Vor zwei Jahren marschierte Russland in die Ukraine ein – seither hat sich vieles getan. Doch wann wird das Kämpfen ein Ende haben? Warum wird die Ukraine kein Territorium abgeben? Was passiert mit Militärhilfen, wenn Donald Trump wieder US-Präsident wird? Osteuropa-Experte Andreas Umland gibt Antworten auf die Frage: Wie geht es weiter in der Ukraine?

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Joana Rettig sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Genau zwei Jahre dauert nun der aktive Krieg in der Ukraine an. Am 24. Februar 2022 marschierte Russland in sein Nachbarland ein. Innerhalb dieser zwei Jahre hat sich sowohl in der Ukraine als auch weltpolitisch vieles bewegt. Wo steht die Ukraine momentan und wie wird es weitergehen? Ein Überblick.

Mehr News zum Krieg in der Ukraine

Die Lage an der Front

Dass die lang umkämpfte Kleinstadt Awdijiwka im Südosten des Landes mittlerweile von russischen Truppen eingenommen wurde, ist ein Rückschlag für die ukrainischen Streitkräfte. Doch abgesehen davon und weiteren kleineren Verschiebungen bleibt die Front einigermaßen statisch.

Das liegt zu großen Teilen daran, dass die Ukraine mit einem Mangel an Waffen und Munition zu kämpfen hat. Auch, wenn westliche Partner wieder einige militärische Hilfspakete beschlossen haben – der größte Partner USA zieht seine Unterstützung zurzeit stark zurück.

Westliche Unterstützung heute und in Zukunft

Derzeit fehlt es in der Ukraine an allen Ecken und Enden – auch wenn Milliarden für humanitäre wie militärische Hilfe bereitgestellt werden. Die Sorge: Weil die Aufmerksamkeit nicht mehr so stark auf die Ukraine gerichtet ist, könnten Hilfen weiter abnehmen. Doch der Politikwissenschaftler und Osteuropa-Experte Andreas Umland betont im Gespräch mit unserer Redaktion: "Prinzipiell gibt es Unterstützung – nur bei der praktischen Umsetzung hapert es."

Im vergangenen Jahr seien viele Zusagen gemacht worden, die dann nicht erfüllt wurden – sowohl von den Europäern als auch den USA. Hier hatte kürzlich der überwiegend republikanisch geprägte Kongress ein großes Hilfspaket blockiert. Doch Umland meint: Man könnte diese Abhängigkeit vom Kongress und von Donald Trumps Einfluss zumindest teilweise umgehen, wenn man nur wollte. "Das Problem ist, dass die Priorität im westlichen Politikbetrieb nicht so hoch ist."

Im Westen gebe es eine seltsame Art zu denken, sagt Umland. "Als ob es zwei Russlands gäbe." Ein Russland, das Krieg in der Ukraine führt und eines, das den Westen bedroht. Und eben dieses zweite Russland führt dazu, dass "man meint, sich gegen dieses Russland schützen zu müssen, weshalb man keine Waffen an die Ukraine abgeben kann", erklärt der Experte. Eine solche Denkweise zu injizieren, sei Russlands Strategie. "Man sendet quasi täglich diese Drohgebärden an den Westen heraus – mit der Kalkulation, Hilfen für die Ukraine zu verhindern. Das ist reine psychologische Kriegsführung."

Dennoch sehen viele zurzeit die größte Gefahr bei den USA. Denn nicht nur die Priorität sei dort ein Problem, sondern auch der Wille – vor allem, wenn sich Trump wieder im Weißen Haus niederließe. Doch Umland bleibt optimistisch: Zwar sei Trump in seinem Verhalten sehr sprunghaft und deshalb schwer einzuschätzen. Doch an einen großen Dreh in der Ukraine-Politik glaubt er nicht, "weil in den USA die anderen Institutionen noch eine große Rolle spielen".

Waffenlieferungen und Mangel an Soldaten

Seit Februar 2022 haben westliche Partner zusammen eine mehrstellige Milliardensumme allein für militärische Hilfen an die Ukraine abgegeben. Die Europäische Union mit ihren Mitgliedsstaaten hat 28 Milliarden Euro für die ukrainische Verteidigung ausgegeben. Aus den USA kamen umgerechnet rund 40,8 Milliarden Euro.

Hinzu kommen andere Partner wie Großbritannien, die Schweiz oder Kanada. Dennoch sitzt die Ukraine waffentechnisch auf dem Trockenen – und muss an der Front Munition sparen. Wenn die Waffen- und Munitionslieferungen weiterhin stocken, sagt Experte Umland, wird es brenzlig. "Russland hat mehr Material, mehr Munition, mehr Raketen – und das kann fatal für die Ukraine sein."

Gleichzeitig hat das Land zu wenige Männer an der Front. Die Mobilisierung gestaltet sich als extrem schwierig. Für Umland ist dieses Problem eine finanzielle Frage. "Könnte man den Sold erhöhen oder auch Kompensationszahlungen im Fall von Verwundungen oder Tod, gäbe es diese Mobilisierungsprobleme nicht", sagt er. Was russische Soldaten vom Staat an Sold bekommen, sei in etwa so hoch, wie das, was die Ukraine zahlt.

"Allerdings ist das Gesamtpaket an Leistungen für ukrainische Soldaten geringer. Wenn sich das ändert, würden sich mehr ukrainische Freiwillige melden", erklärt der Experte. Eine Lösung könnten demnach russische Gelder sein: "Seit Beginn der Invasion wird darüber gestritten, ob man eingefrorene russische Gelder eben genau dafür nutzen sollte. Das würde der Ukraine deutlich Luft verschaffen."

