"Fakt ist: Die Zahlen sind besser als gedacht", beginnt Maybrit Illner am Donnerstagabend ihre Talkrunde mit einem Statement zur deutschen Impfquote. Doch hinter der Impfquote steckt am Ende die Frage: Wann wagen wir, alle Maßnahmen fallen zu lassen? Die Antworten der Runde: höchst unterschiedlich.

Christian Vock
Eine Kritik
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Die deutsche Impfquote, so erfahren wir es in diesen Tagen, wurde zu niedrig angesetzt. Für die einen eine schöne Botschaft, für manche Wenige Grund, sich in Verschwörungstheorien zu flüchten. Am Donnerstagabend sprachen Maybrit Illner und ihre Gäste über genau dieses Thema, aber bei weitem nicht nur. Denn Illner fragte diesmal: "Geimpft, getestet, genervt – mehr Freiheit wagen?"

Mit diesen Gästen diskutierte Maybrit Illner

  • Karl Lauterbach (SPD), Gesundheitspolitiker
  • Jan Josef Liefers, Schauspieler
  • Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes
  • Klaus Stöhr, Virologe
  • Thomas Walde, Leiter des ZDF-Studios Südwesteuropa

Darüber diskutierte die Runde bei Maybrit Illner

"Wir sind fast auf der Zielgeraden." Dieser Satz stimmt nach den vergangenen Corona-Monaten mit all den Toten, Infizierten, Erkrankten und den sozialen wie finanziellen Einschränkungen doch recht hoffnungsvoll. Sogar noch hoffnungsvoller, da er nicht von irgendwem stammt, sondern von Ute Teichert, der Vorsitzenden des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.

Dieser Satz ist aber nicht deshalb so bemerkenswert, weil er hoffnungsvoll klingt oder von einer Fachfrau stammt, sondern weil ihn Ute Teichert fast ganz am Ende der Diskussion gesagt hat und nicht am Anfang. Denn so ein Satz ergibt erst einen Sinn, wenn man zum einen festmachen kann, wo auf dieser Zielgerade man gerade ist, vor allem aber, wo dieses Ziel überhaupt ist. Doch genau darüber wurde am Donnerstagabend bei "maybrit illner" bereits den ganzen Abend diskutiert – ohne zu einer Lösung gekommen zu sein.

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Dabei beginnt der Abend ebenfalls mit einer hoffnungsvollen Botschaft. Denn Illner und Gäste diskutieren darüber, dass die veröffentlichte Impfquote zu niedrig angesetzt wurde. Ute Teichert hat hierfür einen Erklärungsversuch: Bisher habe man über die Impfzentren eine relativ gute und dichte Registrierung der Daten gehab. Als dann aber auch Arztpraxen und Betriebsärzte geimpft haben, seien nicht mehr alle Daten genauso erfasst worden wie beim Impfzentrum. "Das führt jetzt dazu, dass es da offensichtlich Lücken gibt. Das ist die Erklärung, die ich dafür gehört habe", sagt Teichert.

Klaus Stöhr sieht bei der Erfassung von Impfdaten ein generelles Problem in Deutschland, andere Länder regelten das besser. Trotzdem lässt er in der Bedeutung des aktuellen Falls Nachsicht walten: "Ich glaube nicht, dass diese fünf Prozent Unterschied jetzt so einen dramatischen Unterschied machen." Denn man müsse dennoch eine Entscheidung fällen und diese Entscheidung werde "in einem Größenbereich gefällt, wo man sagt: 'Der größte Teil, über 80 Prozent sind jetzt geimpft und geschützt'". Nun müsse man sich fragen: "Ab welcher Impfquote man tatsächlich den Freedom Day begeht."

Karl Lauterbach gibt Klaus Stöhr bei der Einschätzung der fünf Prozent Recht, sagt aber auch: "Wir sind noch immer nicht da, wo es möglich wäre, jetzt zu sagen: Okay, jetzt nehmen wir die Masken runter, wir kontrollieren nicht mehr in den Geschäften, es gilt kein 3G mehr." Man müsse sich anschauen, wo wir Defizite haben und wo nicht. Bei den über 65-Jährigen gebe es zum Beispiel im Vergleich zu Dänemark viermal so viele Ungeimpfte.

