Alexandria Ocasio-Cortez mischt Washington auf: Schon nach knapp zwei Monaten im Kongress ist die Demokratin bekannter als viele andere US-Politiker. Wer ist die 29-Jährige, die so polarisiert – auch in ihrer eigenen Partei?

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Zimmer 229 dürfte derzeit der bekannteste Raum im US-Kongress sein. Dort arbeitet Alexandria Ocasio-Cortez – erst knapp zwei Monate Mitglied des Repräsentantenhauses und schon eine Frau der Rekorde: Mit 29 Jahren ist sie das jüngste weibliche Mitglied, das der Kongress je hatte. Und sechs von zehn Amerikanern kennen sie bereits. Für einen Politik-Neuling ein beeindruckender Wert.

Im Sommer 2018 sorgte die 1989 in der New Yorker Bronx geborene Tochter puertoricanischer Amerikaner erstmals politisch für Aufsehen: Da schlug sie in der Vorwahl der Demokratischen Partei im 14. Kongress-Wahlbezirk New Yorks einen langjährigen Abgeordneten. Bei der Hauptwahl stimmten 78 Prozent der Wähler für sie – der Weg nach Washington war frei.

Für Reichensteuer und Klimaschutz

Dabei klingen ihre politischen Forderungen für amerikanische Verhältnisse geradezu radikal: AOC bezeichnet sich als Sozialistin und fordert die Abschaffung der Grenzschutzbehörde. Geschadet hat ihr das zumindest bei den eigenen Anhängern nicht.

"Sie wirkt in ihren Forderungen authentisch. Ihre Kapitalismus- und Systemkritik verfängt gerade bei den Jüngeren", erklärt Sarah Wagner, Politikwissenschaftlerin an der Atlantischen Akademie Rheinland-Pfalz im Gespräch mit unserer Redaktion.

Viral ging vor einigen Wochen etwa ein Video von ihr, in dem sie in einer Ausschusssitzung mit einigen wenigen Fragen verdeutlicht, wie einfach es für US-Politiker - und vor allem den Präsidenten - ist, ein "bad guy" zu sein, wie sie es nennt.

Schonungslos zeigt sie beispielsweise auf, dass es keine Gesetze dagegen gibt, erst Großspenden anzunehmen und hinterher Gesetze zu erlassen, die genau diesen Spender begünstigen. Hier ist ein Zusammenschnitt des Auftritts zu sehen, leider nur im englischen Original:

Seit dem 3. Januar ist Ocasio-Cortez als Parlamentarierin vereidigt – und führt ihren unangepassten Kurs fort. Für Aufsehen sorgte ihr Vorschlag, den Spitzensteuersatz auf Einkommen über zehn Millionen Dollar auf 70 Prozent zu erhöhen. Anfang Februar präsentierte sie öffentlichkeitswirksam den "Green New Deal": Die USA sollen massiv in Klimaschutz investieren und damit Jobs und Wohlstand für ihre Bürger schaffen.

Es dürfte schwierig sein, diese Pläne in die Tat umzusetzen. Allerdings stieß AOC durchaus Diskussionen an. "Es geht ihr in erster Linie darum, den Rahmen des Debattierbaren zu verschieben", erklärt Sarah Wagner. "Wenn sie einen Spitzensteuersatz von 70 Prozent fordert, man sich aber bei 50 Prozent treffen würde – dann wäre das auch ein Erfolg."

Genervte Parteifreunde

Bei ihren Kollegen im Kongress ist die 29-Jährige indes umstritten. Sie gilt als freundlich und offen, auf Twitter geizt sie aber nicht mit Kritik – auch gegen Parteigenossen, die ihren Kurs nicht teilen. "Die Leute haben Angst vor ihr", zitiert das Magazin "Politico" einen Mitarbeiter der Demokraten. Ein nicht namentlicher genannter Abgeordneter sagte: "Sie muss sich entscheiden: Will sie eine effektive Gesetzgeberin sein oder ein Twitter-Star bleiben?"

Die Kommunikationsstrategie von Ocasio-Cortez wird gar mit der von Donald Trump verglichen. Die beiden trennen politisch zwar Welten, aber beide verbreiten ihre Botschaften mit Vorliebe über Twitter. Ocasio-Cortez sendet pro Tag um die zehn Tweets. "Sie setzt soziale Medien gekonnt für ihre Zwecke ein und diskutiert dort zum Beispiel über politische Vorhaben. Das sorgt für relativ große Transparenz", sagt Sarah Wagner.

Auch an anderer Stelle ist diese Strategie hilfreich: Anfang des Jahres wurde ein Video aus dem Jahr 2010 veröffentlicht, auf dem sie lasziv über ein Hausdach tanzt. Politische Gegner wollten ihr damit schaden. Doch das Video wurde stattdessen ein Internet-Hit.

Ocasio-Cortez griff es zudem selbstbewusst auf, als sie ein Video von sich twitterte, das sie zeigt, wie sie nach ihrem Einzug in den Kongress um ihr Büroschild am eingangs erwähnten Raum 229 tanzt. Die unausgesprochene Botschaft: Ich habe es trotzdem geschafft!

AOC muss sich beweisen

Der progressive Parteiflügel drängt die Demokraten, wieder dezidiert linke Positionen einzunehmen. AOC ist dessen inoffizielle Führungsfigur. Kein Wunder, dass manche schon von ihr als Präsidentschaftskandidatin träumen. Dafür ist sie allerdings noch schlicht zu jung – wer sich in den USA zum Staatsoberhaupt wählen lassen will, muss mindestens 35 Jahre alt sein.

Zudem muss sich AOC erst einmal im Repräsentantenhaus beweisen. Als Neuling ist sie aber bereits in einflussreiche Ausschüsse gelangt. Etwa in das Komitee, das die Verwendung von Steuergeldern überwacht – ein Achtungserfolg, findet Sarah Wagner.

Noch kann sie es sich auch leisten, radikal zu sein. Der Übereinkunft von Demokraten und Republikanern im Haushaltsstreit etwa hat Ocasio-Cortez ihre Zustimmung verweigert. Konkrete Gesetze kann sie aber nur zustandebringen, wenn sie mit anderen Abgeordneten zusammenarbeitet. "Sie wird sich in einem politischen System behaupten müssen, das auf Kompromisse angewiesen ist", so Wagner.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Sarah Wagner, Atlantische Akademie Rheinland-Pfalz
  • CNN.org: "1 remarkable number for Alexandria Ocasio-Cortez"
  • Politico: "Exasperated Democrats try to rein in Ocasio-Cortez"
  • Süddeutsche Zeitung vom 15. Februar 2019: "Blaupause für ein grünes Amerika"
  • New York Times: "Alexandria Ocasio-Cortez rises as a political star"
  • Twitter-Account von Alexandria Ocasio-Cortez
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.