramatischen Szenen. "Kurz, bevor ich ihm die Hand geben wollte, habe ich vier Schüsse gehört. Robert fiel auf den Boden", sagte ein Mann auf dem Platz vor dem Haus der Kultur in Handlova im öffentlich-rechtlichen Sender RTVS. Dort hatte zuvor eine Kabinettssitzung stattgefunden. Er stehe unter Schock. "Das ist etwas Schreckliches, das waren Schüsse von hinten", fügte er hinzu.
Über den Schützen sagte eine Frau dem Sender: "Der Mann stand dort von Anfang an. (...) Er hat nur noch gewartet."
Verstärkter Polizeischutz für Politiker
Innenminister Sutaj Estok kündigte verstärkten Polizeischutz für Politiker, aber auch Journalisten an. Zugleich rief er Medien, Politiker aller Lager und die Öffentlichkeit auf, mit der "Hetze gegen politische Gegner in sozialen Medien" aufzuhören.
Der liberale Oppositionsführer Michal Simecka sagte am Abend alle politischen Aktionen für unbestimmte Zeit ab. Das betreffe auch eine für Mittwochabend geplante Demonstration gegen die Regierung.
Staatspräsidentin spricht von Angriff auf die Demokratie
Staatspräsidentin Zuzana Caputova sagte, es handele sich bei dem Attentat auch um einen Angriff auf die Demokratie. "Jegliche Gewalt ist inakzeptabel. Die hasserfüllte Rhetorik, derer wir in der Gesellschaft Zeuge geworden sind, führt zu hasserfüllten Aktionen. Bitte, lasst uns damit aufhören."
Die liberale Präsidentin hatte sich trotz großer Beliebtheit nicht um eine zweite Amtszeit beworben, weil sie nach eigenen Worten "nach Jahren politischer Krisen und mehreren Regierungswechseln nicht mehr die Kraft" habe. Das Klima zwischen Regierung und Opposition gilt als vergiftet.
Fico warnte vor Gewalttat
Fico hatte vor wenigen Tagen der liberalen Opposition vorgeworfen, ein Klima der Feindschaft gegen die Regierung zu schaffen. Es sei nicht auszuschließen, dass es in einem solchen Klima irgendwann zu einer Gewalttat komme.
Der Vizechef von Ficos Partei Smer, Lubos Blaha, hatte zuvor als stellvertretender Parlamentspräsident die laufende Parlamentsdebatte wegen der Nachricht abgebrochen. Die vom linkspopulistischen Fico geführte Dreiparteienregierung hält immer wieder Sitzungen außerhalb der Hauptstadt Bratislava wie nun eben in Handlova ab. Die Polizei evakuierte das Kulturhaus, in dem die Regierungssitzung abgehalten worden war.
Das Parlament in Bratislava hatte am Mittwoch eine hitzige Debatte über einen der umstrittensten Pläne von Ficos Regierung aus zwei sozialdemokratischen und einer rechtspopulistischen Nationalpartei SNS abgehalten.
Die von der SNS vorgeschlagene Kulturministerin Martina Simkovicova will die öffentlich-rechtliche Sendeanstalt RTVS auflösen und durch eine neue Institution ersetzen. Sie hat dafür die Zustimmung ihrer Koalitionspartner, die RTVS wiederholt Parteilichkeit vorgeworfen hatten. Die Oppositionsparteien hingegen werfen der Regierung vor, das nach Umfragen als vertrauenswürdig geltende Radio und Fernsehen RTVS durch einen Propagandasender ersetzen zu wollen. Ob es einen Zusammenhang mit dem Angriff und der Debatte gab, war jedoch zunächst unklar.
Scholz spricht von "feigem Attentat"
Bundeskanzler
"Gewalt darf keinen Platz haben in der europäischen Politik", betonte Scholz. "In diesen Stunden sind meine Gedanken bei Robert Fico, den Angehörigen und den Bürgerinnen und Bürgern der Slowakei."
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verurteilte den Angriff als "abscheulich". "Solche Gewalttaten haben in unserer Gesellschaft keinen Platz und untergraben die Demokratie, unser höchstes gemeinsames Gut", schrieb sie am Mittwoch auf der Plattform X. Ihre Gedanken seien bei Fico und seiner Familie.
EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich schockiert über den Angriff. Gewalt und derartige Angriffe würden sich durch nichts rechtfertigen lassen, schrieb er auf X.
Selenskyj: Ukraine solidarisch mit Slowakei
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat das Attentat in dem Nachbarland Slowakei aufs Schärfste verurteilt. "Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, damit Gewalt in keinem Land, in keiner Form oder Sphäre zur Norm wird", teilte Selenskyj im sozialen Netzwerk X am Mittwoch mit. Die Ukraine sei solidarisch mit der Slowakei und wünsche Fico rasche Genesung.
Auch der französische Präsident
US-Präsident Joe Biden verurteilte die Schüsse auf den slowakischen Regierungschef als "schreckliche Gewalttat". Er und seine Frau Jill beteten für Ficos rasche Genesung, schrieb Biden in einer vom Weißen Haus am Mittwoch veröffentlichten Mitteilung. "Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk", hieß es weiter. Die US-Botschaft stehe in engem Kontakt mit der slowakischen Regierung und sei bereit zu helfen.
Putin entsetzt nach Angriff auf Fico: "Abscheuliches Verbrechen"
Aus Moskau kam ebenfalls eine rasche Reaktion: "Dieses abscheuliche Verbrechen ist durch nichts zu rechtfertigen", heißt es in einem am Mittwoch in Moskau auf der Kremlseite veröffentlichten Telegramm Putins an die slowakische Präsidentin Zuzana Caputova. Russlands Beziehungen zur Slowakei gelten im EU-Vergleich als vergleichsweise gut.
Politische Gegner werfen Fico immer wieder "russlandfreundliche" Positionen vor - ungeachtet von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Beziehungen zwischen dem EU- und Nato-Land Slowakei und dem sich gegen Russland verteidigenden Nachbarland Ukraine hatten sich merklich abgekühlt, als der linksnationale frühere Langzeit-Regierungschef Fico die Parlamentswahl im Herbst gewann und an die Macht zurückkehrte. Fico hatte im Wahlkampf angekündigt, er wolle der Ukraine keine Waffen mehr liefern. Putin schätzt solche Aussagen.
"Ich kenne Robert Fico als einen mutigen und willensstarken Menschen. Ich hoffe sehr, dass diese Eigenschaften ihm helfen werden, diese schwierige Situation zu überstehen. Bitte übermitteln Sie ihm meine aufrichtigen Worte der Unterstützung und meine Wünsche für eine rasche und vollständige Genesung", schrieb Putin weiter. (dpa/AFP/tas/cgo)
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