Für Ute Teichert ist die Diskussion über Zahlen grundsätzlich schwierig. Als Ärztin sei sie für's Heilen zuständig und sagt deshalb: "Jeder, der krank wird und behandelt werden muss, ist eine Person zu viel. (…) Die Diskussion um einen Freedom Day stellt sich für mich nicht." Die Argumentationslinie stimme für sie aus medizinischer Sicht hier nicht. Dem hält Jan Josef Liefers entgegen: "Irgendeine Art von Aussicht und Exit-Strategie brauchen wir jetzt."

Die Ansage des Abends

Als die Runde über den Druck auf Ungeimpfte und eine Impfpflicht spricht, möchte Ute Teichert etwas klarstellen: "Die Diskussion ist doch falsch herum. Ich kann doch nicht immer nur auf die Ungeimpften gucken. Der größte Teil ist geimpft. Die können die Freiheiten nutzen. Dann kann ich doch nicht immer sagen: Ich bestrafe die Ungeimpften. Das ist doch völlig falsch. Im Gegenteil: Ich belohne die, die geimpft sind."

Der Transparenzmoment des Abends

Zur persönlichen Selbstkritik sollte Lauterbach am Ende des Abends noch Gelegenheit haben, zuvor befragte ihn Illner nach Fehlern, die in der Pandemie gemacht wurden. Zum Beispiel bei der Kommunikation der Impfzahlen.

Lauterbach zufolge habe man seit etwa zwei Monaten gewusst, dass die offiziellen Zahlen des RKI nicht korrekt sind, aber nicht, in welcher Höhe. "Ich halte das für einen Fehler, dass man das nicht gemacht hat, weil das Verschwörungstheorien nährt", erklärt Lauterbach zur fehlenden Kommunikation.

Der Schlagabtausch des Abends bei Maybrit Illner

Long-COVID bei Kindern, Krisenmanagement, Freedom Day - es gab einige Punkte an diesem Abend, in denen Klaus Stöhr und Karl Lauterbach unterschiedliche Ansichten hatten. Allerdings diskutierten sie diese mit dem nötigen Respekt. Und so war der Schlagabtausch des Abends dann kein eigentlicher Schlagabtausch, sondern eher ein Verbal-Foul.

Maybrit Illner bittet Karl Lauterbach in Hinblick auf die vergangenen Monate um Selbstkritik, doch bevor Lauterbach sich aus Gefälligkeit oder Zeitdruck zu irgendeiner Lapidar-Antwort hinreißen lässt, bittet er lieber darum, darüber eine Sekunde nachdenken zu dürfen. Als er danach selbstkritisch ergänzt "Gäbe es sicherlich eine Menge", kann sich Klaus Stöhr die Bemerkung nicht verkneifen: "Ich hätte ein paar Vorschläge."

Das Fazit

Es war ein Abend der Zahlen: über Ungeimpfte, Geimpfte, Impfverweigerer, die Impfquote in Deutschland, in anderen Länder, in verschiedenen Altersklassen, über Kinder mit Long-COVID und so weiter. All diese Zahlen sind wichtig, vor allem in ihrer Gesamtbetrachtung, denn sie führen zur eigentlichen Frage des Abends: Wann ist es Zeit, die Beschränkungen, die es gibt, wegzulassen?

Oder drastischer formuliert: Wann erlauben wir uns, Ungeimpfte ihrem Schicksal zu überlassen - egal, ob sie sich nicht impfen lassen können oder wollen?

Eine einhellige Antwort darauf fand die Runde nicht: Klaus Stöhr sieht diesen Zeitpunkt aus epidemiologischer Sicht gekommen, wenn "die Infektionserkrankung in der Auswirkung vergleichbar ist mit anderen Infektionserkrankungen", Jan Josef Liefers fordert eine Exit-Strategie, aber sagt nicht welche, für Karl Lauterbach sind Lockerungen jetzt zu früh und Ute Teichert gefällt die Art der Diskussion nicht. Es wird also noch viel zu reden sein.

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