Strategiewechsel?

Dass es an der Front derzeit wenig Bewegung gibt, bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass es keinen Plan gibt. Denn offenbar fokussiert die Ukraine ihre Anstrengungen mehr und mehr auf Angriffe hinter der Grenze – um den Nachschub an Soldaten oder Munition zu verhindern. Erst kürzlich will man ein russisches Trainingslager in der derzeit okkupierten Oblast Cherson (südlich des Flusses Dnepr) beschossen und dabei mehr als 80 Soldaten getötet haben.

Gleichzeitig verstärkt die ukrainische Armee ihre Bemühungen in der Verteidigung und baut etwaige Anlagen massiv aus. Beobachten lässt sich das in Abschnitten rund fünf bis 15 Kilometer hinter der Front, etwa bei der Kleinstadt Lyman in der Donezk-Oblast.

Umland sieht darin ein Zeitspiel. "Die Ukraine versucht durch die Mittel, die sie hat, den Nachteil an Munition und Soldaten auszugleichen." Hier wären Langstreckenwaffen wie etwa der deutsche Taurus-Marschflugkörper wichtig, meint er. Den hat der Bundestag der Ukraine allerdings erst am Donnerstag verwehrt. Momentan sei jedoch die Frage, wie weit man die Front überhaupt halten kann, erklärt Umland. Man hoffe in der Zwischenzeit auf mehr Nachschub und neue Technik, damit dann auch wieder eine Gegenoffensive gestartet werden kann.

Die ewige Frage: Wie lange noch?

Ein Ende des Krieges vorauszusagen, ist rein spekulativ. Doch Umland hat den Eindruck, dass er kein Jahrzehnt andauern wird. "Wenn man die Sicherheitsabkommen, die derzeit mit vielen westlichen Partnern – auch Deutschland – geschlossen werden, umsetzt, sieht es gut aus für die Ukraine", sagt er. Doch ob und wann sie tatsächlich umgesetzt werden, bleibt fraglich. "Da wären wir wieder bei dem Problem der Prioritätensetzung." Die Umsetzung werde Zeit brauchen – und bis dahin muss die Ukraine erst mal weiter existieren.

Für Umland ist allerdings klar: "Es wird nur einen Verhandlungsfrieden geben können." Eine Niederlage oder einen sogenannten Diktatfrieden werde die Ukraine nicht akzeptieren. Dennoch müssten Verhandlungen auch Sinn für die Ukraine machen. Dass die Ukraine Territorien gänzlich abgibt, daran glaubt Umland nicht. "Dafür ist zu viel Blut geflossen."

Zudem könnte dies innerhalb des Landes erhebliche Probleme mit sich bringen – und in eine neue Welle von Gewalt münden: "Würde sich die politische Führung auf einen von Russland diktierten Frieden einlassen, könnte das in einem Bürgerkrieg in der Ukraine enden."

Gebietsverluste

Die Ukraine kämpft nicht erst seit der vollumfänglichen Invasion Russlands um ihre Territorien. Bereits seit 2014 sind einige Gebiete von Russland und von prorussischen Separatisten besetzt worden. Dabei handelt es sich um die Halbinsel Krim und große Teile der Oblasten Donezk und Luhansk.

Mit dem Einmarsch am 24. Februar 2022 kamen eine Reihe von weiteren besetzten Gebieten hinzu – insbesondere in den ersten Monaten. Viele Gebiete, darunter in den Regionen Kiew, Charkiw und Cherson, wurden mittlerweile wieder befreit – doch noch immer kontrolliert Russland rund 108.337 Quadratkilometer und damit etwa 18 Prozent des ukrainischen Territoriums.

Opfer der Kampfhandlungen

Weder Russland noch die Ukraine geben genaue Zahlen von zivilen oder militärischen Opfern preis. Auf ukrainischer Seite zählt das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte seit dem Einmarsch bis zum 22. Februar dieses Jahres 10.582 tote Zivilistinnen und Zivilisten sowie 19.875 Verletzte. Doch selbst die UN können ihre Angaben nicht gänzlich verifizieren und geben an, dass die tatsächliche Zahl vermutlich weitaus höher ist.

Was die Soldaten angeht, so gibt es kaum offizielle Angaben. Im August 2023 hatte die "New York Times" US-Beamte zitiert und schrieb: "Die Zahl der militärischen Opfer in Russland nähert sich nach offiziellen Angaben den 300.000. Die Zahl umfasst bis zu 120.000 Tote und 170.000 bis 180.000 verletzte Soldaten." Auf ukrainischer Seite seien es 70.000 Tote und 100.000 bis 120.000 Verwundete gewesen.

Über den Gesprächspartner

  • Andreas Umland ist promovierter Politikwissenschaftler, Publizist und Analyst beim Stockholm Center for Eastern European Studies. Er ist Gründer und Redakteur der Buchreihe "Soviet and Post-Soviet Politics and Society" und neben weiteren Projekten auch Vorstandsmitglied des Deutsch-Ukrainischen Forums.

Verwendete Quellen

Ukrainische Artillerie

Ostukraine: Ukrainische Soldaten in der Defensive

Nach mehr als einem Jahr festgefahrener Kämpfe geht Moskau in der Ostukraine wieder in die Offensive und setzt viel Personal und Artillerie an der Front ein, um Geländegewinne zu erzielen. Unweit der Stadt Bachmut schützen Soldaten ukrainische Artillerie vor russischen Geschützen.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.